Zum richtigen Umgang mit Whistleblowern

Deckt ein Arbeitnehmer rechtswidriges Verhalten von Arbeitgebern oder deren verantwortlichen Mitarbeitern auf, stößt dies selten auf Gegenliebe im Unternehmen. Der betroffene Arbeitnehmer muss mit Benachteiligungen durch den Arbeitgeber bis hin zur fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen.

Andererseits sieht sich der Arbeitgeber nicht selten mit wenig haltbaren Vorwürfen von Mitarbeitern konfrontiert, die dem Ruf des Unternehmens ernstlichen Schaden zufügen können. Was kann der Arbeitgeber tun und wozu ist er verpflichtet?

1. Neutrale und niederschwellige Anlaufstellen schaffen

Zunächst gibt das Aufzeigen eines Missstandes, egal ob berechtigt oder nicht, dem Arbeitgeber die Chance, die eigenen Abläufe zu verbessern. Es gilt deshalb, im Unternehmen eine Fehlerkultur zu etablieren, die das Offenlegen von Schwachstellen begrüßt, anstelle den Hinweisgeber als „Nestbeschmutzer“ zu diskreditieren. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass die Mitarbeiter eine Anlaufstelle vorfinden, die sich eines Hinweises unvoreingenommen annimmt.

Aus diesem Grund verpflichtet die Whistleblower Richtlinie1, die bis 17.12.2021 ins nationale Recht umgesetzt hätte werden müssen, Arbeitgeber dazu, vorrangig intern eine Anlaufstelle (z. B. einen Mitarbeiter der Personalabteilung) einzurichten, oder aber eine externe Stelle (etwa eine Anwaltskanzlei) zu betrauen. In beiden Fällen muss gewährleistet sein, dass der Arbeitnehmer eine unabhängige Stelle erreichen kann, die in der Bearbeitung der Beschwerde auch keinem Interessenkonflikt unterliegt (Art 18 leg. cit). Der Hinweis muss sowohl in mündlicher Form (z. B. per Telefon, oder auf Verlangen auch persönlich) als auch in schriftlicher Form möglich sein (Art 9 leg. cit).

Grundsätzlich gelten die Anforderungen für das Hinweisgebersystem nach der Whistleblower RL ergänzend zu bereits bestehenden Verpflichtungen etwa im Bereich der Finanzdienstleistungen nach dem KWG. Unberührt bleiben auch die Verpflichtungen, die sich aus dem AktG zur Abwendung von rechtswidrigen Zuständen ergeben oder die Verpflichtungen aus dem AGG . Erfasst ist auch nur ein bestimmter, eng umgrenzter sachlicher Anwendungsbereich, der eine Meldung von bestimmten, europarechtswidrigen Vorgängen schützen soll. Art 2 nennt dabei beispielsweise die öffentliche Auftragsvergabe, Produktsicherheit und Umweltschutz, Verbraucherschutz und Datenschutz.

2. Prüfen der Kritik

Der Arbeitgeber ist gut beraten zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die Kritik durch den Hinweisgeber berechtigt ist. Hier gilt, wie bei allen anderen Compliance-Verstößen auch, dass nur eine umfassende Aufklärung und Beseitigung eines rechtswidrigen Verhaltens strafmindernd für die Vergangenheit und strafvermeidend für die Zukunft wirken kann. Ergibt daher eine erste Prüfung, dass Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten vor liegen, ist der Arbeitgeber und damit auch dessen vertretungsbefugte Organe verpflichtet, alle notwendigen Schritte zu setzen, dieses abzustellen.

Die Whistleblower RL räumt dem Arbeitgeber nur eine verhältnismäßige kurze Zeit ein, innerhalb derer er zu reagieren hat. Der Arbeitgeber muss dem Hinweisgeber den Eingang der Beschwerde längstens innerhalb von sieben Tagen bestätigen (Art 9) und innerhalb angemessener Frist eine Rückmeldung an den Hinweisgeber über die weiteren Maßnahmen geben; angemessen ist nach der Richtlinie ein Zeitraum von höchstens drei Monaten.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie mit offenbar unberechtigter Kritik umzugehen ist. Wird ein Hinweis gegeben, der objektiv nicht zutrifft, ist er zumindest als Warnsignal dafür zu sehen, dass es vielleicht nicht an der Stelle ein relevantes Problem gibt, auf die der Hinweisgeber aufmerksam gemacht hat, aber vielleicht an einer anderen, die durchaus auch rechtlich relevant sein kann.

