4 Stunden vs. 4 Wochen: Wie Challenger Banks deutsche Baufinanzierer unter Druck setzen

Wie neue Wettbewerber die Spielregeln ändern und deutsche Banken zum Handeln zwingen

Es ist Montagmorgen, 9:30 Uhr. Familie Müller sitzt in der Filiale ihrer Hausbank und reicht alle Unterlagen für ihren Baufinanzierungsantrag ein. „In drei bis vier Wochen haben wir eine Antwort für Sie“, erklärt der Berater routiniert. Gleichzeitig werben deutsche Direktbanken wie DKB und ING bereits mit vollständig digitalen Baufinanzierungsprozessen – und können dadurch Kreditentscheidungen in Stunden statt Wochen treffen. Ein Tempo-Unterschied, der nicht nur unangenehm ist – er wird zum Geschäftsrisiko.

Die deutsche Realität: Ein System am Limit

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: In deutschen Banken fließen durchschnittlich 70% der Arbeitszeit in die manuelle Prüfung und Übertragung von Daten aus über 30 verschiedenen Dokumenten. Mehr als die Hälfte aller Baufinanzierungsanträge erreicht die Bank unvollständig oder fehlerhaft. Das Ergebnis? Wochenlange Hin- und Her-Kommunikation, frustrierte Kunden und überlastete Mitarbeiter.

Hinzu kommt der demografische Wandel: Der erfahrene Kreditanalyst, der mit seinem Bauchgefühl und jahrzehntelanger Expertise auch komplizierte Fälle schnell bewerten konnte, geht in Rente. Zurück bleiben jüngere Kollegen, die sich durch die gleichen manuellen Prozesse kämpfen müssen – nur ohne das intuitive Verständnis für Risiken und Ausnahmen.

Erschwerend kommt hinzu: Nach Jahren rückläufiger Volumina haben viele Institute ihre Kapazitäten reduziert. Manuelle Prozesse sind jedoch nicht skalierbar – wenn die Nachfrage wieder steigt, entstehen Engpässe und noch längere Wartezeiten. Ein Nachfrageanstieg von 10% kann die Durchlaufzeiten um 30-40% verlängern.

Diese Kombination aus ineffizienten Prozessen und schwindendem Erfahrungswissen führt zu einer paradoxen Situation: Je mehr Unterstützung die Teams bräuchten, desto weniger steht ihnen zur Verfügung.

Der neue Maßstab: 4 Stunden statt 4 Wochen

Während deutsche Banken noch an bewährten Abläufen festhalten, haben digitale Herausforderer neue Standards gesetzt. Die niederländische Bunq beispielsweise hat ihr Baufinanzierungsangebot 2021 gestartet und verspricht Kreditentscheidungen innerhalb eines Tages. N26, ursprünglich als deutsches FinTech gestartet, vergibt Immobilienkredite ebenfalls – allerdings konzentriert sich das Unternehmen zunächst auf den niederländischen Markt, wo höhere Margen erzielbar sind.

Der Unterschied liegt nicht nur in der Technologie, sondern in der grundsätzlichen Herangehensweise: Wo deutsche Banken jeden Einzelfall manuell prüfen, setzen diese Anbieter auf vollautomatisierte Risikobewertung und intelligente Datenverarbeitung. Dokumente werden nicht mehr händisch übertragen, sondern automatisch erkannt, klassifiziert und validiert.

Warum deutsche Banken zögern

Die Zurückhaltung deutscher Institute ist nicht unbegründet. Die Baufinanzierung gilt als besonders regulierungssensitives Geschäft. Compliance-Abteilungen warnen vor den Risiken automatisierter Entscheidungen, die Aufsicht ist traditionell vorsichtig bei Innovationen in diesem Bereich.

Erschwerend kommt hinzu: Deutsche Retailbanken müssen eine große Bandbreite an Bestandskunden mit individuellen Anforderungen bedienen – eine Komplexität, die Neobanks nicht haben. Dies macht Validierungs- und Analyseprozesse aufwändiger und schwerer zu standardisieren.

