Dekarbonisierung @ Scale

Nachhaltigkeit und Resilienz in der Supply Chain

Die Medien betonen, dass Nachhaltigkeit an Bedeutung verloren hat: Die Öffentlichkeit sei stattdessen besorgt über Arbeitsplätze, Inflation und geopolitische Risiken. Dies ist eine sehr kurzsichtige Sichtweise, der Unternehmen nicht folgen sollten. Unsere Forschung hat gezeigt, dass die Nachhaltigkeit und Resilienz der Supply Chain zunehmend die Rentabilität von Unternehmen beeinflussen und dass sie miteinander verbunden sind. Die Resilienz der Supply Chain wird durch die Häufigkeit und das Ausmaß von Störungen in der Supply Chain bestimmt. Die Nachhaltigkeit der Supply Chain wird durch verschärfte staatliche Vorschriften, Anforderungen des Kapitalmarktes und der Verbraucher sowie die Verknappung natürlicher Ressourcen bestimmt. Unserer Ansicht nach müssen Unternehmen beides managen.

Bewältigung der Komplexität der Supply Chain

In einer auf Aktionäre ausgerichteten Finanzwelt neigen Unternehmen dazu, Marktchancen zu verfolgen, die sich ihnen bieten. Dies führt zu zwei Faktoren, die CO2-Emissionen verursachen: Heterogenität der Supply Chains und eine fragmentierte und globale Lieferantenbasis. Wenn Unternehmen gefragt werden, warum ihre Supply Chains nicht widerstandsfähig sind, stehen diese beiden Faktoren ganz oben auf der Liste. Gleichzeitig hindern die in Unternehmen, z. B. in multinationalen Konzernen, vorherrschenden Leistungskennzahlen diese nicht daran, die Komplexität ihrer Supply Chains oder die Größe ihres Technologieportfolios weiter zu erhöhen. Ein Unternehmen, das diesen Trend umkehren möchte, müsste lediglich Kennzahlen zur Reduzierung von CO2-Emissionen und der Komplexität der Supply Chain in sein Management-Dashboard aufnehmen. In einer aktuellen Studie haben wir festgestellt, dass Investitionen in die Resilienz der Supply Chain sich positiv, d. h. zu mehr als 70 %, auf die Nachhaltigkeit der Supply Chain auswirken und umgekehrt. Darüber hinaus steigern diese Investitionen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, aber leider braucht es Zeit, um Hindernisse für die Nachhaltigkeit und Resilienz der Supply Chain zu beseitigen.

Industrieperspektive

Die CO2-Entfernung bleibt eine globale und dringende Herausforderung: Bei einer Fortsetzung des „Business-as-usual” wird sich die Situation nur verschlimmern. Im Allgemeinen ist die CO2-Entfernung im industriellen Maßstab kapitalintensiv; natürliche Ansätze, wie z. B. das Pflanzen von Bäumen, die hauptsächlich von internationalen Hilfsorganisationen oder politischen Institutionen finanziert werden, haben sich als zu gering und zu spät erwiesen. Unternehmen und politische Entscheidungsträger wurden gleichermaßen dafür kritisiert, dass sie CO2-Neutralität durch CO2-Vermeidungszertifikate ermöglichen, die nicht vertrauenswürdig sind (da sie nicht zertifiziert sind), und daher wird jedes Projekt, aus richtigen oder falschen Gründen, der Kritik des „Greenwashing“ ausgesetzt.

Es bedarf einer anderen Perspektive: Der technologische Fortschritt sollte sowohl leistungsfähiger als auch weniger energieintensiv sein und veraltete Technologien verdrängen; Unternehmen sollten Anreize erhalten, kontinuierlich in die Senkung ihrer CO2-Emissionen zu investieren, ohne dabei Gewinne einzubüßen; und Investoren (d. h. Privatpersonen, Finanzinstitute und Unternehmen) sowie politische Entscheidungsträger sollten sich auf eine effiziente und wirksame CO2-Entfernung einigen. Wenn all dies zusammenkäme, hätte die Welt gute Chancen, sich schnell zu erholen und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Glücklicherweise gibt es drei Benchmarks, die diese Vision nachdrücklich unterstützen.

Vorbilder: Infineon Austria, C2FO und das Sahara-Renaissance-Projekt

Infineon Austria entwickelt parallel drei Halbleitertechnologien (Silizium (Si), Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN)); Erkenntnisse aus einer Technologie können auf die andere übertragen werden, was in ihrer Innovationsfabrik geschieht. Dies hat Infineon dazu veranlasst, Lösungen zu entwickeln, die eine 30-fache Steigerung der Energieeffizienz für ihre Endnutzer bewirken. So ist Infineon beispielsweise der erste Anbieter von 30-mm-GaN-Leistungswafern, die die digitale Transformation und Dekarbonisierung vorantreiben. Dieser Fall zeigt, dass technologischer Fortschritt auch einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten kann. Angesichts der bevorstehenden Einführung von Blockchain-Technologie/Kryptowährungen, Quantencomputern, und KI bietet diese Technologie eine dringend benötigte Entlastung.

