Software Defined Defence

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie vom 16.2.2024

Grundvoraussetzung für das Bestehen auf dem modernen Gefechtsfeld

Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Dabei gilt es, den Rückstand bei der Digitalisierung und Führungsfähigkeit im internationalen Vergleich aufzuholen, u. a. zur Sicherstellung von Bündnisverpflichtungen. Das Ziel ist die Erlangung der Siegfähigkeit der Streitkräfte durch Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit und der Optimierung der Faktoren der Truppenführung: Kräfte, Raum, Zeit. Dies umfasst auch die Fähigkeit, in einem Multidomainszenario zu operieren und führen zu können. Dadurch lassen sich alle möglichen Szenarien und Herausforderungen annehmen, um auf dem modernen Gefechtsfeld zu bestehen, wo neben physischen Abnutzungsszenarien in den Dimensionen Land, See und Luft auch die Dimensionen des Weltraums sowie des Cyber- und Informationsraums zu beachten sind.

Dabei gilt es, nicht nur effizient, sondern auch effektiv zu sein. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg stellt Software dar. Der Ansatz „Software Defined Defence“ ist ein wesentlicher Treiber zur Optimierung bestehender und zukünftiger Geräteplattformen wie Panzer, Schiffe oder Flugzeuge. Im Zuge des digitalen Gefechtsfelds kommt es zur Veränderung klassischer Rahmenbedingungen und daraus abgeleiteter Taktiken.

Derzeitige Waffensysteme sind auf Duellsituationen, z. B. Panzer gegen Panzer, ausgerichtet. Sie sind folglich einzeln robust und durchsetzungsfähig konstruiert, jedoch kaum mit anderen Plattformen vernetzt oder schnittstellenfähig. Vielmehr existieren diverse Insellösungen auf verschiedenen Plattformen und nicht kompatible Schnittstellen. Das digitale Gefechtsfeld ist geprägt durch eine hohe Einsatzdynamik, hohe Informations- und Datenströme und dem Agieren in einem Wirkverbund verschiedener Mittel in allen Fähigkeitsdimensionen. Dabei spielen auch neue Technologien wie KI eine entscheidende Rolle.

Ökosystem aus Staat-Wirtschaft-Wissenschaft erforderlich
Folglich müssen Gefechtsfahrzeuge der Zukunft neben der überlegenen Waffenwirkung und Robustheit horizontal und vertikal vernetzbar sein. Es gilt, Informationen aus den verschiedenen Dimensionen zu verarbeiten, bzw. mittels digitaler Führungsmittel ein dynamisches Lagebild zu erhalten, bei dem die eigene Rolle und die Rolle anderer Akteure im Wirkungsverbund zu Entscheidungen adaptiert werden können. Dazu bedarf es auch der Kontrolle der Informations- und Datenströme. Im Verbund von Aufklärung-Führung-Unterstützung und Wirkung wird so die Optimierung von der Kampf- bis zur Randzone erreicht. Die Bundeswehr muss außerdem dazu in der Lage sein, Software agil anzupassen, um auf Veränderungen im dynamischen Gefechtsfeld schnell zu reagieren. Dies bedarf standardisierter Lösungen auf einheitlichen IT-Systemarchitekturen, mit offenen Schnittstellen, die für relevante Akteure transparent und zugänglich sind. Um die IT der Bundeswehr weiterzuentwickeln, wurden bereits Grundlagen geschaffen. Entlang der NATO C3-Taxonomie ist die IT-Landschaft der Bundeswehr in neun Cluster strukturiert. Der Ansatz einer Digitalisierungsplattform im Geschäftsbereich des BMVg bildet dabei einen methodischen Ansatz zur Umsetzung von Software Defined Defence.

Weitere Grundlage ist jedoch auch eine stärkere Vernetzung mit der Wirtschaft, insbesondere mit innovativen Unternehmen. Aufgrund der Tatsache, dass neue Technologien meist aus dem zivilen Bereich kommen und immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen von teilweise wenigen Monaten unterliegen, müssen diese schnell und unter Achtung geltenden Rechts adaptiert werden können. Künftige Neuentwicklungen oder Neubeschaffungen sind daher systemisch, durch einen agilen und vor allem nutzerzentrierten Ansatz in einem Ökosystem aus Bundeswehr-Wirtschaft-Wissenschaft zu vollziehen. Dies erfordert Maßnahmen bei der Intensivierung der Zusammenarbeit dieser Akteure auf Arbeitsebene, der Verbesserung des Marktdialogs, der Anpassung von Organisationsstrukturen und bei Vergabeprozessen, um innovative Lösungen schnell adaptieren zu können.

Ressortübergreifender Ansatz für komplexe Software Defined Defence-Anforderungen
Die Details zur Implementierung eines Software Defined Defence-Ansatzes gestalten sich jedoch komplex. Es gilt, nicht nur technische Aspekte zu betrachten, wozu neben den IT-Architekturen auch Aspekte der Cybersicherheit zentral sind. Auch rechtliche Fragen, u. a. zu geistigem Eigentum, Nutzungsrechten an Systemen und Datenrechten etc. sind zu klären. Dabei geht es auch um die Anpassung von Planungs-, Beschaffungs- und Rüstungsprozessen, welche heute noch auf klassische Geräteplattformen ausgelegt sind und somit Jahre und nicht Monate oder gar Tage in Anspruch nehmen. Die größte Hürde wird jedoch bei der Implementierung eines digitalen Mindsets in Bundeswehr, Verwaltung und Politik liegen. Starre Strukturen, eingefahrene Prozesse und ein starkes Absicherungsdenken müssen einem agilen und risikobereiten Handeln weichen. Die sogenannte Zeitenwende verlangt die Re-Fokussierung auf die Effektivität der Streitkräfte und ein Verständnis der digitalen Welt. Hier gilt es in den genannten drei Bereichen verstärkte Aufklärungsarbeit zu leisten. IT gerät ins Zentrum der Betrachtung und liegt nicht mehr nur in der Hand weniger Expertinnen und Experten. ■

Gefechtsfahrzeuge der Zukunft müssen horizontal und vertikal vernetzbar sein.

Das aktuelle Handelsblatt Journal
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