Wendet sich beispielsweise ein Mitarbeiter dagegen, dass angeblich zu Unrecht personenbezogene Daten über seine Gesundheit unternehmensintern weitergegeben worden sind, geht es auf den ersten Blick nur um datenschutzrechtlich relevante Themen. Dahinter kann aber auch ein ganz anderes Problem stehen, das etwa nach den Regelungen des AGG abzustellen ist. Deshalb muss gerade bei einer auf den ersten Blick unberechtigten Beschwerde auch hinterfragt werden, was der wahre Anlass ist, der den Mitarbeiter zu diesem Schritt veranlasst hat. Dazu ist der Arbeitgeber auch wegen der allgemeinen Fürsorgepflicht, die ihn trifft, verpflichtet.

Völlig haltlosen Vorwürfen ist der Arbeitgeber jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Sind die Vorwürfe substanzlos und dienen diese nur dazu, das Unternehmen oder dessen Mitarbeiter in Misskredit zu bringen, stehen dem Arbeitgeber alle arbeitsrechtlichen Sanktionen, bis hin zur außerordentlichen Kündigung offen.

3. Untersuchung und Abstellen der Rechtswidrigkeiten, Einführung eines rechtskonformen Vorgehens

Ergeben sich bei der ersten Prüfung tatsächlich Anhaltspunkte dafür, dass es rechtswidrige Vorgangsweisen gegeben haben könnte, sind interne und ggf. auch externe Untersuchungen unvermeidlich.

Der Arbeitgeber muss dann alle Maßnahmen setzen, die geeignet sind, Rechtswidrigkeiten zu beseitigen, und zu vermeiden, dass ein derartiges rechtswidriges Verhalten sich wiederholt. Diese Verpflichtung trifft die Unternehmensleitung und damit den Geschäftsführer persönlich, der ggf. dem Unternehmen auch persönlich zum Schadensersatz verpflichtet ist. 2

4. Schulung, Evaluierung

Unabhängig davon, ob es zu einem Verstoß gegen rechtliche Verpflichtungen gekommen ist oder nicht, sind die Mitarbeiter nachweislich über das rechtskonforme Vorgehen zu schulen, dies ist auch zu dokumentieren. Wurde auf Grund eines Hinweises eine Änderung der betriebsinternen Abläufe vorgesehen, sind diese nach angemessener Zeit zu evaluieren und ggf. auch anzupassen. Demnach sind der Geschäftsführer und auch die leitenden Angestellten zur Einführung eines Systems verpflichtet, das sicherstellt, dass die Rechtsvorschriften auch eingehalten werden.

5. Maßregelungsverbot

Der Arbeitgeber, der ein Hinweisgebersystem einführt, muss auch sicherstellen, dass der Whistleblower nicht deswegen, weil er Missstände offenlegt, Nachteile erleidet. Diese Nachteile können ganz unterschiedlich aussehen: Der Hinweisgeber kann sich in seiner Abteilung isoliert sehen und von wesentlichen Informationen abgeschnitten werden, so dass er seine Arbeitsleistungen nicht mehr ordnungsgemäß erbringen kann, er kann von Beförderungen ausgeschlossen werden oder ist vielleicht sogar mit einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bedroht.

Gemäß § 621 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer zulässigerweise seine Rechte ausübt. Das BAG nimmt jedoch grundsätzlich eine Treuepflicht des Arbeitnehmers an. Daher hat der Arbeitnehmer gegenüber Außenstehenden regelmäßig eine Verschwiegenheitspflicht zu wahren. Eine Anzeige aus Rache oder Missgunst kann nach Ansicht des BAG sogar eine Pflichtverletzung darstellen, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber rechtfertigt3. Hingegen hat das BVerfG klargestellt, dass die Aussagen, die ein Arbeitnehmer im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Arbeitgeber tätigt, den Arbeitgeber regelmäßig nicht zur Kündigung berechtigen.4 Die Verschwiegenheitspflichten des Arbeitnehmers sind auch durch das Geschäftsgeheimnisgesetz konkretisiert.

