Deutschlands Ausbau der Erneuerbaren: Ein Weg zu mehr Resilienz?

Deutschlands Ausbau der Erneuerbaren: Ein Weg zu mehr Resilienz?

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Die deutsche Inflationsrate war im November so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Mit 5,2 Prozent erreichte sie den höchsten Wert seit 1992. Hauptursache des Preisfeuers waren die stark steigenden Energiepreise. Im Vergleich zum Vorjahr legten sie um 22,1 Prozent zu. Ein Anstieg war allgemein erwartet worden. Dass sie aber derart deutlich klettern würden, damit hatten sicher die Wenigsten gerechnet. Der Energiebedarf wächst, die Weltwirtschaft zieht nach den deutlichen Einbrüchen zu Beginn der Corona-Pandemie wieder an. Auch die zum Jahresanfang 2021 in Deutschland eingeführte CO2 Bepreisung verteuert fossile Energieträger.

Deutschlands Gaspolitik
Die zunehmende Volatilität an den Energiemärkten ist also wenig überraschend, die Dimension stellt jedoch vieles in Frage. Nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal von anderen gewichtigen Faktoren begleitet, führt die Gaspolitik zu Spekulationen, die sich an den Märkten niederschlagen und die Kundinnen und Kunden verunsichern. Einige Energieversorger, die sich als Angreifer in den letzten Jahren am Markt bewegt haben, haben sich im wahrsten Sinne des Wortes verspekuliert. Leidtragende sind ihre Kundinnen und Kunden, die sich auf eine seriöse Einkaufspolitik verlassen haben und sich nun wünschen, sie hätten nie gewechselt.

Deutschland ist nach wie vor auf russische Energieimporte angewiesen. Das Land ist mit Abstand der wichtigste Lieferant für Gas und lieferte 2019 mehr fossile Energieträger als Norwegen, die Niederlande und die USA (immerhin Energielieferanten Nummer zwei bis vier) zusammen nach Deutschland. Zwar gelten die russischen Vertragspartner allgemein als zuverlässig, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich Deutschland bei der Energieversorgung in einem fragilen geopolitischen Umfeld bewegt. Seit Jahrzehnten dominieren die fossilen Brennstoffe die Energiehandelsmuster. Die kontroversen Diskussionen um die Nordsee- Pipeline Nord Stream 2 sind ein eindeutiger Beleg hierfür.

Wie abhängig sind wir von Energieimporten?
Noch vor zehn Jahren konnte Deutschland etwa 40 Prozent seines Energiebedarfes selbst erzeugen, bis 2019 wuchs die Abhängigkeit von Energieimporten bereits auf 70 Prozent. Deutschland braucht mehr denn je eine verlässliche und auf die Zukunft ausgerichtete Energiepolitik. Stabile politische Beziehungen einerseits und diversifizierte Lieferländer und Transportstrukturen anderseits sind Möglichkeiten dafür. Schnell ist der Gedanke präsent, dass der Schlüssel für Deutschlands energiewirtschaftliche Resilienz im konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien und klimaneutraler Technologien steckt.

Welche Auswirkungen hat der Ausbau erneuerbarer Energien auf den Energiehandel?
Doch wird die Umstellung auf erneuerbare Energie die Energiehandelsmuster grundlegend verändern? Unausweichlich wird der Wert des Handels mit fossilen Brennstoffen sinken und dadurch auch die aktuelle Dynamik des internationalen energiebezogenen Handels stark abnehmen. Demgegenüber steht jedoch die steigende Bedeutung knapper Ressourcen wie seltene Erden und kohlenstoffarmer Wasserstoff, dessen Anteil am weltweiten energiebezogenen Handel sich bis 2050 versiebenfachen wird.

Aber auch die erneuerbaren Energie-Technologien sind nicht immun gegen geopolitische Gefahren. Der Bedarf an Ressourcen für saubere Energietechnologien wird sich zwischen heute und 2050 verdrei- bis zu versechsfachen. In vielen Fällen ist die Versorgung mit knappen Ressourcen konzentriert auf weniger Länder als dies bei Öl und Erdgas der Fall ist. Darüber hinaus deuten die heutigen Angebots- und Investitionspläne auf ein Risiko hin, dass das Angebot hinter der prognostizierten Nachfrage zurückbleiben wird, was global zu höheren oder volatileren Preisen knapper Ressourcen führen kann. Dazu kommen noch behördlichen Auflagen, Handelsbeschränkungen oder sogar politische Instabilität in einigen wenigen Ländern.

Der Weg zur Klimaneutralität
Doch der Weg ist längst eingeschlagen: Der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch in Deutschland wächst stetig, von etwa elf Prozent in 2010 auf zuletzt 19,3 Prozent in 2020. Und bis 2030 sollen laut Koalitionsvertrag 80 Prozent des Strombedarfs und 50 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien stammen.

Weltweit wurden im ersten Halbjahr 2021 rund 154 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert, ein Rekordwert für die ersten sechs Monate eines Jahres. Und doch nur ein kleiner Schritt, vergleicht man ihn mit der Summe, die das Institut für Energie- und Klimaforschung für Deutschlands als wirtschaftlich günstigsten Weg in die Klimaneutralität modellhaft berechnet hat. Die Kosten steigen dabei auf bis zu 128 Milliarden Euro pro Jahr in 2050 an.

Lässt man das derzeit außergewöhnlich hohe Niveau für Energiepreise etwas außen vor und zieht einen durchschnittlichen Wert der letzten Jahre heran, zeigt sich, dass die wirtschaftliche Belastung durch den Umbau in etwa in dieser Größenordnung liegt. 2018 beispielsweise gab Deutschland 63 Milliarden für Energieimporte aus, das waren knapp zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent bis 2050 entsprächen die 128 Milliarden Euro dann 2,8 Prozent des BIP.

Die richtigen Investitionen fördern
Auch die finanziellen Anreize werden zunehmend so ausgestaltet, dass sie dem Ziel − der Transformation unseres Energiesystems − dienen. So sind beispielsweise in der Haushaltsplanung des Bundes für die Jahre 2022 bis 2025 in Summe bereits 50 Milliarden Euro als Investitionsmittel für Erneuerbare pro Jahr angesetzt, das sind 30 Prozent mehr als 2019. Im Gegensatz dazu waren aber im Haushalt 2018 rund 65 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen eingestellt. Das ist immer noch nicht gut aber immerhin eine deutliche Verschiebung zu Gunsten der klimafreundlichen Investitionen im Vergleich zu den Vorjahren.

Doch fast die Hälfte der skizzierten Mittel floss in den vergangenen Jahren in den Verkehrsbereich. Dieser Sektor verzeichnete aber bei einem durchschnittlich gleichbleibenden Endenergieverbrauch in den vergangenen zehn Jahren den geringsten Anteil an erneuerbaren Energien (7,3 Prozent in 2020).

Die volle Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger ist erforderlich, um einerseits eine sinnvolle Umlenkung der finanziellen Anreize zu setzen und andererseits einen umfassenden Ansatz für die Sicherheit von Ressourcen zu entwickeln. Dieser muss Maßnahmen zur Steigerung der Investitionen und zur Förderung technologischer Innovationen umfassen, zusammen mit einem starken Fokus auf Recycling, Belastbarkeit der Lieferketten und Nachhaltigkeit. Denn die Zeit ist mehr als reif dafür.

 

Deutschland braucht mehr denn je eine verlässliche und auf die Zukunft ausgerichtete Energiepolitik.

Dr. Susanna Zapreva, CEO, enercity AG

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