Arbeit 4.0: Zukunft wird im Büro gemacht

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 30.08.2022

Seit der Pandemie sind wir nur noch mit uns selbst beschäftigt. Wir diskutieren über Anwesenheitsquoten oder mobiles Arbeiten; die Frage, wann unsere Mitarbeitenden im Büro sein sollen, beschäftigt uns seit Monaten mehr als alles andere. Wir ärgern uns, dass montags und freitags die Büros leer sind und die Mitarbeitenden ohnehin nur ungern wieder zurück in die Bürotürme kommen. Dabei belegen Studien, dass viele Mitarbeitende sogar mehr Zeit im Homeoffice mit der Arbeit verbracht haben, als sie es im Büro getan haben. Aber was genau haben sie mehr gearbeitet? Sie haben sich stundelang durch hybride Meetings gequält und danach ihr Bestes gegeben den Status quo von vor der Pandemie aufrecht zu erhalten. Aber diese Art von Arbeit ist nicht die Arbeit, aus der Zukunft gemacht wird.

Heben wir die Perspektive etwas an: Was werden denn die Erfolgsfaktoren für zukunftsorientierte Arbeit sein?

  1. Entwicklung innovativer Produkte und Geschäftsmodelle
  2. Digitalisierung von linearen Arbeitsaufgaben
  3. Gewinnen und Halten kreativer Köpfe
  4. Bereitstellen von Räumen, die Präsenz fördern

Entwicklung innovativer Produkte und Geschäftsmodelle
Beratungsunternehmen analysieren seit Jahren, was die zukünftigen Erfolgsfaktoren sein, welche Produkte und Services im Jahr 2030 relevant sein werden. Eines der erstaunlichen Ergebnisse ist, dass die Produkte der Zukunft heute noch gar nicht auf dem Markt sind. Glauben Sie nicht? Haben Sie 2006 gedacht, dass Sie 2007 unbedingt ein mobiles Telefon brauchen, das fotografieren kann, aber eine schlechte Akkulaufzeit hat? Nokia hat das auch nicht geglaubt, obwohl sie jährlich hohe Summen in Innovation investiert haben. Und obwohl sie sowohl das Smartphone als auch das Tablet fertig entwickelt in der Schublade hatten, haben sie es nicht weiterverfolgt, denn im Juni 2007 hat Nokia sich für das beste Jahr aller Zeiten gefeiert. Warum also den Markt beobachten oder an neue Produkte denken? Nur drei Monate später, ab September 2007, sind Nokias Umsätze immer weiter in sich zusammengebrochen, denn Apple hatte das iPhone auf den Markt gebracht.

Taxis haben Uber nicht gesehen, Hotels haben Airbnb nicht gesehen und viele weitere Beispiele wie Kodak sollten uns aufhorchen lassen. Jeder von uns ist gefährdet, auch wenn es gerade nicht den Anschein macht – willkommen in der VUCA-Welt.

Digitalisierung von linearen Arbeitsaufgaben
Selbst, wenn Sie nicht vorhaben, weiter in digitale Tools zu investieren oder zufrieden sind mit Ihrem jetzigen Status oder womöglich immer noch der Meinung sind, Sie brauchen das alles gar nicht: Ihre Wettbewerber sehen das eventuell anders. Es müssen noch nicht mal alle sein, aber sobald der erste beginnt, wird das zu Ihrem unternehmerischen Problem werden. Warum? Algorithmen haben die Eigenschaft, dass sie nachts nicht schlafen. Sie können 24/7 für das Unternehmen arbeiten. Ein Algorithmus meldet sich nicht krank, fühlt sich nicht zu wenig wertgeschätzt und braucht auch keinen Urlaub. Ein Algorithmus beschleunigt die Art, wie er arbeitet, eigenständig und lernt dazu. Sie müssen ihn nicht dazu motivieren oder zu einer Schulung schicken. Sobald ein Unternehmen in Ihrer Branche den Schritt geht, haben Sie genau zwei Möglichkeiten: Sie investieren und versuchen, den Wettlauf gegen die Zeit aufzunehmen, oder Sie sehen zu, wie Ihr Wettbewerber z. B. im Bereich Service oder Back Office immer mehr an Fahrt aufnimmt.

Was für Sie noch schlimmer wäre? Ihr Wettbewerb nimmt das Budget, was er nicht mehr in lineare „Abarbeiter“ steckt, und investiert in kreative Köpfe, die ihm neue Produkte und Innovationen präsentieren. In Zukunft werden viele Berufe der alten Welt verschwinden und neue Jobs werden sich entwickeln, die wir heute noch nicht mal erahnen können. Am Ende des Zeitalters der Arbeit 4.0 wird es eine große Anzahl Menschen geben, deren Jobs und dazu benötigten Fähigkeiten unwiderruflich verschwunden sind. Bosch und einige andere zukunftsorientierte Unternehmen haben bereits begonnen, ihre Mitarbeitenden mit neuen zukunftsorientierten Fähigkeiten auszubilden. Es wird eine Zeit kommen, in der wir Mitarbeitende nach Fähigkeiten, Talenten und Charaktereigenschaften aussuchen, und nicht mehr nach Studienabschluss und Arbeitszeugnissen von Berufen, die es längst oder bald nicht mehr gibt. Und spätestens dann müssen Ihre Unternehmen so attraktiv sein, dass die wenigen Bewerber Sie überhaupt in Erwägung ziehen.

