Co-Living wird erwachsen: Wohnen als Service

Corona als Brennglas: Wenige Metaphern werden im öffentlichen Diskurs gerade so gerne gezückt. Viele Themen, schon lange auf der Agenda, sind plötzlich unausweichlich – weil sich Verhalten bereits ändert, bevor die Regeln nachziehen, und weil Bedarfe entstehen, denen Märkte nun folgen. Deutschlands Fahrradhändler fuhren in wenigen Monaten Rekordzahlen ein und Berlin Kreuzberg legte neue Radwege an – über Nacht. Die Abende verlagerten sich auf die Straße und München erfand den Schanigarten neu. Das Bild unserer Städte hat sich unter Druck verändert. Was davon sollte bleiben?

„Es wird deutlich, wie überholt unsere Definition von Stadt ist.“
Sprechen wir über Mobilität. Zwar hat auch das Auto als Verkehrsmittel unter Corona gewonnen – der Verlierer der Pandemie ist der öffentliche Nahverkehr. Doch der Pendelverkehr hat sich reduziert und wird es auf Dauer bleiben. Nicht nur Siemens baut das Home Office aus.
DAX-Konzerne wie Start-ups stellen sich auf ein Hybridmodell ein, die Arbeitswoche als  Mischung aus Präsenz und Work from Home. Löst das nun die Landflucht aus? Werden viel mehr Menschen die Chance nutzen und in die Vorstadt oder gleich nach Brandenburg ziehen? Unwahrscheinlich. Vielmehr wird deutlich, wie überholt unsere Definition von Stadt selbst geworden war, und welche Chancen in der Neugestaltung liegen.

Schon lange liegen Konzepte vor, unser Zusammenleben in der Stadt besser zu organisieren, Funktionsarten von Immobilien neu zu denken und zu durchmischen, und veraltete Grundrisse der Lebensrealität der neuen Generation anzupassen. Nie standen die Chancen besser, dies im großen Stil umzusetzen. Die Fragen sind alt, die Antworten werden ehrlicher.

„Die Pandemie stellt nicht neue Fragen, sondern verlangt ehrlichere Antworten“
Die Moderne hat die Funktionalitäten der Stadt getrennt. Arbeiten und Wohnen wurden entflochten und hatten in unterschiedlichen Bereichen stattzufinden. Und das Auto machte das möglich – mit dem Resultat von kilometerlangen Staus und Durchschnittsgeschwindigkeiten
von zuletzt 11 km/h etwa auf den Straßen Londons. Tagsüber leere Reihenhaussiedlungen, abends verwaiste Hochhausschluchten. Selbst dem technologisch so avancierten Kalifornien fiel bei der Gestaltung des Arbeitscampus von morgen nichts anderes ein, als Arbeiter in mit Markennamen verzierten Bussen von ihrer rasend teuren Wohnung in San Francisco ins Büro im Silicon Valley zu transportieren – eine einfache Fahrt von im Schnitt zwei Stunden.
Dieser Parameter der Trennung der Bereiche ist es, der nun auf dem Prüfstand steht. Nicht als akademisches Soll-Bild, sondern ganz praktisch. Wenn ich mehr selbst entscheiden und gestalten kann, wie und wo will ich leben und arbeiten? Alleine an meinem Küchentisch? Lieber
in einer Gemeinschaft?

„Unser Zuhause muss härter für uns arbeiten.“
In den letzten Monaten haben wir uns einen Schreibtisch zuhause eingerichtet und festgestellt, wie viel mehr unsere Wohnung leisten muss, wenn wir nicht mehr ins Büro fahren. Wir haben die Isolation in unseren eigenen vier Wänden zu spüren bekommen und unseren Bewegungsradius neu definiert. 30 Prozent aller Wege wurden während des Lockdowns zu Fuß zurückgelegt – ein historisches Hoch. Die Stadt der kurzen Wege: Wir haben sie gerade pilotiert. Der Wochenmarkt an der frischen Luft, der kleine Eckladen mit Brötchen, Toilettenpapier und neuerdings Schnittblumen, das Lieblingsrestaurant – jetzt mit Take-away Boxen. Nachbarn wurden zur Rettungsleine, der Kiez wurde wichtiger. Wer oder was nicht nebenan zu finden war, wurde per Lieferdienst bestellt oder per Zoom eingewählt. Auf langes Pendeln konnten wir gut verzichten, aber den zwischenmenschlichen Kontakt haben wir alle schmerzlich vermisst. Studien zeigen, dass sich schon vor dem Ausbruch von Covid-19 eine große Zahl von gerade auch jungen Menschen allein gefühlt hat. Die Zeit der Kontaktbeschränkungen hat das Abgeschnittensein von einer Gemeinschaft, das Alleinleben in der eigenen Wohnbox für viele plötzlich unerträglich gemacht. Einer der Gründe, warum Co-Working Spaces wie das betahaus in Berlin eher eine Zunahme an Mitgliedern erwarten. Und warum Co-Living das am stärksten profitierende Segment im Wohnbereich zu werden verspricht.
Das „Co“ in Co-Living steht gleich für zwei Begegnungen: die von Menschen in einer  Gemeinschaft. Und die des Zusammenkommens der unterschiedlichen Sphären: Wohnen, Arbeit und Freizeit, in Mischnutzung in einem Haus. Quarters, als größter Anbieter im Markt,
geht noch einen Schritt weiter und unterstützt die Quartiersbildung auch außerhalb der eigenen vier Wände: Cafés, Bars, lokale Eventflächen und kleine Läden in der
Nachbarschaft werden an das eigene Gebäude über eine Mitgliedschaft angebunden.

