Schattengeschäftsführer – die im Dunkeln sieht man nicht

Dr. Karl von Hase, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Corporate / M&A, Practice Group Dispute Resolution, Italian Desk, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Schattengeschäftsführer – Der Begriff klingt windig, nach lichtscheuem Gesindel. Dabei sind die damit angesprochenen Fälle keineswegs selten. Das Problem tritt häufiger in Gestalt eines sehr präsenten Seniorchefs in Familienunternehmen auf, der formell die Geschäftsführung auf die Nachfolgegeneration übertragen hat, aber das Steuer dann doch nicht ganz aus der Hand geben kann. Immer wieder trifft man in der Praxis auch Personen an, die Strohleute – etwa Ehepartner – formell als Geschäftsführer „ihrer“ Gesellschaft vorschieben, aber tatsächlich selbst die Geschicke des Unternehmens lenken. Hintergrund mag etwa sein, dass diese Personen vorbestraft sind (Betrug oder Insolvenzstraftaten!) und die Geschäftsführerposition selbst gar nicht einnehmen dürfen.

Das englische Recht unterscheidet zwischen Personen, die wie Geschäftsführer (directors) auftreten, ohne es formell zu sein (de facto directors), und solchen, die auf die Geschäftsführung maßgeblichen Einfluss ausüben (shadow directors). Ein de facto director unterliegt genau denselben Pflichten wie sonstige directors auch. Dasselbe gilt vom Grundsatz her auch für shadow directors, wobei Berater von Berufs wegen (Rechtsanwälte, Unternehmensberater etc.) davon nicht erfasst werden.

Auch im deutschen Recht wird der neutralere Begriff eines faktischen Geschäftsführers neben dem eines Schattengeschäftsführers verwandt. Eine genaue gesetzliche Definition beider Begriffe gibt es aber nicht, so dass auch eine genaue Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen nicht vorgenommen wird. Vom Ausgangspunkt her gilt: Wer nicht ordentlich zum Geschäftsführer bestellt wurde, aber so handelt, der soll auch wie ein Geschäftsführer behandelt werden, wenn es um Verantwortlichkeiten geht. Da es um gesetzlich nicht geregelte Fallgruppen der Pflichten- und Haftungserweiterung geht, stellt die Rechtsprechung auf eine wertende Gesamtschau ab. Erforderlich ist es dabei, dass der Nicht-Geschäftsführer im „maßgeblichen Umfang“ Geschäftsführerfunktionen übernimmt, teilweise wird gar eine „überragende Stellung“ oder ein „Übergewicht“ gegenüber den eigentlichen Geschäftsführern verlangt. Nicht erforderlich ist es, dass der faktische Geschäftsführer den eigentlichen Geschäftsführer nach außen völlig verdrängt (BGH-Urteil vom 27.06.2005, II ZR 113/03). Die Begrifflichkeit ist insgesamt unscharf, die Wertungnicht immer klar. Jedenfalls hat der Bundesgerichtshof entschieden (Urteil vom 25.02.2002, II ZR 196/00), dass eine nur interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer nicht ausreiche, sondern eigenes, auch nach außen hervortretendes Handeln hinzukommen müsse, um Dritte mit typischen Geschäftsführerpflichten zu belegen und in die Haftung zu nehmen. Das Abstellen auf ein nach außen hervortretendes Handeln schafft ein Stück Rechtssicherheit. Allerdings führt dies dazu, dass die Fälle, die im englischen Recht unter dem Begriff des shadow directors fallen, in Deutschland nicht erfasst werden. Denn es reicht nicht aus, wenn jemand die Geschäftsführer zu „reinen Befehlsempfängern“ degradiert, solange es bei bloßen internen Einwirkungen verbleibt (BGH-Urteil vom 25.02.2002, II ZR 196/00). Wer also unsichtbar im Schatten bleibt und von dort die eigentlichen Geschäftsführer lenkt, wird nicht als faktischer Geschäftsführer bzw. Schattengeschäftsführer haftbar gemacht. Dazu muss man schon aus dem Schatten heraustreten und für Dritte sichtbar wie ein Geschäftsführer handeln. Wer hingegen –um im Bild zu bleiben – wie ein dunkler Schatten über der Geschäftsführung liegt und in maßgeblicher Weise eine faktische Leitungsmacht ausübt, der wird wie ein Geschäftsführer haftbar gemacht. Er muss z.B. mit dafür sorgen, dass die Gesellschaft eine ordnungsgemäße Buchführung einrichtet, dass Sozialversicherungsbeiträge und Steuern pünktlich abgeführt werden oder in der Krise rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt wird. Wird das nicht gewährleistet droht ihm eine zivilrechtliche, strafrechtliche und steuerliche persönliche Haftung vergleichbar den Geschäftsführern.

