Na, kommt ja wohl noch mehr, oder?“ – eine zuletzt häufig gestellte Frage inklusive einer klaren Positionierung der eigenen Meinung. Spätestens, nachdem die Expo Real in München zu Ende war, konnte man die Skepsis in den „robusten“ Q3-Transaktionswerten ablesen. Der unglaublich lange, seit 2012 andauernde Aufschwung an den Immobilieninvestmentmärkten fand im Jahr 2021 seinen Höhepunkt, im Jahr 2022 ging es wieder bergab. Gleichwohl verzerrt der reine Blick auf die nüchternen Zahlen die kumulierten Risiken, welche sich seit 2020 aufgetan haben: Gemeint sind die Auswirkungen der Pandemie, des Krieges in der Ukraine, die Inflation und die zunehmenden Zinserhöhungen der Notenbanken. Natürlich muss man dabei zwischen den Miet- und den Investmentmärkten trennen. Um es deshalb weniger analytisch zu sagen: An den Mietmärkten sind weiterhin solide Ergebnisse zu verzeichnen, an den Investmentmärkten wird das Wort „Abwarten“ zum Stereotyp, um Immobilieninvestitionen nach 2023 zu schieben. Ob dann die im Oktober 2022 postulierte wirtschaftliche Rezession in Deutschland diese Hoffnung unterstützt, darf eher bezweifelt werden.
Strukturelle Risiken voraus?
Aus der Perspektive zu Beginn der Pandemie mit allerlei Horrorszenarien stellt dies aber eine verhalten positive Botschaft dar. Rückgänge oder gar Rezessionsszenarien fallen augenscheinlich reduzierter aus als zu Beginn der Pandemie 2020 prophezeit. Wieder einmal scheint die traditionelle zyklische Trägheit bzw. geringe Reaktionsgeschwindigkeit der gewerblichen Immobilienmärkte das Schlimmste an uns vorbeiziehen zu lassen. Doch strukturelle Gefahr droht aus einer anderen Ecke: Mit dem weiteren Fortschreiten der ESG-Anforderungen an Unternehmen und damit auch Gebäude wird eine neue Einpreisung bei Bestandsobjekten logische Konsequenz. Und diese wird sich dramatischer zeigen als lediglich in einer Veränderung des Verkehrswerts. Das Gleiche gilt auch für die Einpreisung von Neubau- Objekten mit dem höchsten Energiestandard in zentralen Lagen: Hier zeigt sich deutlicher denn je die Existenz des in der Vergangenheit beschworenen „green premium“, also eines Preisaufschlags für das nachhaltigste Gebäude am jeweiligen Markt. Diese Spreizung der Verkehrswerte wird damit symptomatisch für den aktuellen Marktumschwung. Ein neuer Begriff macht deshalb bei Investor:innen die Runde – die sog. „Stranded Assets“. Also nicht mehr marktgängige Objekte aufgrund von verschärften energetischen Anforderungen an Gebäude bzw. Standorte. Dass die zunehmenden Verschärfungen an „energetischen Belange im Gebäudesektor“ längst auch eine Marktrelevanz eingenommen haben, ist nicht mehr zu bestreiten.
Der lange Weg der Dekarbonisierung
Doch man kennt es aus der Politik, aber auch aus Sitzungen der Geschäftsbereiche: Das Ziel ist klar definiert, doch der Weg diffus – voller Risiken, sagen die einen. Aber mit jeder Menge Chancen die anderen. Mehr noch: Wenn man nicht auf Erfahrungen zurückgreifen kann, wird klar: Gebäude-Zertifikate leisten lediglich einen sehr kleinen Beitrag, wie die Immobilienbranche sich mittlerweile eingestehen muss. „Grüner Beton“ (noch im Forschungsstadium) und auch der aktuelle „Run auf die Holzhybridbauweise“ lassen keine wirkliche Skalierung einer CO2-Reduktion im Gebäudebestand zu. Deshalb sind viele Schritte „learning by doing“. Und wenn das Ganze noch die Dimension „Umbau der Ökonomie in Richtung Dekarbonisierung“ einnimmt, wird klar: Wir sprechen von einem dicken Bewertungsbrett, welches es zu bohren gilt, und das nicht bei der Frage stoppt, ob Atomenergie eine „grüne Technologie“ ist. Spätestens an dieser Stelle der Argumentationskette merken wir, dass im aktuellen Hype um ESG & Co. die Zielvorgaben sehr spezifisch definiert sind (1,5-Grad- Ziel), danach aber der Weg auf der europäischen ökonomischen Ebene der EU-Taxonomie weiter diffus bleibt. Es folgen weitere Elemente wie die EU-Offenlegungsverordnung und der EU Aktionsplan Sustainable Finance. Alle verfolgen zwar das gemeinsame 1,5-Grad Ziel, für Immobilieninvestor:innen eröffnet sich aber ein breites Spektrum an möglichen Wegen zur Zielerreichung. Es ist deshalb eine Herausforderung, wenn man Objekte ankauft oder Immobilienportfolios verwaltet. Der Kunde hat berechtigterweise Fragen, da er selbst Teil eines Evolutionsprozesses der Messbarkeit zwischen GRESB, INREV oder Ecore Ratingsystemen ist. Welche reporting requirements werden sich als Marktstandard etablieren? Auch hier ein dynamischer Prozess: NFRD (Non-Financial Reporting Directive) und CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), welche die NFRD voraussichtlich 2023 ersetzt – was gilt demnächst? Ein Ziel, aber zu viele Umsetzungsmöglichkeiten. Eine Möglichkeit könnte sich bieten, wenn man den Fokus auf den CO2-Fußabdruck legen würde, zumal er Objekte länderübergreifend vergleichbar macht.
Marktwende
Marktkorrekturen sind im Jahr 2022 messbar und für das Jahr 2023 nun erwartbar: Die Zinswende, eine Rekordinflation und die weiterhin hohe Inflationsrate führen insgesamt zu einem vorsichtigeren Agieren von Investor: innen, Unternehmen oder Mieter:innen auf den Flächenmärkten. Die aktuell kaum greifbaren Auswirkungen des Ukrainekriegs für die kommenden vier Monate in Sachen Winter und Energiesicherheit setzen den Rahmen für ein weiteres grundsätzliches Abwarten. Ja, 2022 war ein Wendejahr und 2023 startet erst einmal ruckelig, bis sich die Verkehrswerte neu eingependelt haben. Mit dem Blick zurück wendet es sich zum vermeintlich Schlechteren, doch die Neubepreisung wird wieder für stärkere Investitionen sorgen, sobald Investor:innen davon überzeugt sind, dass der Markt ein geringes Verkehrswertrisiko aufweist. Dass ein milder Winter die konjunkturelle Stimmung wieder deutlich verbessern könnte, verdeutlicht die positive Komponente einer Marktwendesituation. ■