Dr. Johannes Bohmann, Leitender Redakteur, solutions by Handelsblatt Media Group
Das Geschäft mit der Gesundheit ist ein Riesenmarkt. Ein wichtiger Teil davon ist der Vertrieb von Medikamenten über die Apotheken. Für dessen etablierte Player ist die Digitalisierung eine Herausforderung – und eine große Chance
Mehr als 390 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland für die Gesundheit ausgegeben. Ein großes Stück dieses Kuchens stellt der Apothekenmarkt dar: Zu Herstellerabgabepreisen gerechnet, erwirtschaftete er 2019 über 38 Milliarden Euro Umsatz und wuchs um sechs Prozent. Seit Jahren legt allerdings der Onlinehandel mit Medikamenten schneller zu als der Verkauf in den rund 19.000 deutschen Vor-Ort-Apotheken. Große ausländische Versender wie Doc Morris oder die Shop Apotheke haben sich mittlerweile mit jeweils einigen Hundert Millionen Euro Umsatz an die Spitze des Marktes gesetzt.
Doch eine größere Herausforderung als die Versandapotheken dürften Amazon und Alibaba irgendwann einmal sein. Laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Sempora unter 1164 Konsumenten verfügen 86 Prozent der Befragten über einen Amazon-Account. Ein Drittel hat bereits bei Amazon nach Medikamenten gesucht, 22 Prozent haben sie darüber auch schon gekauft. Und 43 Prozent gaben an, dass sie Amazon beim Medikamentenkauf gegenüber anderen Versandapotheken vorziehen würden.
Wichtig zu wissen: Aktuell ist Amazon im deutschen Medikamentenmarkt nicht selbst als Versandhändler aktiv, sondern gibt lokalen Apothekern auf seinem Marketplace Raum zum Handeln. Als Kapitalgesellschaft darf Amazon keine Medikamente verkaufen, das ist nur approbierten Apothekern erlaubt. Allerdings wäre diese Hürde für den Multimilliardenkonzern sicher schnell zu überwinden, sei es durch den Kauf einer ausländischen Versandapotheke – oder durch den Aufbau einer eigenen.
Ulrich Zander, geschäftsführender Gesellschafter von Sempora, nennt Amazon deshalb das unbekannte Pferd im Rennen. „Es wird viel spekuliert, wo es gerade steht. Aber die meisten sind sich sicher, dass es das schnellste Pferd sein wird“, sagte er gegenüber Handelsblatt Inside. Der Markt sei derzeit im Aufbruch, und die Teilnehmer hätten große Möglichkeiten. „Da ist es sehr sinnvoll, wenn Anbieter aus unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen ihre Kräfte bündeln, um gemeinsam in neue Angebote zu investieren und so mehr zu erreichen”, ergänzt er – und verweist auf das Vorhaben von Phoenix und Pro AvO, das Mitte Juli bekanntgegeben wurde.
Worum geht es dabei? Phoenix, mit rund 26 Milliarden Euro Umsatz der größte deutsche Pharmahändler, und die Apothekeninitiative Pro AvO, ursprünglich Anbieter konkurrierender Plattformen, haben ein Joint Venture gegründet, das sich die Schaffung einer umfassenden neuen Kundenplattform zum Ziel gesetzt hat. Noch in diesem Jahr wollen sie ein zentrales Gesundheitsportal für Deutschland an den Start bringen. Allein durch die Integration ihrer bestehenden digitalen Aktivitäten, so hieß es bei der Präsentation des Projekts, werde das Portal schon zum Start die größte Gesundheitsplattform in Deutschland sein.
„Wir wollen erstmals möglichst viele Leistungserbringer im Gesundheitsbereich über eine offene Plattform vernetzen und unter einer Website bündeln und so für Patienten und Nutzer echten Mehrwert schaffen”, sagte Phoenix-Deutschlandchef Marcus Freitag dazu. Und auch Freitag erklärte offen: Die größte Konkurrenz sehe er hierzulande nicht in den Versandapotheken, sondern „vielmehr in Amazon und Alibaba“. Auch für ihn ist es nur noch eine Frage der Zeit, dass die internationalen E-Commerce-Giganten auch hierzulande breit in den Gesundheitsmarkt einsteigen – etwa in den Handel mit rezeptfreien ebenso wie mit verschreibungspflichtigen Medikamenten.