Unternehmerisches Ermessen in der Krise des Unternehmens

Uwe Müllner, Rechtsanwalt/LL.M., PATZINA LOTZ Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Einleitung
Krisenfaktoren frühzeitig zu erkennen, Krisen zu vermeiden, insbesondere jedoch, sie zu bewältigen, sind Kern-Bestandteile des Krisenmanagements. Die Bedeutung des Krisenmanagements für Unternehmen hat sich aufgrund der sich verschlechternden politischen, wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Rahmenbedingungen in der letzten Zeit erheblich verstärkt.

Hinzu kommt, dass die sozialen Medien, die Schnelligkeit und Beliebigkeit von Informationen die Grenzen zwischen Fakten und Skandalisierung verschwimmen lassen. Nicht nur die betriebswirtschaftliche, sondern insbesondere auch die rechtliche Qualität des Krisenmanagements spielen bei der Krisenbewältigung eine kaum zu unterschätzende Rolle für das Unternehmen und die Handlungs- und Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung. In der Praxis hat sich zudem gezeigt, dass gerade Gesetzesverletzungen zu den Hauptauslösern von Unternehmenskrisen gehören, während Gesetze zugleich von der Unternehmensleitung zu berücksichtigende Vorgaben für die Prävention und die Bewältigung von Krisen enthalten. Die Unternehmensleitung muss im Rahmen der Krisenbewältigung erkennen, welche Maßnahmen sie zwingend zu ergreifen hat, und dort, wo ihr mehrere zulässige Handlungsalternativen zur Krisenbewältigung zur Verfügung stehen, wie sie unternehmerisches Ermessen rechtmäßig ausübt.

Unternehmenskrise
Unter einer Unternehmenskrise sind alle internen oder externen Ereignisse oder Umstände zu verstehen, durch die ein akutes und erhebliches Risiko für die Reputation, die wesentlichen Vermögenswerte des Unternehmens, die reguläre Geschäftstätigkeit oder das Ertragspotential des Unternehmens droht. Es handelt sich somit um eine Situation, deren Lösung dringender Handlungsentscheidungen der Unternehmensleitung bedarf. Die sogenannte „Stakeholderkrise“ wird durch das schwindende Vertrauen und die sinkende Kooperationsbereitschaft der Gesellschafter, Mitarbeiter, Kreditgeber, Kunden und Lieferanten etc. ausgelöst. Der Verlust von Absatzmärkten, von Hauptlieferanten oder wesentlichen Kunden kennzeichnet die „Strategiekrise“ eines Unternehmens. In dieser zeigt sich, dass die Unternehmensstrategie nicht (mehr) zum Marktumfeld bzw. zu den Ressourcen des Unternehmens passt. Während einer „Produkt- und Absatzkrise“ sind hingegen die Umsätze des Unternehmens dauerhaft rückläufig, ohne dass es auf den Grund oder ein Verschulden ankommt. Kann das Unternehmen keine hinreichenden Gewinne mehr erwirtschaften, spricht man von einer „Ertragskrise“ des Unternehmens. Eine Stärkung des Eigenkapitals durch die eigene werbende Tätigkeit ist der Gesellschaft ohne ein umfangreiches Maßnahmenprogramm dann nicht mehr möglich. Die „Liquiditätskrise“ zeichnet sich durch einen nicht mehr auskömmlichen Bestand an verfügbarer Liquidität aus.

Krisenbewältigung
Im Rahmen der akuten Krisenbewältigung hat die Unternehmensleitung zunächst Sorge dafür zu tragen, dass die Krise eingedämmt und beseitigt wird. Anschließend obliegt es der Unternehmensleitung, die negativen Folgen der Unternehmenskrise durch die hierzu erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu beseitigen, zum Beispiel durch die Modifikation von Lieferketten.

In einem letzten Schritt trifft die Unternehmensleitung die Pflicht, die Umstände, die zu der Unternehmenskrise geführt haben, genauso wie die Maßnahmen der Krisenbewältigung selbst, genau zu analysieren und zu bewerten. Die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu genutzt werden, Strukturen und Verfahren der Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung des Unternehmens zu verbessern.

Handlungspflichten bei der Krisenbewältigung
Entscheidungen der Unternehmensleitung bei der Krisenbewältigung können durch das Gesetz, die Satzung oder durch gesetzesmäßige Weisungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung vorgegeben werden. Es handelt sich um „gebundene Entscheidungen“. Der Unternehmensleitung steht in diesem Fall kein Ermessen zu. Aus der Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht der Unternehmensleitung ergibt sich beispielsweise die zwingende Pflicht der Unternehmensleitung, bei bekannt gewordenen Gesetzesverletzungen unverzüglich die zur Abstellung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Auch aus der allgemeinen Schadensabwendungs- und deliktischen Unternehmensorganisationspflicht kann eine zwingende Handlungspflicht resultieren, wenn zum Beispiel hochrangige Individualrechtsgüter, wie die körperliche Unversehrtheit oder das Leben, betroffen sind.

