Wir ziehen in die Innenstädte

Baumärkte und Möbelhändler gehören zu den Branchen, die sich in der aktuellen Situation gut behaupten konnten. Weniger Urlaub, mehr Homeoffice, mehr Zeit zuhause: Da liegt es nahe, sich Wohnung oder Haus zu verschönern, das alte Sofa zu entsorgen, neue Ideen für drinnen und draußen zu verwirklichen. So sind in der Krise viele Menschen zu IKEA zum Einkaufen gekommen. Auch IKEA arbeitet an Zukunftskonzepten für innerstädtische Konzepte, beschleunigt die Digitalisierung und läutet ein neues Jahrzehnt der Nachhaltigkeit ein.

Die Handelsblatt Journal Redaktion sprach mit Dennis Balslev, Geschäftsführer von IKEA Deutschland über Krisenmanagement, die Vorteile einer digitalen Strategie und der großen Bedeutung einer nachhaltigen Agenda.

Herr Balslev, wie hat sich die Corona-Krise auf IKEA ausgewirkt?
Die Entscheidung, Mitte März alle Einrichtungshäuser für Kunden zu schließen, war keine einfache, aber die richtige Entscheidung. Heute kann ich sagen, dass ich sehr stolz bin auf das, was wir in einer Krise wie dieser erreicht haben.

Mit der Schließung haben wir vom ersten Tag an 90 Prozent unseres Umsatzes verloren. In einer unglaublich kurzen Zeit haben wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungshäusern neue Lösungen und Möglichkeiten gefunden, um die Kunden online zu treffen und ihnen dann ihre Ware zu übergeben, so wie sie es wünschen: entweder per Click&Collect oder wir liefern ihre Einkäufe direkt nach Hause. So haben wir einen großen Teil des Umsatzes während der Store-Schließung zurückgewinnen können. Dabei waren wir erfinderisch und haben neue Arbeitsweisen entwickelt, von denen wir nie geglaubt hätten, dass wir sie innerhalb einer Woche umsetzen könnten. Im Shutdown sehr gefragt waren übrigens Büro- und Balkonmöbel, mittlerweile ist es wieder das gesamte Sortiment

Dann haben wir Mitte April die ersten Häuser wieder geöffnet, selbstverständlich mit höchsten Sicherheits- und Hygieneauflagen. Seit diesem Tag hat sich unser Umsatz sehr positiv entwickelt, wir haben sogar das vorherige Geschäftsjahr übertreffen können. Darüber bin ich sehr froh und glaube auch, dass uns die Erschwinglichkeit unserer Produkte und der leichte Zugang zu IKEA sehr helfen. Wir alle verbringen gerade mehr Zeit daheim als sonst. Deshalb finden wir zu Hause viele Punkte, die wir verbessern können. Davon profitieren wir in hohem Maße. Wir konnten zum Geschäftsjahresende (31. August 2020) nicht nur das Vorjahresergebnis übertreffen, sondern auch unser Online-Geschäft deutlich ausbauen. Das ist eine gute Ausgangslage für das kommende Jahr.“

IKEA verfolgt nun auch innerstädtische Konzepte. Was hat Sie dazu bewogen, in diese Richtung zu gehen?
Das Konzept der großen Einrichtungshäuser auf der grünen Wiese mit Einrichtungsgegenständen zur Selbstabholung hat uns sehr erfolgreich werden lassen, aber wir sehen auch, dass sich die Welt und die Einzelhandelslandschaft rasant verändern. Immer mehr Menschen leben in Metropolen und Ballungsräumen und immer weniger Menschen besitzen ein eigenes Auto. Um fit für die Zukunft zu sein, haben wir als Ergänzung zu unseren großen Einrichtungshäusern neue Konzepte entwickelt, um den Bedürfnissen und Wünschen unserer Kunden weiterhin zu entsprechen und den vielen Menschen dort zu begegnen, wo sie sich bewegen.

Deshalb ziehen wir in die Innenstädte, und das nicht nur in Deutschland. Neue Formate in der City haben wir unter anderem in London, Madrid, Moskau, New York und Paris eröffnet. In den kommenden Jahren möchten wir in weltweit über 40 Metropolen vertreten sein – und eine dieser Metropolen ist Berlin.

