von Dr. Ingrid Nestle
Unzureichendes politisches Handeln dreht bereits heute dem Ziel einer klimaneutralen Zukunft den grünen Strom ab. Waldbrände, Dürren, Extremwetterlagen und Ernteausfälle – die Konsequenzen spüren wir schon jetzt. Presseöffentlich versprachen vor fünf Jahren die Regierungen in Paris, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Händehaltend haben die Teilnehmenden gemeinsame Anstrengungen versprochen, worauf zu häufig politische Tatenlosigkeit folgte. Obwohl mehrere Studien die Dringlichkeit zu handeln bestätigen, realistische Lösungswege aufweisen und die technische Machbarkeit bestätigen, passiert viel zu wenig. Wir entwickelten Ideen, förderten Pilotprojekte und starteten Reallabore, aber wir verpassen es für die Technologie der Zukunft den passenden regulativen Rahmen zu schaffen.
Baustein Erneuerbare Energien
Die Energiewende bleibt das Schlüsselelement, um alle Sektoren zu dekarbonisieren. Ohne Erneuerbare keinen Kohleausstieg und keine Wasserstoffstrategie. Ohne Erneuerbare keine E-Mobilität, keine Wärmepumpen und keine emissionsfreien Prozesse in der Industrie. Es wird eine Verbrauchsverschiebung stattfinden, der Stromverbrauch wird zunehmen, der Verbrauch von Diesel und Benzin sowie Heizöl und Erdgas abnehmen.
So dringend wir mehr erneuerbaren Strom benötigen, umso schwerer schlägt der schleppende Ausbau zu Buche. Aktuell droht die Leistung der Windenenergie nach einem kräftigen Start sogar wieder zu sinken. Derartige Rückschritte können wir uns im Kampf gegen die Klimakrise nicht erlauben. Wer von Klimaschutz spricht muss auch von deutlich mehr erneuerbarer Energie sprechen. Die Weichen für eine klimaneutrale Energieversorgung müssen wir heute stellen. Dafür ist das Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) das zentrale Instrument. Die aktuelle Novelle hätte den Weg zu ausreichend erneuerbarem Strom frei machen müssen. Es ist vollkommen unverständlich, dass wir gerade jetzt aufhören Erneuerbare schnell auszubauen, wo diese Technologien günstig geworden sind. Denn Wind- und Solarstrom kosten heute weniger als Strom aus neuen fossilen Anlagen. Die aktuelle Gesetzesnovelle muss auch eine Lösung für Altanlagen und effektives Repowering beinhalten. Zusätzlich fehlen gute Konzepte für Bürgerenergie und Mieterstrom. Hier muss die Bundesregierung dringend nachsteuern.
Integration Erneuerbare Energien
Einzelne Erneuerbare Anlagen werden es nicht richten. Nur eingebunden in einen flexiblen Strommarkt können sie ihr volles Potenzial entfalten. Um die Klimaziele zu erreichen und Ressourcen effizient zu nutzen, müssen wir parallel die Stromnetze ausbauen und ihre Nutzung mittels Digitalisierung und neuer Technologien wie Netzboostern optimieren. Der Ausbau der Erneuerbaren in ganz Deutschland und die Erweiterung der Stromnetze sind keine Entweder-Oder-Entscheidung. Wir benötigen beide. Eine weitere wichtige Ergänzung sind verschiedene Arten von Speichern. Hier müssen aber viel stärker als bisher alle Lösungen in den Blick genommen werden. Zusätzlich zu Pumpwasserspeichern, Batterien und Co müssen wir auch das Potenzial sogenannter virtueller Speicher nutzen. Ein Beispiel für ein „virtuellen Speicher“ ist die Aluminiumproduktion in Deutschland.
Leicht angepasste Fabriken könnten ihren Stromverbrauch bis zu 48 Stunden verschieben. Eine einzelne erbringt die gleiche Speicherkapazität wie zwei Pumpspeicherwerke. Ähnliche Flexibilisierungspotentiale über Stoffspeicher und ein intelligentes Lastmanagement in der Industrie sind hoch und bisher unerschlossen. Diese Lösungen scheitern momentan an den Rahmenbedingungen am Strommarkt, die dieses systemdienliche Verhalten wirtschaftlich bestrafen, anstatt finanzielle Anreize zu setzen. Eine Überarbeitung der Rahmenbedingungen des Strommarkts ist überfällig, um die Erneuer baren zu integrieren.
Die Erneuerbaren können aber noch viel mehr. Um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten, ist die genaue Abstimmung von Frequenz und Spannung auf die Millisekunde genau unerlässlich. Bisher stellen meist konventionelle Kraftwerke die dafür erforderliche Regelenergie, um Schwankungen in den Stromnetzen auszugleichen. Erneuerbare Energien und andere nichtfossile Lösungen sind technisch absolut fähig diese sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Wir müssen sie nur lassen. Allerdings scheitert es heutzutage noch an der Regulierung. Es reicht nicht, dass Regelenergie und Co erneuerbar werden, wenn wir bei 90 Prozent Erneuerbare sind. Schon heute sind Marktsegmente und Vorgaben zügig zu schaffen.
Alternativen zu Wind und Sonne
Und wenn die Versorgung mit Solar- und Windenergie doch einmal nicht ausreicht? Diese nachgewiesen seltenen Zeiten können problemlos mit Wasserkraft, Bioenergie und modernen Gaskraftwerken, die erneuerbares Gas verwenden, im Zusammenspiel mit einer intelligenten Steuerung der Verbrauchsseite ausgeglichen werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir Investitionen im Stromsektor mit klaren Vorgaben verknüpfen. Für Gaskraftwerke würde dies bedeuten, dass zum Beispiel nur noch in Wasserstofffähige Kraftwerke investiert werden kann.
Wasserstoff gilt als klimafreundlicher Allrounder. Kaum ein Bereich, der nicht durch diesen Energieträger klimaneutral gestaltet werden soll. Doch die Träume mögen größer sein als die reale Verfügbarkeit. Wasserstoff wird dank seiner Flexibilität und Speicherfähigkeit ein wichtiger Player für die Energiewende darstellen. Aufgrund seiner hohen Umwandlungsverluste und noch ungeklärten Transportmöglichkeiten wird er sicher nicht im Überfluss zur Verfügung stehen und sollte daher überlegt in den Bereichen eingesetzt werden, wo eine Elektrifizierung schwierig ist. Die wahren Game Changer bleiben die Erneuerbaren.
Um die Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommen zu erreichen bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Deshalb müssen wir umso entschlossener ab sofort alle kommenden gesetzlichen Entscheidungen und Maßnahmen an ihnen messen. Es mag viele Wege nach Paris geben und noch viele Diskussionen zu führen sein. Doch es gelingt nur, wenn unsere Energieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare setzt.
Die wahren Game Changer bleiben die Erneuerbaren.
Dr. Ingrid Nestle, MdB
Sprecherin für Energiewirtschaft Bündnis 90/Die Grünen