Unternehmerisches Ermessen bei der Krisenbewältigung
Im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung wählt die Unternehmensleitung hingegen unter verschiedenen tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Handlungsalternativen zur Krisenbewältigung eine oder mehrere Maßnahmen aus. Hier steht der Unternehmensleitung somit ein Ermessen zu. Im Zeitpunkt der Entscheidung lässt sich noch nicht absehen, ob die gewählte Maßnahme die wirtschaftlich vorteilhafteste Lösung zur Krisenbewältigung sein wird. Die Entscheidung der Unternehmensleitung kann sich im Nachhinein also auch als falsch herausstellen. Unternehmerische Entscheidungen sollen, auch wenn sie zu einem Schaden des Unternehmens geführt haben, nicht pflichtwidrig sein, wenn die Voraussetzungen der sog. Business Judgment Rule erfüllt sind. Dieser zufolge ist bei einer unternehmerischen Entscheidung die persönliche Haftung der Unternehmensleitung ausgeschlossen, wenn diese vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohl der Gesellschaft und frei von Interessenkonflikten sowie sachfremden Erwägungen kaufmännisch vertretbar gehandelt zu haben.

Maßnahmen zur Krisenbewältigung
Aus den obigen Ausführungen, insbesondere zu den Vorgaben der Business Judgment Rule, leitet sich in der Praxis folgendes Vorgehen zur Krisenbewältigung ab. Erster Schritt ist die Erarbeitung einer angemessenen Informationsgrundlage und die Bestimmung der zur Krisenbewältigung erforderlichen Ziele. Es sind die Verursacher und die Betroffenen der Krise zu ermitteln. Des Weiteren hat die Unternehmensleitung die eingetretenen sowie die möglichen finanziellen, nicht-finanziellen und möglichen Reputationsschäden zu bestimmen. Basierend hierauf setzt die Unternehmensleitung die zur Krisenbewältigung erforderlichen Ziele und trifft eine Vorauswahl der zur Zielerreichung geeigneten Einzelmaßnahmen. Die Unternehmensleitung hat basierend hierauf eine Prognose der Auswirkungen der mit den Handlungsmöglichkeiten verbundenen Vor- und Nachteile sowie der Chancen und Risiken, einschließlich der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit, vorzunehmen. Insbesondere hat sie unter Beachtung des Risikos der Zielverfehlung die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für das Unternehmen zu berücksichtigen. Basierend hierauf trifft die Unternehmensleitung eine Entscheidung, welche Maßnahmen zur Krisenbewältigung geeignet sind.

Entscheidungsparameter im Rahmen der Abwägung von Handlungsalternativen zur Beseitigung von Krisen können zum Beispiel sein:

  • die betroffenen Stakeholder und Rechtsgüter,
  • zu erwartende Kosten und operative Folgen bzw. Risiken durch die Umsetzung oder das Unterbleiben der Maßnahmen,
  • Auswirkungen auf die Unternehmensreputation, auf das Geschäftsmodell, die Strategie und die externen Geschäftsprozesse,
  • Auswirkungen auf die Zulassung von Produkten und Dienstleistungen in allen relevanten Märkten sowie auf den zukünftigen Zugang bei Vergabeverfahren (für Deutschland vgl. § 124 GWB),
  • Auswirkungen auf den Eintritt bzw. den Umfang von behördlichen Sanktionen sowie auf mögliche
  • Schadensersatzklagen, insbesondere in verschiedenen Jurisdiktionen, wobei die Wechselwirkungen zwischen behördlichen Verfahren (Verwaltungs- und Strafrecht) und möglichen zivilrechtlichen Schadensersatzklagen Dritter ebenfalls zu berücksichtigen sind.

Umgang mit Interessenkonflikten
Nicht selten wird die Krisenbewältigung dadurch erschwert, dass zugleich die Frage nach der Verantwortung der Unternehmensleitung für den Kriseneintritt diskutiert wird oder zumindest im Raum steht. Hierin besteht ein besonderes tatsächliches und rechtliches Risiko. Um in den Genuss der Business Judgment Rule zu kommen, dürfen Eigeninteressen der Unternehmensleitung jedoch keinen Einfluss haben. Es sei denn, das Interesse des Unternehmens und der Unternehmensleitung ist gleichgerichtet. Bei Auftreten eines potentiellen Interessenkonfliktes sind die Mitglieder der Unternehmensleitung daher gehalten, diese offenzulegen.

Fazit
Die Unternehmensleitung ist bei der Ausgestaltung und Durchführung ihrer Entscheidungen zur Krisenbewältigung an rechtliche Rahmenbedingungen gebunden. Entscheidungen im Rahmen der Krisenbewältigung werden meist unter hohem Entscheidungs- und Zeitdruck getroffen, was die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen erschwert. Dieser Entscheidungs- und Zeitdruck ist bei der rechtlichen Prüfung des pflichtgemäßen Handelns der Unternehmensleitung bei der Krisenbewältigung zu deren Gunsten zu berücksichtigen. Gleichzeitig verstärkt er jedoch die Verpflichtung der Unternehmensleitung, dafür Sorge zu tragen, dass sie ihrer Verpflichtung, ausreichende Strukturen zu schaffen, um Krisen auf Basis der festgelegten Risikobereitschaft des Unternehmens frühzeitig zu erkennen, zu vermeiden und zu bewältigen, nachgekommen ist.