Geht man die eingangs geschilderten Beispielsfälle durch, so kommt es darauf an, ob der Seniorchef sich darauf beschränkt, auf seine Nachfolger als Geschäftsführer intern einzuwirken (dann kein Haftungsrisiko) oder selbst gegenüber Mitarbeitern oder Geschäftspartner nach außen aktiv wird und dies in maßgeblicher Weise (dann Haftungsrisiko). Auch bei Strohleuten ist danach zu unterscheiden, ob man es bei internen Einwirkungen z.B. durch Weisungen auf diese belässt (dann kein Haftungsrisiko) oder maßgeblich selbst nach außen aktiv wird (dann Haftungsrisiko).

Aus der jüngeren Rechtsprechung seien folgende Fälle beispielhaft erwähnt, die ein Gefühl dafür geben, wie die Rechtsprechung die dargestellten Kriterien anwendet: Der Kommanditist einer KG, die ein Restaurant mit Bar und Tanzpersonal betrieb, wurde zur Zahlung von Umsatz- und Gewerbesteuerschulden der insolventen KG verurteilt (Urteil des FG Hamburg vom 29.03.2017, 3 K 183/15). Er selbst gab an, dass er die Betriebsabläufe während der nächtlichen Öffnungszeit verantwortete, da er über genau die Fähigkeiten verfügte, die ihn gegenüber den Mitarbeitern im Nachtbetrieb den gebotenen Respekt verschafft hätten. Seine Position in der KG sei stets als diejenige eines Betriebsleiters bezeichnet worden. Er habe keine Veranstaltungen organisiert und/oder durchgeführt, keine Auszahlungen an das Personal vorgenommen und habe nicht an der Einstellung des Tanzpersonals oder der sonstigen Mitarbeiter mitgewirkt. Er habe zu keinem Zeitpunkt geschäftlichen Kontakt zu den Geschäftspartnern der KG gehabt. Er habe somit nur in ganz untergeordnetem Maße und auch nur äußerst vereinzelt Aktivitäten entfaltet, die der Geschäftsführung hätten vorbehalten sein müssen, weshalb es an einer substanziellen Okkupation von Geschäftsführungskompetenzen fehle. Gegenüber dem bestellten Geschäftsführer habe er keinesfalls die Oberhand gehabt.

