Quo vadis, Europas Verteidigungsfähigkeit?

Die geopolitischen Herausforderungen unserer Zeit erfordern von Europa mehr als gute Absichten – sie verlangen den Mut zur Selbstprüfung. Glaubwürdigkeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen entsteht aus der Fähigkeit, eigene Versprechen einzulösen. Nur ein ehrlicher Blick in den Spiegel zeigt, wie viel Europa tatsächlich zu bieten hat – und wie sehr es davon profitieren kann.

Der Riese im Zwergenkostüm

Deutschland verfügt über enormes Potenzial, vor allem in hochsensiblen Zukunftsfeldern wie Post-Quanten-Kryptografie (PQC), Cybersicherheit und sicheren Kommunikationsinfrastrukturen. Doch obwohl  es als „Krypto-Nation“ international ein Riese ist, verharrt es allzu oft in der Rolle eines Zwergs. Dieses Missverhältnis zwischen technologischer Stärke und politischem Selbstverständnis bremst Europa:  Fortschritt nutzt wenig, wenn er nicht genutzt wird, um die europäische Sicherheitsarchitektur widerstandsfähiger und souveräner zu gestalten.

Deutschland hat gezeigt, wie technologische Innovation militärische Strukturen stärken kann – etwa mit  der international vorbildlichen Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum (CIR). Ebenso wegweisend sind verschlüsselte, digital souveräne Cloud-Technologien und modernste Verschlüsselungssysteme, die  Streitkräfte vor digitalen Angriffen schützen. Doch diese Fähigkeiten müssen konsequent im europäischen Verbund genutzt werden, um einen Qualitätssprung in der Verteidigungsfähigkeit zu erreichen.

Deutschland als europäischer Katalysator

Um das Erscheinungsbild des „Riesen im Zwergenkostüm“ abzulegen, sollte Deutschland seine  technologische Führungsrolle gezielt und selbstbewusst in den Dienst einer stärkeren europäischen  Sicherheitsarchitektur stellen. Dazu gehört, die eigenen Innovationen nicht nur national, sondern  grenzüberschreitend zu denken, zu teilen und weiterzuentwickeln. Deutschland kann zum Katalysator  werden – für gemeinsame Forschungsinitiativen, abgestimmte Standards, interoperable Systeme und  koordinierte Investitionen.

Ein Ansatz wäre die Einrichtung einer europäischen „Cyber-Task-Force“, in der Experten aus allen  Mitgliedstaaten an Verschlüsselungsverfahren, Quantenkommunikationsnetzen und sicheren Cloud-Ökosystemen arbeiten. Deutschland könnte hier durch die Definition von Standards, den  Technologietransfer in Streitkräfte und zivile Behörden sowie als Ankerkunde für heimische Innovationen  eine führende Rolle übernehmen.

Indem deutsche Behörden verstärkt auf nationale Lösungen setzen, entstehen Skaleneffekte, die  Investitionen in Forschung und Entwicklung anregen. Das stärkt nicht nur die europäische  Verteidigungsfähigkeit, sondern erhöht auch die Wertschöpfung in Deutschland und der EU. Statt auf  Lösungen von außerhalb Europas auszuweichen, bei denen Wertschöpfung und Steuereinnahmen ins nichteuropäische Ausland abfließen, können heimische Produkte zum strategischen Pfeiler einer robusten europäischen Sicherheitsarchitektur werden.

Eine geeinte europäische Sicherheitsarchitektur ist kein Selbstzweck, sondern ein klares Signal an die Welt.

Marcel TaubertVice President Defence & Space, secunet Security Networks AG

Europäische Handlungsfähigkeit stärken

Ein handlungsfähiges Europa braucht mehr als politische Willensbekundungen – es erfordert  institutionelle Verankerungen und Plattformen, um technologische Durchbrüche in operative Fähigkeiten  umzusetzen. Gerade in einer Welt, in der Cyberangriffe ebenso gravierend sein können wie konventionelle Bedrohungen, ist die schnelle Implementierung von Innovationen entscheidend. Deutschland, als  Vorreiter in PQC und Cybersicherheit, kann mit Initiativen zur Vernetzung von Ausbildung, Forschung und  Industrie in Europa neue Wertschöpfungsketten schaffen und gemeinsame Standards etablieren.

Ein starkes Signal an Verbündete und Gegner

Eine geeinte europäische Sicherheitsarchitektur ist kein Selbstzweck, sondern ein klares Signal an die  Welt: Europa ist bereit, seine Werte, Freiheit und digitale Souveränität zu verteidigen. Durch die  Bündelung technologischer Innovationskraft und die gezielte Nutzung von Deutschlands Vorreiterrolle  entsteht ein verlässlicher Partner für die gesamte NATO und die EU – und eine klare Botschaft an  Diktatoren und Aggressoren: Wir sind in Vielfalt geeint!

Der Weg dorthin beginnt mit einem ehrlichen Blick in den Spiegel. Europa verfügt längst über das  Potenzial, ein selbstbewusster Pfeiler der transatlantischen Sicherheitsordnung zu sein. Es ist an der Zeit,  dieses Potenzial freizusetzen und Europas Verteidigungsfähigkeit neu zu justieren. Gelingt dies, schlüpft  der „Riese im Zwergenkostüm“ in die ihm gebührende Rolle – als Gestalter einer sicheren, geeinten und  widerstandsfähigen europäischen Zukunft.

secunet.com

 

© Adobe Stock, Katharina Taubert

Advertorial aus dem Handelsblatt Journal Sicherheit und Verteidigung vom 04.02.2025

Das aktuelle Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Sicherheit und Verteidigung“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Zum Journal