C2FO ist ein Marktplatz für (vorzeitige) Rechnungsfinanzierung; seine Plattformtechnologie ist patentgeschützt und weltweit verfügbar. Derzeit finanziert das Unternehmen globale Lieferanten in Höhe von Billionen und weist ein sehr steiles Wachstum auf. Die Finanzierung von Lieferanten erfolgt nicht nur durch Banken, sondern auch durch Unternehmen (meist die Käufer) und Firmen außerhalb des Bankensektors. Die Plattform bietet reduzierte Discounts in ihren Niedrigpreis-Kapitalmärkten, die grüne Investitionen belohnen. Dies schafft einen unmittelbaren Mehrwert für viele Parteien in großem Maßstab: Lieferanten, Käufer, die Plattform und die Gesellschaft insgesamt. Was das Unternehmen derzeit noch zurückhält, ist die Tatsache, dass multinationale Unternehmen erst langsam verstehen und akzeptieren, dass Finanzakteure den Einkauf nicht unbedingt teurer oder schwieriger machen.

Das Sahara Renaissance Project (SAREP) ist die ehrgeizigste und bemerkenswerteste Fallstudie: Es entfernt CO2 in einem Umfang, den keine Aufforstungsmaßnahme erreichen kann. Und sein Ökosystem ist so konzipiert, dass es durch die Nutzung der Möglichkeit, entweder Holz oder nachhaltige Holzkohle, erneuerbare Energien (Wasserstoff, Solar, Wind), CO2-Zertifikate oder landwirtschaftliche Lebensmittel und sauberes Wasser zu verkaufen, wirtschaftlich sinnvoll ist. Was dieses Vorhaben rentabel macht, ist der Abbau von Seltenerdmetallen aus entsalztem Meerwasser. Die Wahl der Sahara in Mauretanien ist auf die idealen Wasser-, Wind- und Sonnenbedingungen und vor allem auf ihre Größe zurückzuführen, die es ermöglicht, große Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu binden. Mithilfe von satellitengestützter Kameratechnologie werden zertifizierte Zertifikate über die tatsächliche CO2-Bindung in Echtzeit gehandelt. Das Projekt befindet sich noch in den Anfängen, soll aber schnell ausgeweitet werden. Das Projekt wird von der lokalen Regierung unterstützt, die bereits ihre Gesetze und Vorschriften angepasst hat, um ausländisches Eigentum und Desinvestitionen zu ermöglichen.

Wenn alles nach Plan verläuft, sollten diese drei Fälle zusammen einen wesentlichen Beitrag zur globalen CO2-Entfernung leisten und uns der Defossilisierung und einer ökologischen Nachhaltigkeit näherbringen. Der Leser sollte wissen, dass alle drei Fälle über ein robustes Risikomanagement verfügen, das sie ebenfalls widerstandsfähig macht.

Wie man die Nachhaltigkeit der Supply Chain „auf die richtige Weise” angeht

Die Defossilisierung muss balanciert werden. Rund 24 Unternehmen, hauptsächlich Ölförderfirmen, sind für 50 % der heutigen CO2-Emissionen verantwortlich. Im Gegensatz dazu ermöglicht das SAREP-Projekt potenziell den Ersatz von Kohle durch nachhaltige Holzkohle, fossile Brennstoffe durch grünen Wasserstoff, der aus Solar- und Windparks gewonnen wird, sowie den Transport von Eisenerz durch die lokale Produktion von Eisenerzpellets, wodurch CO2-Emissionen beim Transport und bei der Verarbeitung an anderen Orten vermieden werden. Insgesamt müssen grüne Investitionen und das SAREP-Projekt zusammen mindestens die CO2-Emissionen durch die Verbrennung fossiler Energien ausgleichen.

Märkte (und Plattformen) sind wichtig. In allen drei Fällen sind Märkte die Wegbereiter. Bei Infineon wird die Produktinnovation auch durch einen internen Accelerator für die Ideenfindung vorangetrieben, und der Wettbewerb zwischen den Geräteanbietern fördert Qualität und Innovation. Die hohe Leistung (Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit) ihrer Produkte, d. h. der Wafer, schafft einen starken finanziellen Anreiz für die Nutzer, schnell zu modernisieren. Die innovative Finanzierungsplattform von C2FO bietet Anreize für grüne Investitionen in großem Umfang weltweit und branchenübergreifend. Und das SAREP-Projekt könnte, wenn es richtig gemanagt wird, die Emissionshandelsmärkte revolutionieren, die sich ohnehin 2035 von CO2-Vermeidungs- zu CO2-Entfernungszertifikaten wandeln werden. Nur SAREP ist in der Lage, das erforderliche Volumen an CO2-Entfernungszertifikaten für energieerzeugende Unternehmen zu generieren, das ihnen kein anderes Projekt bieten kann.

