„Deutschland fällt gegenüber anderen Ländern zurück“

Patient:innen seltener Erkrankungen sind zur Verbesserung ihrer Lebenssituation auf kontinuierliche Forschung angewiesen. Dennoch sind die Hürden bei klinischen Studien weiterhin hoch. Im Interview spricht der Mediziner Prof. Dr. med. Christoph Kleinschnitz über die Herausforderungen und Chancen.

Herr Professor Kleinschnitz, wie ist Ihre bisherige Erfahrung mit klinischen Studien?

Ich habe bereits an klinischen Studien zur Spinalen Muskelatrophie (SMA) und zu genetisch bedingten, neurodegenerativen Erkrankungen mitgewirkt. Oftmals werden bei Studien Medikamente mit einem vollkommen neuen Wirkansatz eingesetzt, der beispielsweise eine Genmodifikation enthält. An solchen Innovationen mitzuwirken, ist für Ärzt:innen immer eine bereichernde Erfahrung – auch weil wir damit unseren Beitrag für eine Verbesserung der Lebenssituation von Patient:innen leisten. Für diese wiederum ist es essenziell, dass ihrer Erkrankung mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird und neue Ansätze zur Behandlung untersucht werden, nachdem oft viele Jahrzehnte Stillstand herrschte. Die Motivation bei uns Ärzt:innen ist daher besonders hoch, klinische Studien zu unterstützen.

Trotz hoher Motivation bleibt die Situation bei klinischen Studien herausfordernd. Woran liegt das?

Zum einen an den sehr strengen Datenschutzrichtlinien in Deutschland. Selbstverständlich müssen die Daten der Patient:innen geschützt werden, einige wären aber auch gerne bereit, ihre Daten für klinische Studien zur Verfügung zu stellen, um einen noch größeren Fortschritt zu erreichen. Aufgrund der existierenden gesetzlichen Vorgaben sehen wir uns jedoch mit langen behördlichen Genehmigungszeiten konfrontiert, die das Vorhaben bisweilen unmöglich machen.

Ein zweiter Punkt ist die unzureichende Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen: Die Möglichkeit, Patientendaten in einem großen Rahmen digital zu speichern, abzurufen und zwischen verschiedenen Institutionen zu vernetzen, würde unsere Arbeit enorm erleichtern. Andere europäische Länder, wie etwa in Skandinavien oder auch Italien, sind hier zum Teil schon deutlich weiter.

Und natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass klinische Studien meist neben dem normalen Klinikalltag durchgeführt werden. Dabei müssen Universitätsklinika noch besser unterstützt werden. Dazu gehört  eben einer angemessenen Finanzierung auch ein Ausbau der Digitalisierung. Nur dann ergeben sich wieder mehr Freiräume für die Durchführung klinischer Studien. Im Moment fällt Deutschland auch hier gegenüber anderen Ländern, wie beispielsweise in Süd- oder Osteuropa, zurück, wo die Prozesse der Studiendurchführung deutlich schlanker und schneller sind.

Die Motivation bei uns Ärzt:innen ist besonders hoch, klinische Studien zu unterstützen.

Prof. Dr. med. Christoph KleinschnitzDirektor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

Und wie steht es um forschende Unternehmen, wie Biogen? Welche Erwartungen und Hoffnungen haben Sie an diese?

Meiner Ansicht nach braucht es zwischen forschenden Unternehmen und akademischen Einrichtungen eine noch engere Zusammenarbeit. Das sogenannte „publicprivate partnership“ aus dem angloamerikanischen Raum ist dafür ein Paradebeispiel. Dort kommen neue Forschungsfelder und disruptive Forschungsideen aus den Universitäten, die dann mit den finanziellen Möglichkeiten der pharmazeutischen Industrie gemeinsam zur Marktreife geführt werden.

Wie würden Sie abschließend den aktuellen Stand der Forschung im Bereich der seltenen Erkrankungen beschreiben?

Das Feld ist so aktiv wie nie zuvor. Das Internationale Konsortium zur Erforschung seltener Erkrankungen wollte bis zum Jahr 2020 ursprünglich 200 neue Therapien zur Zulassung bringen. Dieses Ziel wurde bereits 2017 erreicht. Deshalb sollen bis 2027 nun sogar 1.000 neue Therapieansätze angepeilt werden. Durch neue, bahnbrechende Techniken, insbesondere bei der Modifikation oder dem Ersatz von Genen, ist die Forschung in den letzten Jahren entscheidend vorangekommen. Aber auch therapeutische Ansätze zur Reduktion von Zellstress waren äußerst erfolgreich. Mein Blick auf die Zukunft ist daher sehr positiv und ich bin sicher, dass wir künftig noch mehr Menschen mit seltenen Erkrankungen helfen können.

BIOGEN

… ist ein weltweit führendes Biotechnologie-Unternehmen. Es erforscht und entwickelt innovative Arzneimitteltherapien für komplexe und schwere Erkrankungen.

Die Forschungspipeline des Unternehmens umfasst Wirkstoffkandidaten in den Bereichen Neurologie, Neuropsychiatrie, Immunologie und seltene Erkrankungen.

Damit will Biogen einen Beitrag leisten für eine gesündere, nachhaltigere und gerechtere Welt.

Artikel aus dem Handelsblatt Journal How to future Health vom 05.11.2024

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