Auf Vielfalt setzen, zahlt sich aus

Chevelard

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Banking vom 20.09.2023

Unternehmen, die Diversität vernachlässigen, laufen Gefahr, abgehängt zu werden

Wer als Manager:in, Unternehmensberater:in oder Forschender ernstgenommen werden will, wird heute kaum mehr in Frage stellen, dass sich Unternehmen zu mehr Diversität hinbewegen müssen. Wohin man auch schaut – die Parteinahme für Vielfalt ist im Mainstream angekommen. Ob die Realität mit solchen populären Ansichten Schritt hält, ist die eine Frage. Die andere ist: Woraus speist sich diese Popularität? Ist es allein das ethisch begründete Handeln oder gibt es auch eine ökonomische Komponente, die für die Umsetzung von Diversitätsstrategien spricht? Anders gefragt: Aus welchen Interessen heraus streben Unternehmen eigentlich nach Vielfalt: Aus gesellschaftlichen – als guter „Corporate Citizen“ – oder aus wirtschaftlichen, explizit auch im Sinne des Geschäftserfolgs?

Und noch einmal anders gefragt: Ist ein positiver Beitrag von Diversität zum Geschäftserfolg womöglich gar eine Voraussetzung dafür, solche Initiativen voranzutreiben? Für mein Unternehmen, die TARGOBANK, kann ich diese Frage klar mit „Nein“ beantworten. Um bei uns eine Initiative für mehr Diversität zu realisieren, muss niemand einen Business Plan vorlegen. Und ganz allgemein sollte das Engagement für Vielfalt einfach, weil es das richtige Handeln ist, stets als Begründung genügen. Damit könnte dieser Artikel hier bereits zu Ende sein.

Studien belegen wirtschaftliche Vorteile von Diversität

Nun gibt es aber eine sehr große Zahl an Studien, die den wirtschaftlichen Vorteil untersuchen, den Unternehmen erzielen, wenn sie auf mehr Vielfalt setzen (der Platz, den dieser Artikel beansprucht, wäre kaum ausreichend für eine vollständige Bibliografie). Statistisch auffällige Korrelationen von Diversität und guten Kennziffern werden darin häufig beobachtet. Schwieriger ist es mit dem Nachweis eines Kausalzusammenhangs beider Bereiche. Schließlich lassen sich weder Laborsituationen herstellen noch Kontrollgruppen heranziehen, wie das für wissenschaftlich belastbare Aussagen erforderlich wäre.

Will man die Auswirkung von Diversitätsmaßnahmen auf den Unternehmenserfolg beschreiben („messen“ wäre wohl ein zu ambitionierter Begriff ), muss man eine gewisse Hellhörigkeit dafür entwickeln, inwieweit Vielfalt die Strukturen und Prozesse im „Ökosystem“ eines Unternehmens beeinflusst – und wie diese wiederum auf den Geschäftserfolg wirken.

Aber beginnen wir bei den Menschen, die dort arbeiten: Es gibt unterschiedliche Altersgruppen, mehr Geschlechter als weiblich und männlich, unterschiedliche sexuelle Orientierungen, verschiedene ethnische und kulturelle Hintergründe sowie unterschiedliche körperliche oder mentale Voraussetzungen. Hinzu kommen weitere Aspekte wie die soziale Herkunft, der berufliche Werdegang oder Meinungen und Einstellungen. Die Kombination der unterschiedlichen Facetten von Diversity führt zu unzähligen Ausprägungen – und ebenso vielen Erfahrungshorizonten und Sichtweisen.

Hier zeigt sich ein erstes, starkes Indiz: Nur wer alle Perspektiven berücksichtigt, sieht das große Ganze – und ist dann erst in der Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen. Das gilt übrigens nicht nur für Führungsgremien; jedes Projekt- oder Kundenteam profitiert vom multiperspektivischen Agieren. Divers zusammengesetzten Teams werden auch bessere Fähigkeiten bei der Risikoabwägung bescheinigt – insbesondere Gruppen, die aus Männern und Frauen bestehen. Fehler, die durch einseitige Sichtweisen bedingt sind, lassen sich durch die Multiperspektive früher erkennen und beseitigen.

Aus ähnlichen Gründen gelten diverse Entwicklungsteams auch als innovativer. Trifft ein reicher Erfahrungsschatz auf den Drang, neue Lösungswege auszuprobieren, ergibt sich eine kreative Reibung, die Neues mit höchster Qualität entstehen lässt.

Diversität bei der TARGOBANK

Es gibt aber auch eher profane Gründe, auf Vielfalt im Personal zu setzen – und damit komme ich konkret zu meinem Unternehmen, der TARGOBANK. Die für uns nach wie vor wichtigen Privatkund:innen decken im Grunde die gesamte Breite und Diversität der Gesellschaft ab. Daher müssen wir auch die ganze Vielfalt der Kund:innen, die wir betreuen, vertreten. Um unser Erfolgspotenzial zu erhalten, leben wir seit langem eine Politik der Vielfalt und des Agierens auf Augenhöhe zwischen Kund:innen und Mitarbeitenden. Wenn unsere personelle Zusammensetzung diese Vielschichtigkeit widerspiegelt, erleichtert und verbessert das die Kommunikation in vielen Beratungssituationen.

Bei uns arbeiten Menschen aus über 80 Nationen – und diese Vielfalt gibt es nicht erst seit Kurzem, sondern seit vielen Jahren. Ohne dass es dazu einen entsprechenden Managementbeschluss geben musste. Vielmehr repräsentieren die Menschen, die sich bei uns bewerben und hier erfolgreich arbeiten, eine große Breite der Gesellschaft. Die TARGOBANK lebt Diversity damit seit vielen Jahren quasi urwüchsig. Es herrscht hier seit Langem die Kultur, auch denen eine Chance zu geben, die vielleicht nicht auf den ersten Blick ins klassische Bankberater: innen-Schema passen. Diese Offenheit ist uns schon früher zugutegekommen – und sie zahlt sich heute wirklich aus.

