Über vier Millionen Menschen sind in Deutschland aktuell auf Pflege angewiesen, in den kommenden Jahren wird ihre Zahl infolge der demografischen Entwicklung deutlich steigen. Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge fehlen bis 2035 rund 500.000 Pflegekräfte. Einige Aufgaben in der Pflege könnten künftig Assistenzroboter übernehmen. Dabei ist bereits bei der Entwicklung von Pflegerobotern darauf zu achten, dass ihr Einsatz zum Wohle von Fachkräften und Pflegebedürftigen gleichermaßen geschieht.
Humanoide Roboter – die Zukunft der Pflege?
Die meisten Menschen wollen möglichst lange selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben. Doch in unserer alternden Gesellschaft mangelt es zunehmend an Pflegepersonal. Hinzu kommt, dass viele pflegebedürftige Menschen ihren Verwandten nicht zur Last fallen möchten. Neue, immer leistungsfähigere und kostengünstigere Technologien können dazu beitragen, diese Probleme zu lösen. Dazu gehören zum Beispiel auch humanoide, also menschenähnlich erscheinende, Roboter. Noch sind die Vorbehalte hierzulande zwar relativ groß. Doch für immer mehr Menschen ist es schon ganz selbstverständlich, dass moderne Assistenztechnologien ihren Alltag erleichtern. Es spricht also einiges dafür, dass humanoide Roboter im Pflegebereich künftig eine wichtige Rolle spielen werden.
Kommunikation und soziale Interaktion
Roboter können Pflegekräfte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlasten, etwa wenn sie Patientinnen und Patienten aus dem Bett helfen oder sie umbetten. Sie können auch pflegebedürftige Menschen direkt unterstützen, indem sie ihnen Arbeiten im Haushalt abnehmen oder ihnen helfen, ihren Tagesablauf zu strukturieren – zum Beispiel als Gedächtnisstütze für die Medikamenteneinnahme. Denkbar ist auch, dass ein kommunikativer Roboter den Menschen in einem Seniorenheim einfach nur Gesellschaft leistet. Besonders wichtig sind dabei die sozialen Aspekte: Damit die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Menschen und Robotern funktioniert, müssen die KI-Systeme emotionale und soziale Fähigkeiten lernen und zum Beispiel non-verbale Signale in der Kommunikation deuten können. Natürlich haben Maschinen keine echten Gefühle, aber sie können Gefühle simulieren – und das immer besser. Für viele Anwendungen spielt dieser Unterschied keine entscheidende Rolle. Die Nachbildung menschlicher Eigenschaften kann hingegen Stress und Unsicherheit bei der Interaktion mit Maschinen reduzieren.
Sozial interaktive Roboter können sich an den emotionalen Zustand ihrer Nutzer anpassen und entsprechend reagieren. Beispielsweise könnte ein Roboter erkennen, dass eine pflegebedürftige Person Ablenkung benötigt, indem er sich in sie hineinversetzt. In dem Fall liegt natürlich keine echte menschliche Empathie vor. Dennoch können personalisierte Vorschläge durch den Roboter zur Aufmunterung beitragen. Entscheidend ist aber, dass menschliche Kontakte nicht ersetzt, sondern unterstützt werden. So können Roboter in einem Pflegeheim zum Beispiel auch durch die Zimmer fahren und ältere Menschen zu gemeinschaftlichen Aktivitäten motivieren. In einem Anwendungsszenario zeigt die Plattform Lernende Systeme, wie neben interaktiven Robotern auch weitere KI-Systeme in der Pflege in naher Zukunft unterstützen können.
Was bei Entwicklung und Einsatz von Pflegerobotern zu beachten ist
Die Menschen müssen einem Pflegeroboter vertrauen können. Das bedeutet zum Beispiel, die Funktionsweise des Systems und seine Entscheidungswege müssen für den Nutzer nachvollziehbar sein. Dabei geht es nicht darum, das Vertrauen in den Roboter notwendigerweise zu maximieren, sondern die Menschen in die Lage zu versetzen, die Chancen und Grenzen des Systems einzuschätzen und zu entscheiden, ob sie mit ihm zusammenarbeiten wollen oder nicht.
Wichtig ist auch, Personal, Angehörige und Pflegebedürftige so früh wie möglich in die Entwicklung einzubeziehen. Wie soll ein Pflegeroboter aussehen: so menschenähnlich wie möglich oder eher abstrakt? Wie soll er auftreten: milde oder eher bestimmt? Solche Fragen beantwortet man am besten im direkten Austausch mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern. Im Einsatz muss dann auf jeden Fall gewährleistet sein, dass Pflegeroboter die Aufmerksamkeit nicht von den Menschen ablenken. Denn die Pflegenden sollen sich ja in erster Linie um das Wohl der Pflegebedürftigen kümmern und keine unnötige Zeit durch die Handhabung des Roboters verlieren oder den Blickkontakt zu den Patientinnen und Patienten einschränken. Die Maschine muss immer dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Primäres Ziel muss es sein, die Pflege qualitativ zu verbessern – und nicht, die Effizienz zu steigern.
Über die Autorin
Elisabeth André ist Inhaberin des Lehrstuhls für Multimodale Mensch-Technik-Interaktion am Institut für Informatik an der Universität Augsburg und unter anderem ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In der Plattform Lernende Systeme leitet sie die Arbeitsgruppe „Arbeit/Qualifikation, Mensch-Maschine-Interaktion“.
Über die Plattform Lernende Systeme
Die Plattform Lernende Systeme ist ein Netzwerk von Expertinnen und Experten zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Sie bündelt vorhandenes Fachwissen und fördert als unabhängiger Makler den interdisziplinären Austausch und gesellschaftlichen Dialog. Die knapp 200 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln in Arbeitsgruppen Positionen zu Chancen und Herausforderungen von KI und benennen Handlungsoptionen für ihre verantwortliche Gestaltung. Damit unterstützen sie den Weg Deutschlands zu einem führenden Anbieter von vertrauenswürdiger KI sowie den Einsatz der Schlüsseltechnologie in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung des Hightech-Forums und acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften gegründet und wird von einem Lenkungskreis gesteuert.