Von Daten getrieben – das Internet of Things befeuert den Tarifwandel in der Versicherungswirtschaft

Das Internet of Things (IoT) ist ein radikaler Treiber des Wandels in den Tariflandschaften deutscher Versicherer. Während bisher vornehmlich Sensorikdaten im Automobilbereich auf einfache Art zugänglich waren und zu einer Vielzahl flexibler Telematiktarife führten, weitet sich die Dynamik des Markts rasant in Richtung anderer IoT-Ökosysteme wie Gesundheits-, Sach- und Industrieversicherungen aus.

65 Prozent der deutschen Industrieunternehmen, die IoT noch nicht einsetzen, haben entsprechende Projekte bereits in der Planung. Versicherungen können daher davon ausgehen, dass Produkte im IoT-Umfeld stärker als bisher nachgefragt werden.

Unter Deutschlands Konsumenten steigen die Nutzerzahlen von IoT-Geräten kontinuierlich an. Versicherungsprodukte, die auf per IoT gewonnene Daten setzen oder aber die Folgen absichern (Cybersecurity, Fraud-Risiko), treffen auf einen entsprechenden Bedarf am Markt.

Allein im Telematikbereich werden bis 2025 zehn Millionen abgeschlossene Policen prognostiziert[1]. Doch was bedeuten dynamische Tariflandschaften für die Marktteilnehmer? Während zum Beispiel die Versicherungsnehmer von den heute am Markt zugänglichen Telematiktarifen durchweg profitieren können, ergeben sich für Versicherer sowohl Chancen als auch Risiken. Letztere resultieren hierbei unter anderem aus einem unausgewogenen Verhältnis bei der Nutzung von Telematiktarifen auf Kundenseite, das stark homogene Tarifgruppen zur Folge hat. Entscheiden sich vor allem risikoaverse Kunden für Tarife mit dynamischer Prämienreduktion, kann sich dies im Einzelfall zwar als risikoadäquat herausstellen, jedoch im Gesamtkontext zu einer Verschlechterung der Schadenquote führen. Demgegenüber stehen potenzielle Chancen wie generelle Bestandsverschiebungseffekte im Sinne einer Selektion guter Risiken. Unabhängig von dieser Betrachtung kann das Potenzial von IoT und Big Data als multidimensional angesehen werden und erzeugt in vielerlei Hinsicht ein starkes Momentum für Innovationen. So können sich für Versicherer zusätzliche umsatzsteigernde Effekte in den Bereichen Kundenbindung und Cross-Selling ergeben, die auf die durch IoT-Tarife forcierte höhere Kundeninteraktionsrate zurückzuführen sind. Gleichermaßen lässt sich ein solcher Effekt für die Weiterentwicklung von Preismodellen prognostizieren, etwa bei nutzungs- („usage-based“) oder nachfrageabhängigen („demand-adjusted“) Tarifprodukten.

Die Nutzung von IoT bedeutet in der Regel eine erhöhte Nachvollziehbarkeit von menschlichem Verhalten oder Zuständen technischer Anlagen und bewirkt in gleicher Weise eine Reduktion der Unsicherheit. Vor diesem Hintergrund ist die Erstellung detaillierter Schadenanalysen ebenso möglich wie Fraud Detection. So lassen sich, basierend auf den erhobenen Daten, Effizienzsteigerungen und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Produkte realisieren. Ein Industrieversicherer kann beispielsweise zusätzliche Dienstleistungen wie automatische Instandhaltungsprozesse und additive Sicherheitsmechanismen in sein Produktportfolio aufnehmen und ein eigenes IoT-Ökosystem schaffen. Für den Kunden ergeben sich automatisch Vorzüge in Form einer geringeren Anzahl an Schadenfällen sowie niedrigere Prämien.

Datengetriebene Geschäftsmodelle und IoT-Nutzungskonzepte basieren auf Data Ownership

Wie haben Versicherer bislang im Bereich IoT agiert und welche Kompetenzen müssen abgerufen werden, um datengetriebene Geschäftsmodelle weiter auszubauen? Fest steht, dass sich die meisten deutschen Versicherer, die einer historisch eher konservativen Branche angehören, in den vergangenen Jahren stark gewandelt haben. Die sich in ihrer Summe vervielfachenden Digitalisierungsschübe der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass es Versicherern nicht an der Fähigkeit zur generellen Innovation mangelt. Wohl aber an den Möglichkeiten, sich zügig auch technisch neu aufzustellen. Zur Lösung dieses Problems besetzten große Versicherer in den vergangenen Jahren die Rolle als Startup-Inkubator, um technologische Entwicklungen schnellstmöglich zu akquirieren (vgl. „Auf der Suche nach dem nächsten großen Ding“, Versicherungswirtschaft 11/2021). Dennoch sehen sich viele Versicherungshäuser weiterhin mit der Herausforderung konfrontiert, eine fragmentierte Landschaft an Legacy-Systemen, verteilte Datensilos und komplizierte Prozesse mit modernen lateralen Technologiekonzepten zu harmonisieren.

