The Art of Software: Ein neuer Weg zur wehrtechnischen Wertschöpfung

Darüber, dass Software ein zentraler Enabler für Streitkräfte ist, besteht mittlerweile weitestgehend ein Konsens. Warum der Verteidigungssektor das Potenzial von Digitaler Konvergenz nutzen muss, habe ich in einem vorherigen Beitrag beschrieben. Doch der Paradigmenwechsel in Richtung Software muss sich vor allem daran messen lassen, wie erfolgreich die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr flächendeckend gesteigert werden kann. Nur so wird „Software Defined Defence“ (SDD) zu einer grundlegenden Denkweise für die Entwicklung der Streitkräfte der Zukunft, und kann Deutschland seinem Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge und Wehrhaftigkeit im Bündnis gerecht werden.

Aber welche Parameter werden konkret zum Aufbau und Einsatz von software-zentrierten Produkten und Services benötigt? Die Diskussion, ob und wie SDD notwendig ist, wird seit Monaten in verschiedenen Formaten geführt. Eindeutig dabei ist, dass es heterogene Fähigkeiten braucht: bestehende militärische Plattformen (digital ertüchtigt) und neue kostengünstige, kommerziell hergestellte, software-zentrierte und KI-gestützte Produkte, Systeme und Lösungen. Sie müssen flexibel und auf aktuelle Situationen adaptierbar sein – mit Updates, die nicht alle vier Wochen, aber mindestens alle drei bis sechs Monate verfügbar sind, und zwar ohne dass die Plattform selbst an Robustheit und Einsatzwert verliert.

Die notwendige Entkopplung von Hardware und Software ist dafür eine essenzielle Anforderung, welche nicht trivial ist. Denn sie setzt eine Transformation sowohl in der Industrie als auch der Streitkräfte selbst voraus. Software wandert von der Peripherie militärischer Plattformen in ihren Kern, und zwar in einer Weise, die jede Stufe der Wertschöpfungskette betrifft. Damit sind digitale Technologien nicht mehr nur Add-ons oder Werkzeuge, sondern werden zum strategischen Schlüsselelement. Streitkräfte müssen sich als Kunden weiterentwickeln, um bei Rüstung und Beschaffung von militärischen Plattformen neben den physischen Eigenschaften die Software stärker in den Fokus zu nehmen. Parallel obliegt es der Industrie, nicht nur die Produktionskapazitäten für militärische Plattformen resilient hochzufahren, sondern auch eine software-gesteuerte, digitale Transformation parallel zur performanten Herstellung umzusetzen.

Vom Monopson zum Defense-Softwaremarkt

Für Fregatten, Panzer und Kampfflugzeuge sind die Abnehmer von jeher limitiert. Neben dem Markt für „Heavy Metal” gilt es jetzt, die Marktbildung für software-zentrierte Produkte- und Servicemodelle im Verteidigungsbereich zu fördern. Dafür muss der Staat zu einem kontinuierlichen und zuverlässigen Käufer neuer Produkte und Services werden – und damit de facto ein Customer Product Management mit umgekehrter Polarität schaffen.

Erfolgskriterium dafür sollte nicht die Erhöhung der staatlichen Ausgaben für amtsseitige Studien, Analysen, Konzepten, Forschung- und Entwicklungsarbeiten sein – sondern vielmehr für die Beschaffung an sich. So sollte weniger in lange Forschungs- und Entwicklungszyklen, gefolgt von stückzahllimitierter Beschaffung und jahrzehntelangen Zahlungen für den Betrieb und die Wartung der gekauften, alternden militärischen Systeme investiert werden. Stattdessen muss der zukünftige Fokus der Rüstungsbeschaffung darauf liegen, stetig neue Versionen von kostengünstigen, software-zentrierten, KI-gestützten und interoperablen Fähigkeiten für Bestands- und insbesondere Neusysteme in immer größerer Stückzahl, zu kaufen, zu abonnieren und zu leasen. Damit kann der größere Teil der Entwicklungskosten von digitalen Produkten und Services auf die Industrie allokiert und durch Beschaffung ausgleichend eliminiert werden.

Die Zukunft der Verteidigungsindustrie liegt in der Transformation

Um ihr Portfolio um software-zentrierte Produkte und Services zu erweitern, muss der Verteidigungssektor passende Geschäftsmodelle, eine Softwareorganisation und Entwicklungsprozesse neu schaffen und gestalten. Dabei sollten auch Schlüsselelemente wie Daten- und Cybersicherheit, Nachhaltigkeit und Schaffung von strategischen Partner-Ökosystemen einbezogen werden. Software-zentrierte Produkte- und Servicemodelle sind eine strategische Antwort auf die Herausforderungen der Branche, um gegenüber neuen und internationalen Marktteilnehmern wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei wird Software mehr und mehr Teil der Produktintelligenz und ermöglicht es, dass Produkte und Dienstleistungen intelligent, vernetzt und sogar autonom werden. Perfomance und Funktionalitäten bieten neue Interaktions-, Führungs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit, Produkte und Services kontinuierlich zu verbessern oder neu zu entwickeln. Gleichzeitig kann die Kosteneffizienz gesteigert und die Markteinführungszeit verkürzt werden.

Mit dem Aufkommen intelligenter Plattformen übernimmt Software immer mehr die Aufgabe des Fähigkeitstreibers. Militärische Plattformen werden zunehmend um die Fähigkeiten eines digitalen Kerns herum entworfen und gebaut. Auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette verändert diese software-definierte Transformation (SDT) die Erwartungen – von Herstellern, Regulierungsbehörden und Endkunden.

SDD in Deutschland: Die neue Ära software-zentrischer Verteidigung

Eine Transformation in oder aus bestehenden Strukturen heraus ist mindestens herausfordernd, oftmals ohne Erfolg. Damit sie gelingt, muss die Bereitschaft zur Investition top-down gegeben und die gesamte Organisation zu einem umfassenden Wandel auf allen Ebenen bereit sein. Für die Verteidigungsindustrie hilfreich können dabei Vergleiche mit anderen Industrien sein, um erfolgsversprechende Ansätze zu adaptieren und zugleich Risiken zu mitigieren.

Die bisherige Bilanz von SDD-Produkten und Services in Deutschland ist zwar überschaubar. Dennoch gibt es überzeugende Gründe für Optimismus. Die Erkenntnis zur Notwendigkeit und der Wille zur Umsetzung ist überall spürbar. Die Vorteile für Kunden und Markt liegen auf der Hand: Wer die Transformation angeht, wird strategische, operative und taktische Vorteile haben – Streitkräfte in Information, Führung und Eskalation, die Verteidigungsindustrie mit der Überlegenheit ihrer Produkte und Services sowie der Art und Weise des Engineerings. Wehrtechnische Software- und Lösungsanbieter tragen der zwangsläufig wachsenden Nachfrage nach As-a-Service-Modellen Rechnung und werden einen essenziellen und nachhaltigen Beitrag zu unserer Sicherheitsarchitektur leisten.