Der (Wasser-)Stoff, aus dem die Träume sind

Wasserstoff wird oft als das Allheilmittel der industriellen Produktion angepriesen. Er soll Stahlöfen, Chemieproduktion und Mobilität gleichermaßen grün stellen. Für die Industrie ist wichtig, dass wir im Rahmen der Umsetzung möglichst schnell zu realistischen und verbindlichen Rahmenbedingungen und Zeitplänen kommen.

Für uns als Betreiber und Manager eines der größten Chemieareale Europas ist klar: Nur eine langfristige klimaneutrale Industrie hat in Deutschland echte Zukunftsaussichten. Das ist der Grund dafür, dass wir als Currenta den nachhaltigen Chempark der Zukunft proaktiv gestalten wollen. Auch unsere Kunden wie etwa Bayer (2030), Covestro (2035) und Lanxess (2040) verfolgen eigene, ambitionierte Klimaneutralitätsziele. Auch deshalb müssen wir als Lieferant für Energie und Dienstleistungen eine belastbare Roadmap entwickeln, die auf diese Ziele einzahlt. Dazu gehört für uns auch Wasserstoff als ein wichtiges strategisches Element. Bereits heute fällt Wasserstoff bei den Kunden an unseren Verbundstandorten in den Produktionsverfahren an. Wir fangen also nicht bei null an. Aber: Für Currenta ist Wasserstoff vor allem als Energieträger und weniger als Rohstoff für die Produktion von Belang. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation liegt für uns bei der Prozesswärme. Dampf ist das wichtigste Produkt, mit dem wir unsere Kunden versorgen. Heute erzeugen wir diesen Dampf vor allem mit fossilen Energieträgern. Eine Elektrifizierung ist hier technisch vor allem mit Blick auf das zum Teil hohe Temperaturniveau nicht vollumfänglich durch Wärmepumpen oder Elektrodenkesseln möglich. Auch die hohen Netzkosten spielen hier eine Rolle.

Grüne Prozesswärme als wichtigster Teilschritt der Transformation
In Niedrigtemperaturbereichen sind Wärmepumpen eine wichtige Technologie, die wir in verschiedenen Projekten auch bereits umsetzen. Für die höheren Temperaturen allerdings sieht das derzeit anders aus. Und gerade hier geht es um Produktionsverfahren der besonders energieintensiven Grundstoffchemie. Mit anderen Worten: Das ist der richtig große Hebel in unserer Industrie. Die Stimmen derer, die vorschlagen, diese besonders energieintensiven Verfahrensschritte ins Ausland oder an die Küste zu verlegen, werden lauter. Also genau dorthin, so die Überlegung, wo erneuerbare Energien bereits in einem industriellen Maßstab bereitgestellt werden können. Diesen Stimmen möchte ich hier in aller Deutlichkeit widersprechen, denn es wäre der Anfang vom Ende des Produktionsstandorts Deutschland. Es ist von grundlegendem volkswirtschaftlichem Interesse, dass wichtige Teile der globalen Wertschöpfungsketten hier in Deutschland bleiben. Wir haben – insbesondere seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – gelernt, dass eine Wirtschafts- und Exportnation wie Deutschland sich resilient gegenüber geopolitischen Umwälzungen aufstellen muss. Wir sprechen hier also über weit mehr als das Schicksal einiger Unternehmen aus einer besonders energieintensiven Branche. Oft wird die chemische Industrie als sehr konservativ und risikoavers wahrgenommen. Und das mag an der ein oder anderen Stelle auch berechtigt sein. So sind etwa einige Anlagen der Grundstoffchemie an unseren Standorten die letzten ihrer Art in Europa. Und genau daraus folgt die Notwendigkeit, jetzt bei der Transformation in die Umsetzung zu kommen und mit Innovationen und Investments dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Wie teuer es uns alle zu stehen kommt, wenn diese Teile der Wertschöpfungsketten sich verlagern – zum Beispiel in die USA oder nach Asien – das haben wir am Fallbeispiel Mikrochipindustrie sehr eindrucksvoll beobachten können.

