Whistleblowing in der GmbH – Zwischen Geschäftsgeheimnisgesetz und Whistleblowing-Richtlinie

Dr. Mayeul Hiéramente, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB (FHM), Hamburg

Der Begriff der „Leaks“ ist aus dem modernen Wortschatz kaum mehr wegzudenken. In steter Regelmäßigkeit berichten Journalisten auf Grundlage interner Dokumente und Informationen von (vermeintlich) anrüchigem oder gar strafbaren Verhalten in Unternehmen. Ob Steuervermeidungsoder Hinterziehungsmodelle, Korruption, Untreue oder Verstöße gegen Umweltstandards: Immer wieder werden Betriebsinterna von Hinweisgebern an öffentliche Stellen oder die Presse weitergegeben. Der deutsche Gesetzgeber hat sich ebenfalls der Thematik angenommen und sich den Schutz von Hinweisgebern auf die Fahnen geschrieben. Der Bundestag hat europäische Vorgaben zum Anlass für eine umfangreiche Reform des Geheimnisschutzrechts genommen und dabei auch weitergehende Anreize für Whistleblowing geschaffen. Jeder Geschäftsführer sollte sich mit diesen Regelungen vertraut machen und die notwendigen betrieblichen Vorkehrungen treffen.

NEUERUNGEN DURCH DAS GESCHÄFTSGEHEIMNISGESETZ
Im April 2019 ist das Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) in Kraft getreten und hat in einem neuen Stammgesetz den zivilrechtlichen und strafrechtlichen Umgang mit Geschäftsgeheimnissen neu geregelt. In Anlehnung an Art. 5 RL 2016/943/ EU hat der deutsche Gesetzgeber in § 5 Nr. 2 Gesch-GehG dabei auch eine Regelung zum Hinweisgeberschutz eingeführt. Agiert ein Hinweisgeber „zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens“ und ist „die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet [ist], das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“, so entfällt ein Verstoß gegen das GeschGehG und damit auch die häufig mit der Offenlegung von Betriebsinterna einhergehende Strafbarkeit. Damit wird das Whistleblowing bereits jetzt weitgehend entkriminalisiert. Aus Unternehmenssicht ist die getroffene Regelung indes aus zweierlei Hinsicht risikobehaftet.

Zum einen hat der Gesetzgeber als offenlegungswürdiges (sonstiges) Fehlverhalten auch einen rein „ethischen“ Verstoß als ausreichend erachtet. Eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist nicht erforderlich. Diese Regelung ist in der Praxis kaum greifbar und öffnet Tür und Tor für leichtfertige Veröffentlichungen von Geschäftsgeheimnissen. Zwar hat der Rechtsausschuss im Laufe der Verhandlungen klargestellt, dass insoweit auf ein „objektivierbares Rechtsverständnis“ abzustellen sei und im Normtext eingefügt, dass die Offenlegung auch tatsächlich geeignet sein muss, das öffentliche Interesse zu schützen.¹ Dennoch ist das in § 5 Nr. 2 GeschGehG niedergelegte Merkmal des „sonstigen Fehlverhaltens“ äußerst vage. Es fehlt derzeit auch noch an einer klaren Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die neu geschaffene Regelung jedenfalls zum Anlass genommen, die Offenlegung von (legalen) Verkäufen von Pharmazeutika in die USA, die zur Vollziehung der Todesstrafe genutzt werden könnten, als geschützte Form des Hinweises einzustufen.2 Es bleibt insoweit abzuwarten, ob die Strafgerichte auch in Zukunft eine derart weite Ausnahme zur Strafbarkeit der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (§ 23 GeschGehG) tolerieren werden.

Zum anderen sieht das Geschäftsgeheimnisgesetz, welches im Kern kein Hinweisgeberschutzgesetz ist, keine konkreten Vorgaben zum Verfahren der Offenlegung vor. Insbesondere wird in § 5 Nr. 2 Gesch-GehG nicht zwischen der Offenlegung gegenüber Behörden oder etwa der Weitergabe an die Presse oder gar der Veröffentlichung im Internet differenziert. Es besteht daher das erhöhte Risiko, dass eine unkontrollierte und unkontrollierbare Verbreitung betrieblicher Geheimnisse erfolgt. Diese dürfte zwar auch nach heutiger Rechtslage arbeitsrechtlich unzulässig sein, da die Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis unberührt bleiben (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 Gesch- GehG).3 Allerdings sind die strafrechtlichen Risiken der Offenlegung deutlich gesunken. Damit einhergehend sind auch die strafprozessualen Eingriffsbefugnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Aufklärung von Geheimnisverletzungen eingeschränkt.