Doch diese Vorsicht wird zunehmend zum Wettbewerbsnachteil. Während deutsche Banken noch darüber diskutieren, welche Automatisierung regulatorisch vertretbar ist, schaffen internationale Wettbewerber Fakten. Sie beweisen: Schnelle, digitale Prozesse und solide Risikobewertung schließen sich nicht aus.

Der Druck wächst – von allen Seiten

Die Herausforderung für deutsche Banken verschärft sich von mehreren Seiten gleichzeitig:

Kunden, die in anderen Lebensbereichen an sofortige digitale Services gewöhnt sind, verstehen nicht, warum ausgerechnet bei der wichtigsten Finanzentscheidung ihres Lebens wochenlang gewartet werden muss. Besonders jüngere Käufer, die ihre ersten Immobilien finanzieren, erwarten die gleiche Geschwindigkeit und Transparenz wie beim Online-Shopping.

Gleichzeitig steigen die internen Kosten: Manuelle Prozesse werden bei steigenden Lohnkosten und sinkendem Personalangebot immer teurer. Was früher durch günstige Arbeitskraft kompensiert werden konnte, wird zur untragbaren Belastung.

Der Fachkräftemangel verschärft das Problem zusätzlich. Neue Mitarbeiter benötigen Monate, um die komplexen manuellen Abläufe zu erlernen. Erfahrene Kräfte sind schwer zu finden und teuer zu halten.

Drei strategische Ansätze

Angesichts dieses Drucks kristallisieren sich drei grundsätzliche Strategien heraus:

Die Ergänzungsstrategie setzt auf KI-Integration in bestehende Systeme für Routineaufgaben. KI-basierte Tools übernehmen Aufgaben wie Dokumentenerkennung, Plausibilitätsprüfungen und Datentransfer. Das vorhandene Expertenwissen wird durch intelligente Automatisierung skaliert. Dieser Ansatz ermöglicht schnelle Ergebnisse und geringere initiale Investitionen.

Die Agent-Strategie geht einen Schritt weiter: Hier übernehmen KI-Agenten komplexe Beratungs- und Entscheidungsaufgaben, die bisher nur erfahrenen Beratern anvertraut wurden. Von der Risikoanalyse bis zur Produktempfehlung – intelligente Systeme treffen eigenständig Entscheidungen auf Expertenniveau. Diese Strategie ermöglicht die schnellste Umsetzung hochkomplexer Automatisierung.

Die Komplettlösung bedeutet eine vollständige Neuentwicklung der Baufinanzierungsprozesse auf einer integrierten Plattform. Einige europäische Banken haben diesen Weg gewählt und berichten von Effizienzsteigerungen bis zu 60%. Diese Strategie ermöglicht maximale Optimierung und langfristige Skalierbarkeit, erfordert jedoch umfangreichere Investitionen und längere Umsetzungszeiten.

Die strategische Entscheidung

Alle drei Ansätze führen letztendlich zum gleichen Ziel: einem integrierten System, das Geschwindigkeit und Qualität vereint. Die Komplettlösung bietet dabei den Vorteil einer durchgängigen Optimierung ohne Systembrüche, während die Ergänzungsstrategie schnellere erste Erfolge ermöglicht.

Was sich jedoch nicht mehr aufschieben lässt, ist die Entscheidung selbst. Während deutsche Banken noch abwägen, erobern agile Wettbewerber Marktanteile. Die Frage ist nicht mehr, ob traditionelle Institute ihre Prozesse digitalisieren müssen – sondern welcher Weg am besten zu ihrer spezifischen Situation passt und wie schnell sie handeln können, um ihre Marktposition zu behaupten.

Der Wandel in der Baufinanzierung ist nicht mehr aufzuhalten. Deutsche Banken können ihn mitgestalten – oder ihm hinterherlaufen. Die Zeit für eine Entscheidung läuft ab.

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