„Der Wert eines Zuhauses hat nur zu einem geringen Teil mit der Anzahl der Quadratmeter zu tun.“
Dabei zeigt sich, dass in die Definition des eigenen Zuhauses weit mehr einfließt als die Anzahl der Quadratmeter. Viel wichtiger ist die Frage, wie sich das Haus an den persönlichen Lebensstil anpasst, wie viele Schichten es abdecken kann. Morgens Yoga und Frühstück mit den Freunden, Arbeiten, Movie Night vor der Leinwand und ein Drink am Stammtisch in der nächsten Bar: Im
Co-Living Konzept ist das alles mitgedacht. Und das wird für immer mehr Menschen interessant. Der Quarters-Mieter war in den letzten Jahren im Schnitt 27 Jahre alt, Single, meist neu in der Stadt, und blieb etwa neun bis zwölf Monate in dem möblierten Zimmer wohnen. Jetzt wird die Nachfrage breiter: Auch Menschen mit einem gesetzteren Leben, ein paar Jahre älter, mit Partner, suchen die Anbindung an eine Gemeinschaft, den kuratierten Lifestyle und den Zugriff auf zahlreiche Services wie etwa Reinigung auf Knopfdruck. Co-Living wird erwachsen. Als Konsequenz expandiert Quarters nicht nur mit WGs, sondern auch Studios und Zweizimmerwohnungen. Potenziell auch über die Konvertierung von Hotels – eine Opportunität der Krise. Und bringt damit aus der Nische heraus einen längst brodelnden Trend des
Wohnungsmarktes in die Breite: Wohnen als Service. Die Wohnungswirtschaft steht vor einer Service Revolution, in der Dienstleistungen Teil des Angebotes werden. Es reicht schlicht nicht mehr, Mietern den Schlüssel für ihr Apartment in die Hand zu drücken und dann zehn Jahren
lang nichts von sich hören zu lassen.

„Das Co-Living-Gebäude ist in Schichten gedacht: Das eigene Zimmer, die WG, die Gemeinschaftsflächen.“
Wenn wir die Lehren der Corona-Krise für die Immobilienbranche ziehen, hat die Logik des Co-Living Gebäudes Modellcharakter. Es organisiert maximal sicher und effizient alles digital über eine App, es integriert sich in die Nachbarschaft, ist maximal effizient in der Flächennutzung.
Und es ist in Schichten gedacht: Das eigene Zimmer ist privater Rückzugsraum, die WG ermöglicht Zusammenkommen im kleinen Kreis, die Gemeinschaftsflächen bringen alle zusammen. Die Nutzung ist flexibel und modular. Diese flexible Raumgestaltung mit Bewegungs- und Isolationsmöglichkeiten war nie so wichtig wie während des Corona-Lockdowns – und ist in der Standard- und Familienwohnungen kaum möglich. Ihr Grundriss
passt nicht zu parallelem Wohnen und Arbeiten. Gleichzeitig sind Wohnungen mit separatem Arbeitszimmer keine breitentaugliche Antwort auf die neue Realität: Der Großteil der Mieter wird sich nicht aussuchen können, einfach ein Zimmer mehr zu nehmen. Es braucht nicht nur flexibel gedachte Lösungen, sondern auch bezahlbare. Und damit kommen wir an der Gestaltung von geteiltem Raum nicht vorbei. Nur dass dieser vielleicht nicht mehr Großraumbüro heißen wird. Wer Straßen sät, erntet Autos, sagt man. Wer Fahrradwege
sät, erntet Fahrräder. Ein Raum mit vielen Stühlen belebt sich nicht von selbst. Aber wer Häuser um eine Gemeinschaft herum plant, ja, der wird Gemeinschaft ernten. Davon bin ich überzeugt. Und die brauchen wir dringend, in unseren Städten – auch und gerade in Zeiten der Pandemie.

Die Logik des Co-Living Gebäudes hat Modellcharakterfür die Immobilienbranche.

Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Immobilienwirtschaft“ erschienen.

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