Stimmt am Standort Deutschland die Chemie noch?

Die Chemieindustrie gehört zu den tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft. Sie steht für technologische Innovationskraft, hohe Exportquoten und sichert rund 500.000 Arbeitsplätze. Doch die Branche steckt in einer tiefgreifenden Transformation: Steigende Energiepreise, zunehmende Regulierung und globaler Wettbewerbsdruck setzen den Unternehmen spürbar zu. Es stellt sich daher eine zentrale Frage – nicht nur für die Industrie selbst, sondern für den gesamten Standort Deutschland: Wie gelingt der Wandel der Chemiebranche in eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Zukunft?

Zwischen Weltmarkt und Wirklichkeit

Deutschland ist der drittgrößte Chemiestandort der Welt – hinter China und den USA. Die Branche erzielt etwa 60 % ihres Umsatzes im Ausland und gilt bei Spezialchemikalien sowie Pharmazeutika als technologisch führend. Diese internationale Stärke steht jedoch zunehmend auf dem Prüfstand.

Seit 2022 leidet die Branche unter massivem Druck. Energiekrise, Rezession, regulatorische Lasten und der wachsende Wettbewerb aus Asien haben die Produktionszahlen und Umsätze einbrechen lassen. 2024 war erneut ein Krisenjahr. Viele Unternehmen prüfen Standortverlagerungen oder schließen energieintensive Anlagen. Der industrielle Kern droht zu erodieren.

Von der Krise zur Chance – mit den richtigen Rahmenbedingungen

Doch die Chemiebranche reagiert – mit Investitionen in Digitalisierung, Automatisierung und nachhaltige Technologien. Innovationen in grünen Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft und chemischem Recycling zeigen, dass sich die Unternehmen neu aufstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kostensenkung, Effizienz und neue Geschäftsmodelle stehen im Fokus.

Die globale Chemie verlagert sich zunehmend nach Asien – allen voran nach China und Indien. Dort profitieren Unternehmen von niedrigeren Energiepreisen und deutlich geringerer Regulierung. Für deutsche und europäische Chemieunternehmen bedeutet das: Sie geraten unter massiven Wettbewerbsdruck und müssen ihre Geschäftsmodelle anpassen, um international bestehen zu können.

Die neue Bundesregierung steht nun in der Verantwortung, gemeinsam mit Industrie, Verbänden und Sozialpartnern tragfähige Rahmenbedingungen zu schaffen – für eine stabile, wettbewerbsfähige und nachhaltige Chemieindustrie. Dazu braucht es vor allem eins: Mut zur wirtschaftspolitischen Kurskorrektur. Konkret gilt es, zentrale Hebel in Bewegung zu setzen – einige davon sind im aktuellen Koalitionsvertrag bereits direkt oder indirekt adressiert:

  • Energiepolitik: Senkung der Stromsteuer, Industriestrompreis, Rohstoffsicherung
  • Bürokratieabbau: Schnellere Genehmigungen, Investitionsanreize wie degressive Abschreibungen
  • Innovationsförderung: „Chemieagenda 2045“, Förderung von Biotechnologie, Wagniskapital für Start-ups
  • Regulierung: Weg von pauschalen Verboten, hin zu risikobasierter Bewertung
  • Klimapolitik: CCS/CCU-Technologien, Wasserstoff-Infrastruktur, chemisches Recycling
  • Fachkräftesicherung: Flexiblere Arbeitszeitmodelle und steuerliche Anreize für längeres Arbeiten

Transformationsbegleiter statt reine Kapitalgeber

Neben Politik und Industrie spielt auch die Finanzwirtschaft eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung der Chemiebranche. Banken mit fundierter Branchenexpertise und Erfahrung in transformatorischen sowie projektbegleitenden Lösungen sind wichtige Partner, wenn es darum geht, zukunftsweisende Investitionen zu ermöglichen, neue Geschäftsmodelle zu finanzieren und notwendige Veränderungen wirtschaftlich tragfähig umzusetzen.

UniCredit versteht sich als europäische Bank mit Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und industrielle Erneuerung. Eine starke, zukunftsfähige Chemieindustrie in Europa ist für uns ein wesentlicher Pfeiler wirtschaftlicher Stabilität. Wir begleiten Unternehmen nicht nur bei der Finanzierung von Innovation und Dekarbonisierung – wir unterstützen auch dabei, strukturelle Veränderungen realistisch zu gestalten, Potenziale zu sichern und europäische Marktführer auf ihrem Weg durch den Transformationsprozess zu stärken.

Fazit:

Die Chemiebranche steht an einem Wendepunkt. Der Weg in eine nachhaltige, digitalisierte und international wettbewerbsfähige Zukunft ist anspruchsvoll – aber machbar. Dafür braucht es verlässliche politische Rahmenbedingungen, unternehmerischen Mut sowie die aktive Unterstützung finanzwirtschaftlicher Partner. Wenn alle Akteure an einem Strang ziehen, kann die Chemie in Deutschland wieder stimmen – wirtschaftlich, ökologisch und sozial.