Fachkräfte, gut ausgebildet und motiviert, sind längst rar – aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich dies noch verschärfen. Wer bei der Personalsuche bestimmte Gruppen von vornherein durchs Raster fallen lässt, gräbt sich selbst das Wasser ab.

Aber auch das Verhältnis der Geschlechter ist ein zentrales Diversity-Thema. Mit Blick auf das Geschlechterverhältnis stehen wir in der TARGOBANK vergleichsweise gut da: In unserem Haus arbeiten nahezu gleich viele Frauen (49 Prozent) wie Männer (51 Prozent). Unser Vorstand ist paritätisch besetzt und unsere Führungsriege besteht aus 35 Prozent Frauen. Damit sind wir besser als der deutschlandweite Durchschnitt: Laut Destatis war 2022 hierzulande nur knapp jede dritte Führungskraft (28,9 Prozent) weiblich. Darüber hinaus gibt es kein strukturelles Gender Pay Gap bei der TARGOBANK. Aber wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Wie vor 30 Jahren, als ich in unserem Business anfing, sind die Räume, in denen Entscheidungen getroffen werden, überwiegend mit Männern besetzt. Auch deshalb machen wir die Diversity und Gender Balance zu zentralen Themen unserer internen Kommunikation. Es gibt regelmäßige Informations- und Diskussionsformate sowie Diversity-Workshops, vor allem für Führungskräfte.

Der Weg ist noch lang – aber es lohnt sich, ihn zu gehen

Will man einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit der Geschlechter leisten, geht es nicht nur darum, Teilzeitangebote für Frauen und in Führungspositionen zu schaffen, sondern auch ganz gezielt für Männer. Indem sie mehr Aufgaben und Verantwortung im Haushalt und für die Familie übernehmen, werden zum einen diese Lasten gleichmäßiger verteilt, zum anderen führt es zwangsläufig zu anderen Sichtweisen und Blickwinkeln bei unseren männlichen Angestellten – was wir als einen Gewinn, letztlich auch im materiellen Sinne, betrachten.

Meiner Meinung nach ergibt sich der mit Abstand triftigste Beweis für die ökonomische Unverzichtbarkeit von Diversity-Maßnahmen, indem man ihr Gegenteil ad absurdum führt. Stellen wir uns vor, wir drehen alle Elemente, alle Fortschritte auf Null zurück. Zurück zu einem Unternehmen mit niedrigem Anteil von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Kaum eine Frau, niemand mit arabischen, afrikanischen oder asiatischen Wurzeln bekleidet eine Führungsposition. Menschen mit homosexuellen Neigungen oder geschlechtlich divers lebende Mitarbeitende werden womöglich ganz aus dem Unternehmen gedrängt, Menschen mit Behinderung gar nicht erst eingestellt. Können wir uns das überhaupt noch vorstellen? Wie wollen wir unsere Ziele – auf Absatz, stabile Betriebsabläufe oder Innovation bezogen – dann noch erreichen? Wie wollen wir unsere Kundinnen und Kunden beraten? Welche Umsatz- und Gewinnentwicklung sehen wir dann vor uns? Mit einem solchen Szenario vor Augen erkennen wir, dass plötzlich nicht (nur) die für Gleichstellung verantwortliche Führungskraft auf die Barrikaden geht, sondern es werden Vertrieb, Marketing, Controlling und natürlich die gesamte Personalabteilung sein, die genau wissen, dass sie ihre Ziele mit einem Unternehmen, wie es noch vor 25 Jahren ausgesehen hat, heute auf keinen Fall mehr erreichen könnten. Es gibt also kein Zurück, auch kein Stehenbleiben – es kann nur ein „Weiter voran!“ geben.

Doch ist die Gesellschaft, präziser formuliert der männliche, dominierende Teil der Bevölkerung schon soweit? Hier geraten wir in ein Konfliktfeld. Fakt ist: Der tatsächliche Wandel in der Gesellschaft – durch die ethnische und demografische Zusammensetzung der Bevölkerung mit immer besser ausgebildeten und selbstbewussteren Frauen – schreitet rascher voran als das Bewusstsein in vielen Köpfen.

Als verantwortliches, aber auch erfolgsorientiertes Unternehmen richten wir uns zuerst nach den Realitäten und erst dann nach den Meinungen dazu. Zweifellos ist es unverzichtbar, die Menschen auf diesem Weg zu mehr Diversity „mitzunehmen“. Das gelingt aber nicht, indem man einfach langsamer wird und wartet, bis auch der letzte Beharrende bereit ist, einen ersten Schritt zu tun. Das wird nur funktionieren, indem man selbstbewusst vorangeht, im Wissen, das Richtige zu tun – und dabei klar und offen kommuniziert. Die weit verbreitete „Immediateness“ – das Gefühl, dass wir alles jetzt sofort umsetzen müssen – ist für die nachhaltige Implementierung von Vielfalt eher hinderlich als hilfreich. Denn die zu absolvierende Strecke ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint. Diese braucht einiges an Zeit, Anstrengung und Ausdauer. Aber ich bin zutiefst überzeugt: Es lohnt sich!

Wenn unsere personelle Zusammensetzung die Vielschichtigkeit unserer Privatkund:innen widerspiegelt, rleichtert und verbessert das die Kommunikation.

Isabelle ChevelardVorstandsvorsitzende, TARGOBANK
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