Warum ausgerechnet Berlin?
Natürlich leben in der Hauptstadt schon jetzt viele IKEA Liebhaber und Fans. Wir haben in den vergangenen Jahren aber auch gesehen, dass viele Berliner gerne zu IKEA kommen möchten, den Weg zu dem nächstgelegenen Einrichtungshaus aber bisher als zu weit empfinden. Viele Berliner verzichten heute auf ein eigenes Auto, gehen lieber zu Fuß und nutzen das Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Genau an diesen Bedürfnissen und urbanen Entwicklungen sind unsere innerstädtischen Formate ausgerichtet. Hier haben wir gerade in Pankow das erste Planungsstudio für Küchen sowie Schrank- und Regalsysteme eröffnet, in wenigen Wochen ein weiteres in Potsdam. Hier steht Beratung an erster Stelle. Darüber hinaus möchten wir uns auch stets in die lokale Kommune integrieren. Dieser Strategiewechsel hat auch eine nachhaltige Komponente – denn wie viel Zeit möchten wir in Zukunft auf der Straße verbringen, um einzukaufen? Mit erschwinglichen Preisen und einem bequemen und nachhaltigen Lieferkonzept können wir auch einen Beitrag für Mensch und Umwelt leisten.

Was verbirgt sich hinter einem Planungsstudio?
Ein Planungsstudio ist ein Ort, an dem man Menschen treffen und sich für einen größeren und schwierigeren Kauf wie Küche, Bad oder Schlafzimmer beraten lassen kann. Sie buchen einen Slot, Sie kommen und werden unterstützt – und am Ende liefern wir die Produkte zu Ihnen nach Hause. Das andere Konzept, mit dem wir uns im Moment beschäftigen, ist die Frage, was es bedeutet, einen besonders kleinen Store zu haben. Wenn wir extra klein sagen, dann sind es 8.000 bis 10.000 qm in der Stadt – was im Einzelhandel nicht unbedingt klein ist. Hier werden wir auch Wohnaccessoires vorrätig haben, und auch kleinere Möbel – größere Möbel können zur Auslieferung bestellt werden.

Unsere Planungsstudios sind dort, wo die Menschen leben. Unser XS Store hingegen wird im Stadtzentrum sein. Hier sind wir gerade auf Standortsuche.

Mit diesen neuen Konzepten konzentrieren Sie sich auch auf digitale Dienstleistungen. Welche Art von Dienstleistungen können Ihre Kunden erwarten?
Die Automatisierung ist etwas, mit dem sich alle Einzelhändler befassen müssen. Wir sehen eine große digitale Agenda mit vielen Vorteilen – aber am Ende sind es unsere Mitarbeiter, die unser Geschäft unterstützen und ausmachen. Deshalb werden wir niemals ein digitales Unternehmen sein. Unsere Vision ist es, für viele Menschen einen besseren Alltag zu schaffen. Wir sehen die Digitaltechnik nur als eine Möglichkeit, das, was wir heute tun, noch besser zu machen.

Digitale Features ermöglichen es uns, die Menschen noch individueller zu erreichen und anzusprechen. Außerdem helfen sie uns, rund um die Uhr besser erreichbar zu sein, die Kunden können 24/7 mit IKEA in Kontakt zu treten. Dabei hilft uns zum Beispiel die neue IKEA App: An der Anzahl der Downloads seit Einführung sehen wir, dass die Kunden diese Erweiterung des Einkaufs- und Inspirationsmöglichkeiten sehr schätzen. Insgesamt ist es viel einfacher, Kunden zu treffen, wenn man eine gute digitale Plattform hat.

Mit der Digitalisierung können wir auch das Leben zu Hause besser machen, mit einigen intelligenten Produkten, die wir bereits heute implementiert haben – bei-spielsweise mit intelligenter Beleuchtung, Musik oder Rollos.

Eines der Hauptthemen des neuen IKEA Katalogs ist das Thema Nachhaltigkeit. Ist dieses Thema für Sie von besonderer Bedeutung?
Wir haben eine sehr ambitionierte Nachhaltigkeitsagenda. Bis 2030 möchten wir mehr als eine Milliarde Menschen inspirieren, ein besseres Leben innerhalb der Grenzen des Planeten zu führen. Darüber hinaus möchten wir bis 2030 klimapositiv werden, Ressourcen regenerieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Geschäft wächst. Und wir möchten einen positiven gesellschaftlichen Einfluss entfalten, der allen in der IKEA Wertschöpfungskette zugutekommt. Das ist eine große Herausforderung.

Damit möchten wir dafür sorgen, dass wertvolle Ressourcen auch für die nachfolgenden Generationen noch nutzbar sind. Wir entwickeln Produkte, die man lieben, reparieren, neuartig nutzen, wiederverwenden und recyceln kann. Wir kaufen Möbel zurück und schenken ihnen somit ein zweites Leben. Und wir verringern Lebensmittelabfälle, servieren in unseren Restaurants pflanzenbasierte Lebensmittel. Mit dem neuen PLANTBULLAR haben wir eine vegane Alternative zu unseren berühmten Fleischbällchen geschaffen, die sehr gut angenommen wird. Wir werden die nächsten Jahre weiter hart daran arbeiten, unser Geschäft auf Nachhaltigkeit auszurichten. Denn unser Planet ist unser Zuhause.

Vielen Dank für das Gespräch.