Die Schlüsselkompetenz zur Weiterentwicklung von IoT-Nutzungskonzepten liegt aber in der Fähigkeit, große, dynamische Datenmengen mit den eigenen IT-Systemen richtig handhaben und interpretieren zu können. Eine Grundvoraussetzung bildet hierbei Data Ownership. Bei vielen heutigen Telematiktarifen sind Versicherer zum Beispiel auf externe Scoring-Dienstleister angewiesen. Das kann im Hinblick auf den in Artikel 5 der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) postulierten Grundsatz der Datenminimierung sowie den Aspekt der Datenweitergabe bedenklich sein. Ebenso findet man durch die fortgeschrittene Maturität des Telematikmarkts häufig starke Kooperationen zwischen Automobilherstellern und Versicherern, etwa Daimler mit SwissRE oder AXA mit PSA. Dieses in der Vergangenheit lukrative Pairing zur schnellen Schaffung marktreifer Produkte kann in Zukunft problematisch werden. Ohne Rohdaten und die entsprechende Expertise in deren Auswertung verpufft die Chance, datengetriebene IoT-Ökosysteme mit innovativen Produkten zu schaffen. So positioniert sich der Elektropionier Tesla auf dem US-amerikanischen Markt mit eigenen Versicherungsprodukten und zeigt deutlich, dass mangelnde Data Ownership seitens der Versicherer einen intensivierten Verdrängungsmarkt zur Folge haben kann. Es wäre somit denkbar, dass sich weitere Automobilhersteller am Versicherungsmarkt positionieren, etwa um mithilfe reduzierter Versicherungsgebühren die Kaufaffinität hinsichtlich Zusatzausstattungen in den Fahrzeugen zu steigern. Die Transformation vom Hersteller zum Versicherer kann dabei als reale Gefahr gesehen werden. In der Vergangenheit war eine solche Entwicklung bereits in der Transformation von Automobilherstellern zu Kreditinstituten zu beobachten. Beispiele sind die Mercedes-Benz Bank oder die VW Leasing Bank.

Auf Grundlage der steigenden Marktsättigung im Kfz-Sektor ist künftig damit zu rechnen, dass weitere Bereiche der Versicherungsspartenlandschaft von IoT-Konzepten erobert und in ähnlicher Weise geformt werden. Im Bereich Leben ist dies bereits heute der Fall. So bietet etwa die Generali das Produkt „Vitality“ an und geht damit einen ersten Schritt hin zur positiven Unterstützung eines gesunden Lebensstils von Kunden und zum Aufbau einer generellen Datenbasis.

IoT bietet Versicherern die Chance zur Entwicklung eigener Ökosysteme

Obgleich es für bestimmte Produkte und Dienstleistungen sinnvoll sein kann, sich bestehenden Ökosystemen anzuschließen, so ist in Abhängigkeit der Sparte und der strategischen Ausrichtung eines Versicherungsunternehmens die Schaffung gänzlich eigener Ökosysteme eine wesentlich zukunftsträchtigere Option. Versicherer sind dann gefragt, einerseits den gezielten Ausbau sogenannter Data-Warehouse-Strukturen und angepasster Big-Data-Infrastrukturen voranzutreiben. Andererseits müssen sie aber auch ihre Data-Science- und -Analytics-Kompetenzen bewusst weiter verbessern. Integriert in diesen neuerlichen Paradigmenwechsel ist das periphere Pairing mit Sensorherstellern, um selbst die breitflächige Ausstattung mit verlässlichen IoT-Devices voranzutreiben und das eigene Ökosystem zu komplettieren. Versicherer benötigen daher den Mut und die Umsetzungskraft, den eingeschlagenen digitalen Wandel nicht nur als Aufhübschen klassischer Produkte zu verstehen.

Dr. Thomas Seine ist Senior Consultant bei der PPI AG und Experte für IoT. (im Bild rechts)
Marc-Christoph Dittmer ist Senior Consultant bei der PPI AG und Experte für CRM und Vertrieb. (im Bild links)

[1] https://www.dasinvestment.com/2025-bis-zu-10-millionen-telematik-policen-in-deutschland/