Geschwindigkeit und Umfang sind dabei von entscheidender Bedeutung. Es ist allgemein bekannt, dass eine abwartende Haltung verheerende Folgen haben könnte. Das Produktionssystem von Infineon basiert auf drei Säulen: Qualität, Effizienz und Geschwindigkeit. Dies ermöglicht es dem Unternehmen, eine technologische Führungsrolle einzunehmen. Die proprietäre Online-Plattform von C2FO ermöglicht es Unternehmen, ihre Bestellungen innerhalb von 30 Sekunden zu finanzieren. Das Unternehmen hat das Bankwesen neu erfunden, indem es die Kundenschnittstelle vereinfacht hat und keine Kredite vergibt oder Lagerbestände besitzt. SAREP wird durch ein spezielles Investitionsvehikel unterstützt, das eine schnelle Skalierung ermöglicht. Der unmittelbare Bedarf der lokalen Gemeinschaft drängt ebenfalls auf eine schnelle und gründliche Umsetzung.

Abschließende Gedanken

Die heutige Debatte über die Nachhaltigkeit der Supply Chain ist fehlgeleitet und nicht produktiv. Darüber hinaus leidet sie unter extremen Ansichten und provokativen Aktionen politischer Akteure. Die meisten Menschen würden argumentieren, dass wir einen anderen, rationaleren Ansatz brauchen, bei dem wir den digitalen und nachhaltigen Wandel reibungslos gestalten. Es geht nicht darum, „unverantwortlichen“ Konsum zu stoppen und Unternehmen, die fossile Brennstoffe verbrauchen, sofort und streng zu regulieren. Ein besserer Weg ist die Entwicklung von Märkten, die Ineffizienzen in der Supply Chain aufdecken, um Anreize für grüne Investitionen und Innovationen zu schaffen. Zur Skalierung kann man die finanziellen Ressourcen, z. B. von Nichtbanken, nutzen, um die Anreize für Unternehmen zu verstärken, ihre Supply Chains noch nachhaltiger und damit widerstandsfähiger zu gestalten. Dieser Ansatz würde nicht nur Konflikte aus der Diskussion herausnehmen, sondern hätte auch unmittelbare Auswirkungen auf den Planeten und die Gesellschaft und würde höchstwahrscheinlich niemanden schlechter stellen. Glücklicherweise wurden die vorgestellten Fallstudien bereits in die Praxis umgesetzt und werden auch weiterhin dringend benötigten Spielraum schaffen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns zurücklehnen und nichts tun sollten, denn innovative und visionäre Unternehmen werden schnell verstehen und hoffentlich auch entsprechend handeln.

Bevorstehende Handelsblatt-Konferenz:

Ich werde dieses Thema auf der bevorstehenden Handelsblatt-Konferenz zum Thema „Dekarbonisierung der Industry“ mit drei Vertretern der oben beschriebenen Vorzeigeprojekte weiter diskutieren, siehe https://live.handelsblatt.com/event/dekarbonisierung-der-industrie/.

Kontakt:

arnd.huchzermeier@whu.edu

https://www.whu.edu/de/fakultaet-forschung/supply-chain-management-group/produktionsmanagement/

Referenzen:

Morris Cohen, Shiliang Cui, Sebastian Dötsch, Ricardo Ernst, Arnd Huchzermeier, Panos Kouvelis, Hau Lee, Hirofumi Matsuo, Andy A. Tsay (2022a): Bespoke supply-chain resilience: The gap between theory and practice. Journal of Operations Management, 68(5), 515-531 and https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/joom.1184 (Open access)

Morris Cohen, Shiliang Cui, Sebastian Dötsch, Ricardo Ernst, Arnd Huchzermeier, Panos Kouvelis, Hau Lee, Hirofumi Matsuo, Andy A. Tsay (2022b): Putting supply chain resilience theory into practice. Management and Business Review, 2(3), 7-17 and https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/2694105820220203002

Sebastian Dötsch, Arnd Huchzermeier (2024): The intersection of supply chain resilience and sustainability from a theoretical and practical perspective: An integrated framework. Journal of Cleaner Production, 484, 20 pages, and https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959652624037557 (Open access)

Arnd Huchzermeier, Alexandra Romanova (2025): The Sahara Renaissance Project: CO2 Removal Through the Deserts‘ Greening to Undo Global Warming Profitably! The Case Centre, 20 pages, and https://www.thecasecentre.org/products/view?id=209069

Florian Lücker, Aneesh Banerjee, Jörg M. Ries (2025): C2FO: Balancing liquidity and profits through dynamic discounting. In: Huchzermeier, Arnd (Ed.): Resilience and Sustainability: Lessons Learned from the Winners of The Industrial Excellence Award. Springer Nature, forthcoming.

Gerald Reiner, Romana Polt (2025): Infineon Technologies Austria: Innovation for digitalization and decarbonization. In: Huchzermeier, Arnd (Ed.): Resilience and Sustainability: Lessons Learned from the Winners of The Industrial Excellence Award. Springer Nature, forthcoming.

www.industrial-excellence-award.eu (5. Edition: Resilienz und Nachhaltigkeit)