Gewinnen und Halten kreativer Köpfe
Wenn es die Produkte, Services und Angebote, die Sie in Zukunft relevant und erfolgreich machen, heute noch gar nicht gibt, dann sollten wir die kreativsten und erfinderischsten Menschen einstellen, die es auf dem Markt gibt. Denn sehr wahrscheinlich sieht es bei Ihnen genauso aus wie in den allermeisten Unternehmen Deutschlands: Laut einer Gallup Studie aus dem Jahr 2020 haben 15 % der Mitarbeitenden bereits innerlich gekündigt, 68 % machen Dienst nach Vorschrift und nur 17 % sind High-Performer. In den USA sieht die prozentuale Verteilung in den Unternehmen wie folgt aus: 17 % haben innerlich gekündigt, 51 % machen Dienst nach Vorschrift und 32 % sind High-Performer.

Wenn man jetzt schaut, wer die Global Player am Markt sind – wir sprechen von Apple, Meta, Tesla, Amazon, Alphabet etc. – kann der hohe Anteil an High-Performern kein Zufall sein. Dieser Anteil macht den großen Unterschied im Erfolg dieser Unternehmen aus.

Sie werden ad hoc keine High-Performer finden, aber Sie könnten Folgendes tun: Studien belegen, dass das schlechteste Verhalten, das eine Führungskraft akzeptiert, Benchmark für schlechtes Verhalten der Gruppe ist. Wenn Sie die 15 % finden, die bereits innerlich gekündigt haben, versuchen Sie, sie loszuwerden. Folgenden Effekt werden Sie spüren: Ihre „Dienst nach Vorschrift“ Kandidat:innen werden einen Schritt nach vorne machen und bei Ihren High-Performern gewinnen Sie an Respekt. Denn diese sehen nun, dass Performance anerkannt und Low Performance nicht akzeptiert wird.

Lesen oder hören Sie sich einmal das Buch „Keine Regeln: Warum Netflix so erfolgreich ist“ an. Sie werden vieles mitnehmen können und ein genaueres Bild davon bekommen, wie man die richtig guten Leute findet, anwirbt und – ganz wichtig – behält. Menschen sind Ihr neues Kapital, nichts wird Sie in Zukunft mehr beschäftigen, als die richtigen Köpfe für Ihr Unternehmen zu begeistern.

Bereitstellen von Räumen, die Präsenz fördern
Das Büro hat sicher nicht ausgedient und ganz bestimmt werden wir auch nicht die in der Pandemie gewonnene Freiheit, von überall arbeiten zu können, komplett aufgeben wollen.

Die weiße Tischplatte und ein steriles Umfeld waren für die klassische Abarbeitung linearer Aufgaben genau richtig. Nichts lenkte von Routineaufgaben ab. Mit der Digitalisierung dieser Aufgaben geht auch eine Möblierungsära des Büros zu Ende. Wir müssen heute Räume schaffen, die uns helfen, Ideen und Erfindungen zu kreieren, die uns überhaupt eine Zukunft ermöglichen. Wir brauchen Räume mit einer Innenarchitektur, die Kreativität fördert.

Menschen brauchen Menschen, um das Beste aus sich herauszuholen. Wir brauchen Gesprächs- und Diskussionspartner:innen, mit denen wir uns austauschen und mit denen wir kreativ werden können. Wir brauchen Räume, in denen wir zusammenkommen und in denen wir spüren, dass wir gemeinsam an unseren Zielen arbeiten können. Wir sollten Räume schaffen, die uns inspirieren, in denen wir uns wohlfühlen und Beziehungen aufbauen können.

Wir wissen heute sehr genau, was Menschen brauchen, um neue Gedanken und Ideen zu entwickeln. Warum nutzen wir dieses Wissen kaum? Desk Sharing und ein Obstkorb machen noch kein New Work-Büro. Amazon, Facebook und Microsoft bauen nicht nur einen Campus, weil sie ihren Mitarbeitenden eine Wohlfühloase bieten wollen. Sie tun das, weil sie wissen, wie der Mensch, sein Gehirn und sein Geist funktionieren, und schaffen daher Orte, an denen sich Menschen gerne aufhalten und ihren Geist entfalten können. Amazon hat die Spheres in Seattle nicht nur aus Prestigegründen gebaut. Wenn Amazon-Mitarbeitende nach langen Besprechungen oder konzentrierten Arbeitsphasen eine Erholungspause brauchen, finden sie auf dem Gelände eine grüne Oase, in der sie Kraft tanken können. Nach einem Aufenthalt in einer der von Tageslicht durchfluteten Kuppeln, umringt von einer grünen Komposition aus natürlichen Pflanzen, Steinen und Holz, ist man wieder fit für neue Aufgaben.

Das Büro der Arbeit 4.0 wird ein Ort sein, an dem kreative, soziale und erfinderische Menschen zusammenkommen, um neue Dinge zu entwickeln. Das Büro wird die Heimat vieler sein, die unsere Zukunft gestalten. Das Büro wird eine Summe von Räumen sein, in dem wir alle zusammen sein können, um Zukunft zu gestalten.

Wir wissen heute genau, was Menschen brauchen, um Ideen zu entwickeln. Warum nutzen wir dieses Wissen kaum?

Deborah ReichertsHead of New Work and Workplace Transformation, LBBW Corporate Real Estate Management GmbH
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