Die Rechtsprechung legt großen Wert darauf, dass der Arbeitnehmer zunächst innerbetriebliche Abhilfemöglichkeiten wahrnimmt, bevor er sich an die Öffentlichkeit wendet. Hält er diese Vorgabe nicht ein, riskiert der Arbeitnehmer, dass er ggf. sogar außerordentlich gekündigt werden kann. Anders ist dies nur dann, wenn es sich um besonders schwerwiegende Gesetzesverstöße handelt. Mit der Einschätzung, ob er berechtigt einen Missstand meldet oder sogar im Rahmen seiner Treuepflicht dazu dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet ist, oder nicht, wird der Arbeitnehmer häufig allein gelassen. Dies kann in der Praxis dazu führen, dass Arbeitnehmer Hinweisgebersysteme nicht oder nicht in dem Umfang nützen, wie dies aus Sicht der Geschäftsführung wünschenswert ist. Dies kann in der Praxis dazu führen, dass Arbeitnehmer Hinweisgebersysteme nicht oder nicht in dem Umfang Gebrauch nützen, wie dies aus Sicht der Geschäftsführung wünschenswert ist. Es ist daher sicherzustellen, dass das Hinweisgebersystem, das der Arbeitgeber etabliert, den Arbeitnehmer hinreichend vor etwaigen Repressalien schützt, z. B. durch die Möglichkeit anonymer Hinweise.

Spezielle Schutzbestimmungen für Whistleblower gibt es in Deutschland etwa in § 5 GeschGehG. Danach ist die Offenlegung von Geschäftsgeheimissen zulässig, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt.

Ein berechtigtes Interesse ist dann gegeben,

  • wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenbarung des Geschäftsgeheimnisses zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit erfolgt,
  • wenn dies der Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens dient und die Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen
  • wenn die Offenlegung gegenüber der Arbeitnehmervertretung, z. B. dem Betriebsrat, erfolgt und dies erforderlich ist, damit diese ihre Aufgaben erfüllen kann.

6. Kündigungsschutz

Die Whistleblower RL enthält in ihrem Anwendungsbereich einen Schutz vor Benachteiligung des Hinweisgebers in Art 19 leg.cit. Dieser Schutz bedarf jedoch der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten.

Voraussetzung ist, dass der Hinweisgeber zunächst die nach der RL vorgesehenen Meldemöglichkeiten (intern oder extern) nützt, und dies nicht zu einer Abhilfe geführt hat. Anders ist dies ausnahmsweise dann, wenn der Arbeitnehmer hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass eine unmittelbare Gefährdung öffentlicher Interessen vorliegt, insbesondere die Gefahr eines irreversiblen Schadens besteht (Art 15 Abs 1 lit b leg.cit). oder dass er bei einer externen Meldung mit Repressalien rechnen muss (Art 15 Abs 2 lit b leg cit).

Da Deutschland die RL bisher nicht umgesetzt hat, wird derzeit diskutiert, inwieweit die Richtlinie bereits jetzt unmittelbar auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist. Unabhängig davon, ob man eine mittelbare Drittwirkung der Richtlinie befürwortet, oder nicht, sind die Arbeitgeber jedoch zur richtlinienkonformen Auslegung bestehender Schutzbestimmungen verpflichtet. Handelt es sich daher z. B. um eine reine Vergeltungskündigung, die deshalb erfolgt, weil ein Hinweis gegeben wurde oder werden soll, dann verstößt die Kündigung unabhängig von der Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht gegen Treu und Glauben.

Einige Rechtsvorschriften enthalten zudem bereits jetzt ergänzend zum allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG noch einen besonderen Kündigungsschutz für Whistleblower, etwa § 17 Abs 2 ArbSchG, § 16 AGG, oder § 4 FinDAG.

FAZIT:

Unternehmen sollten Hinweisgebersysteme niederschwellig einrichten und auch scheinbar unberechtigte Hinweise ernst nehmen. Völlig haltlosen Vorwürfen kann das Unternehmen jedoch mit arbeitsrechtlichen Mitteln bis hin zur außerordentlichen Kündigung begegnen.

1 Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17)
2 LAG München I, 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, Schadensersatzpflicht von leitenden Angestellten für erforderliche Ermittlungskosten BAG 29.04.2021 8 AZR 276/20
3 BAG 7.12.2006, 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502
4 BVerG Urteil vom 2.07.2001, 1 BvR 2049/00