Das Finanzgericht stellte hingegen darauf ab, dass der fragliche Kommanditist die maßgebliche Person im Nachtgeschäft und damit der zuständige (faktische) Geschäftsführer für das Nacht-Ressort gewesen sei. Er habe dabei weder irgendwelchen Weisungen unterlegen noch habe er ein klar umrissenes Aufgabengebiet gehabt. Vielmehr sei seine Befugnis umfassend gewesen, um einen reibungslosen Ablauf des Nachtgeschäfts zu gewährleisten. Er sei der mittleren Hierarchieebene der Betriebsleiter übergeordnet gewesen. Unwesentlich sei es, dass er nicht mit Verwaltungstätigkeiten, nicht mit den geschäftlichen Beziehungen zu den Geschäftspartnern und nicht mit Personaleinstellungen befasst war, denn diese fanden tagsüber statt. Die Einteilung der Geschäftsführung in unterschiedliche Ressorts und damit einhergehend ein nur partielles Aufgaben-/Tätigkeitsgebiet sei bei größeren Unternehmen allgemein üblich. Jedenfalls sei der eigentliche Geschäftsbetrieb gegenüber den Kunden in der Nacht ausgeübt worden. Nachteilig wurde ihm auch angerechnet, dass er eine Kontovollmacht für die betrieblichen Bankkonten besaß, auch wenn nicht konkret festgestellt werden konnte, dass er von dieser Kontovollmacht Gebrauch gemacht hätte. Nicht hilfreich für den Kommanditisten war schließlich, dass er sich bei der Durchsuchung durch die Steuerfahndung als Geschäftsführer vorstellte und Mitarbeiter als Zeugen aussagten, dass er mit dem eigentlichen Geschäftsführer zusammen die „Bosse“ bzw. „Chefs“ gewesen seien, und einer sogar meinte, der Kommanditist sei der „Löwe im Dschungel“ gewesen.

Mit Urteil vom 23.01.2019 verurteilte das OLG München (7 U 2822/17) die Erben eines inzwischen verstorbenen Prokuristen einer GmbH zur Erstattung von Zahlungen, die der Prokurist unmittelbar oder mittelbar zu eigenen Gunsten vorgenommen hatte. Klägerin war die GmbH. Die Erben behaupteten, der Erblasser habe nur die Stellung eines Prokuristen innegehabt und die Überweisungen hätten der Tilgung von Verbindlichkeiten der GmbH gedient. Das Gericht nahm hingegen an, der Verstorbene sei faktischer Geschäftsführer gewesen, weil die im Handelsregister eingetragene Geschäftsführerin tatsächlich keiner Geschäftsführertätigkeit nachgekommen sei und stets nur der Verstorbene in Erscheinung getreten sei, so dass die nominelle Geschäftsführerin die Geschäftsführung dem Verstorbenen überlassen und sich nicht weiter darum gekümmert habe. Da der Verstorbene faktischer Geschäftsführer gewesen sei, oblag es den Erben nachzuweisen, dass die Zahlungen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprachen, was die Erben im konkreten Fall nicht konnten.

Das LG Hannover (Urteil vom 08.02.2016, 1 O 169/13) ließ es zur Bejahung der Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer genügen, dass der ehemalige Geschäftsführer einer später insolventen Fahrschule als deren Angestellter tätig war, aber weiterhin regelmäßig die Einstellungsgespräche für die Insolvenzschuldnerin durchführte und Einfluss auf die Auswahl der Fahrschulfahrzeuge nahm. Zudem nahm er regelmäßig von den Filialen der Insolvenzschuldnerin die Tageseinnahmen entgegen und zahlte diese auf ein gesellschaftsfremdes Konto ein. Schließlich leistete er dem  Geschäftsführer der Fahrschule regelmäßig Gehaltszahlungen „aus der Hosentasche“. Der Beklagte berief sich darauf, die Einstellungsgespräche könne jeder mit Personalangelegenheiten betrauter Mitarbeiter führen, entscheidend sei gewesen, dass die Unterschrift unter den Einstellungsverträgen vom Geschäftsführer geleistet worden sei. Das ließ das Gericht nicht gelten, sondern meinte, in einem kleinen Betrieb ohne Personalabteilung entscheide üblicherweise der Geschäftsführer über die Einstellung von Mitarbeitern. Dies habe aber der Beklagte getan, der deshalb nach außen hin wie ein Geschäftsführer agiert habe. Im Ergebnis war der Beklagte verpflichtet, an die Insolvenzmasse gewisse Auszahlungen der insolventen Gesellschaft auszugleichen.