Innovationen, Investments, Umsetzung
Innovationen, Investments, Umsetzung – was tun wir denn heute, damit diese Begriffe keine bloßen Worthülsen bleiben? Lassen Sie mich an dieser Stelle einige konkrete Ansätze erwähnen: In einer gemeinsamen Absichtserklärung mit Thyssengas haben wir 2023 den Grundstein für die überregionale Wasserstoff-Versorgung des Chemieparks der Zukunft gelegt. Ab 2030 sollen unsere drei Chempark-Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen über drei Netzkopplungspunkte an das künftige Wasserstoffnetz angebunden werden. Dabei spielen sowohl die Umwandlung von bestehenden Erdgasleitungen auf Wasserstoff für Dormagen und Leverkusen eine Rolle als auch die Anbindung durch neue Trassen an das neue Wasserstoff-Kernnetz im Fall unseres Standorts Krefeld-Uerdingen. Parallel dazu prüfen wir insbesondere auch den Import von Ammoniak und die lokale Umwandlung in H2 an unseren Standorten. Zu diesem Zweck haben wir mit dem mit dem Land NRW und der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet. Kern davon ist insbesondere die Prüfung von Bedarfen und der Aufbau einer Importinfrastruktur zur Versorgung der Industrie im Rheinland. Wir legen uns also nicht im Vorhinein auf einen Versorgungsweg fest, sondern sind für die verschiedenen technologischen Ansätze offen.

Es bleibt ein ziemlich großes „Aber“ – der Preis
Was bleibt, ist ein ziemlich großes „Aber“: Die Wirtschaftlichkeit. Wir haben bislang noch kein Szenario gefunden, in dem Wasserstoff als Energiequelle unserer Dampferzeugung im kommenden Jahrzehnt kostendeckend und gegenüber fossilen Brennstoffen wettbewerbsfähig wäre. Im Gegenteil: Alle H2-basierten Versorgungsszenarien (On Site Elektrolyse, Ammoniakbasierte Erzeugung, Pipeline-Anbindung) liegen preislich um ein Mehrfaches über einem wirtschaftlich noch annehmbaren Dampfpreis. Dementsprechend besteht bei unseren Kunden nachvollziehbar keine Bereitschaft, für mit Wasserstoff erzeugten grünen Dampf in der aktuellen Situation deutlich mehr zu bezahlen. Kurzum: Bei allem notwendigen Streben nach Nachhaltigkeit dürfen wir die Wirtschaftlichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Für uns liegt deshalb der Fokus kurz- bis mittelfristig auf einem möglichst raschen Einstieg in die CO2-Abscheidung – gewissermaßen als Brückentechnologie. CCS hilft uns vor allem dort, wo es zu sogenannten unvermeidbaren Emissionen kommt, z.B. im Bereich der Müllverbrennung. Aber nicht nur: Auch bei der Dampfproduktion könnte diese Technik zum Einsatz kommen. Sie ist technisch ausgereift und wird international bereits angewendet. Und sie stellt im Hinblick auf die zu erwartende CO2-Preisentwicklung eine echte Handlungsoption bis 2030 dar. Kurzum: Wer dem Argument, dass wir schnell Perspektiven für die Chemieindustrie in Deutschland brauchen, folgt, dürfte auch davon überzeugt sein, dass das langfristig nicht ohne eine wettbewerbsfähige Wasserstoffwirtschaft geht. Seitens Currenta werben wir vor allem deshalb so leidenschaftlich dafür, andere Technologien wie insbesondere CCS voranzutreiben, weil wir das Erfordernis nach kurzfristigen Schritten sehr ernst nehmen. Und zwar schon deshalb, weil wir die Nöte unserer Kunden verstehen und konkrete, tragfähige und umsetzbare Lösungen brauchen. ■

Nur eine langfristig klimaneutrale Industrie hat in Deutschland echte Zukunftsaussichten.

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