DIE WHISTLEBLOWING-RICHTLINIE DER EU
Der Schutz von Hinweisgebern wird in den nächsten Jahren noch signifikant ausgeweitet werden. Ende 2019 ist die EU-Whistleblowing-Richtlinie 2019/1937/EU in Kraft getreten. Diese ist binnen zwei Jahren durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie befasst sich zwar formal nur mit Verstößen gegen das EU-Recht. Aufgrund der umfangreichen Harmonisierungsbemühungen sind allerdings fast sämtliche Bereiche des Wirtschaftslebens hiervon betroffen. Darüber hinaus ist derzeit zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber die Regelungen der Richtlinie auch auf zahlreiche rein nationale Sachverhalte erstreckt. Die Schaffung eines deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes ist wahrscheinlich.

Die Richtlinie sieht eine Verpflichtung mittlerer und größerer Unternehmen zur Einführung von Hinweisgebersystemen vor. Diese sollen die Vertraulichkeit von Hinweisgebern, dessen Schutz vor Repressalien und weitergehende Rechte auf Information und Unterstützung gewährleisten.⁴ Ferner sollen auch die Mitgliedstaaten zur Schaffung von behördlichen Hinweisgeberstellen verpflichtet werden und potenziellen Hinweisgebern so eine Anlaufstelle für externe Meldungen bieten. Dabei sollen interne Meldekanäle im Unternehmen und externe (behördliche) Meldekanäle als gleichrangig betrachtet werden. Der Vorrang interner Aufklärung ist damit im Grundsatz aufgegeben worden. Dies soll Hinweisgebern die Offenlegung von Rechtsverstößen gegenüber den zuständigen Aufsichtsbehörden erleichtern. Diese Gleichrangigkeit ist erst im Laufe des europäischen Gesetzgebungsverfahrens eingeführt worden und stellt eine bewusste Abkehr vom bis dato gängigen Drei-Stufen-Modell dar. Dies alles stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen.

HANDLUNGSBEDARF FÜR GESCHÄFTSFÜHRER
Die europäischen Vorgaben der Whistleblowing-Richtlinie sind für deutsche GmbHs derzeit nicht verbindlich. Aufgrund der Tatsache, dass im Geschäftsgeheimnisgesetz eine neue und sehr weitgehende Ausnahmeregelung zum Whistleblowing normiert wurde, sollten sich Geschäftsführer allerdings bereits heute mit der gebotenen Eile der Thematik annehmen. Die empirischen Untersuchungen belegen, dass Hinweisgeber grundsätzlich gewillt sind, Rechtsverstöße und andere Missstände zunächst intern zu adressieren, wenn ihnen effektive und vertrauliche Meldewege zur Verfügung stehen. Eine Investition in funktionierende Hinweisgebersysteme ist damit ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung unkontrollierter, kostspieliger und reputationsschädlicher Kontaktaufnahmen von Mitarbeitern mit Staatsanwaltschaft oder Presse.

Die empirischen Untersuchungen belegen, […] Rechtsverstöße und andere Missstände zunächst intern zu adressieren, wenn ihnen effektive und vertrauliche Meldewege zur Verfügung stehen.

Die interne Aufklärung etwaiger Missstände ist auch deshalb besonders wichtig, weil die wirtschaftsstrafrechtliche Praxis lehrt, dass mit einer internen Aufklärung von Rechtsverstößen oder gar Straftaten erhebliche Reduzierungen von Unternehmensgeldbußen möglich sind. Mit dem Entwurf des Verbandssanktionsgesetzes (VerSanG-E) greift der Bundesgesetzgeber diese praktischen Erfahrungen auf. Zudem profitieren regelmäßig auch etwaig beschuldigte Führungskräfte von einem derart kooperativen Ansatz. Dies erfordert allerdings Kenntnis der maßgeblichen Sachverhalte. Funktionierende Hinweisgebersysteme ermöglichen einen Wissensvorsprung im Unternehmen, der insbesondere in einer Krisensituation viel wert sein kann. Grund genug, sich einmal intensiv hiermit auseinander zu setzen.

 

1 Vgl. BT Drs. 19/8300, S. 14, allg. auch Ullrich WiJ 2019, 52, 55.
2 OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 21. Mai 2019 – 1 Ss 72/19 –, juris.
3 Dazu ausführlich Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967.
4 Überblick bei Garden/Hiéramente, BB 2019, 963.