Pflichten des Geschäftsführers im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen

Dr. Ludwig J. Weber, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Partner, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Thomas Dömmecke, Rechtsanwalt, Director, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Vor fast einem Jahr ist die mit Spannung erwartete Richtlinie (EU) 2019/1023 (Richtlinie über Restrukturierung  und Insolvenz), kurz auch „Restrukturierungsrichtlinie“ genannt, in Kraft getreten. Nun ist der deutsche Gesetzgeber am Zug. Denn als Richtlinie wirkt dieser europäische Gesetzesakt grundsätzlich nicht unmittelbar, sondern muss erst, soweit erforderlich, in nationales Recht umgesetzt werden.

Kernstücke der Restrukturierungsrichtlinie sind die Vorgaben für ein Restrukturierungsverfahren, das Unternehmen bereits bei „Wahrscheinlichkeit“ einer Insolvenz Möglichkeiten eröffnen soll, die Krise zu bewältigen. Wie genau ein solches Verfahren in Deutschland allerdings aussehen wird, steht noch nicht fest. Es spricht jedoch einiges dafür, dass es sich auch am aktuellen Insolvenzplanverfahren orientieren wird.

Die Restrukturierungsrichtlinie behandelt in Art. 19 Pflichten, die der sogenannten „Unternehmensleitung“ auferlegt werden sollen. Nach deutschem Verständnis fallen hierunter wohl jedenfalls geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften, Vorstände sowie Geschäftsführer.

Die Restrukturierungsrichtlinie enthält jedoch keine Definition, wer alles zur „Unternehmensleitung“ gehört. Diese Entscheidung bleibt gerade dem jeweiligen Mitgliedsstaat überlassen (Erwägungsgrund 73). Es wäre daher zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen der Umsetzung in deutsches Recht auch leitende Angestellte, Prokuristen oder Generalbevollmächtigte in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Dies würde allerdings stark von der bisherigen Rechtslage abweichen, was folglich eher unwahrscheinlich ist. Die nachfolgende Betrachtung konzentriert sich daher auf die Pflichten der Geschäftsführer. Diese stellen aufgrund der weiten Verbreitung von GmbHs und GmbH & Co. KGs wohl die Mehrzahl der Unternehmensleitungen im Sinne des Art. 19.

Es schließt sich die Frage an, welche Pflichten die Restrukturierungsrichtlinie vorsieht. Nach Art. 19 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei „wahrscheinlicher Insolvenz“ mindestens Folgendes gebührend berücksichtigt: (a) die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger, (b) die Notwendigkeit, Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden, und (c) die Notwendigkeit, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Diese Pflicht der Mitgliedstaaten zur Sicherstellung bedeutet nicht zwingend, dass der Gesetzgeber tätig werden muss, wenn bereits die aktuelle Gesetzeslage ausreicht.

Die in der Richtlinie in Art 19 sowie u.a. auch in Art 3 angesprochene „wahrscheinliche Insolvenz“ ist abweichend von allen wünschenswerten Klarstellungen im Richtlinientext nicht definiert worden. Nach Art 3 soll im nationalen Recht für Unternehmen der Zugang zu einem Frühwarnsystem sichergestellt werden, um die Umstände zu erkennen, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können. Hieraus ist offenkundig, dass die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz der eigentlichen Insolvenz soweit zeitlich vorgelagert werden soll, dass ein tatsächlicher Sanierungsspielraum nach der Richtlinie besteht. Dies unterstreicht auch Erwägungsgrund 22, der feststellt, dass „je früher ein Schuldner seine finanziellen Schwierigkeiten erkennen und  geeignete Maßnahmen treffen kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine wahrscheinliche Insolvenz abgewendet wird, …“ Bei der Umsetzung in nationales Recht wird es daher darauf ankommen, einen Zeitpunkt zu definieren, der deutlich vor der Verwirklichung der deutschen Insolvenzgründe liegt. Da an diesen Zeitpunkt wesentliche Rechte aus dem Restrukturierungsrahmen anknüpfen werden, ist es wenig verwunderlich, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Wahrscheinlichkeit der Insolvenz bereits ein breites Meinungsspektrum besteht. Intention der Richtlinie ist, dem Sanierungsverfahren einen möglichst breiten Anwendungsrahmen einzuräumen. Daher spricht einiges dafür, hier bereits in einem Krisenstadium vor einer konkreten Liquiditätskrise anzusetzen. Da die Umsetzung dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten ist, wird abzuwarten sein, welche Regeln durch die deutschen Geschäftsleiter zu beachten sein werden.

[…] „je früher ein Schuldner seine finanziellen Schwierigkeiten erkennen und geeignete Maßnahmen treffen kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine wahrscheinliche Insolvenz abgewendet wird, …“[…]

Voraussichtlich kein Handlungsbedarf besteht hinsichtlich Buchstabe (c), Vermeidung vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens zur Vermeidung einer Gefährdung der Bestandsfähigkeit des Unternehmens. Das deutsche Gesellschafts-, Insolvenz- und Strafrecht kennt bereits umfassende Pflichten für Geschäftsführer, die gerade auch dem Schutz des Unternehmens vor bestandsgefährdenden Handlungen dienen. Zu nennen wären für den Geschäftsführer neben den §§ 283 ff. StGB (Insolvenzstraftaten) insbesondere die allgemeine Haftungsnorm des § 43 Abs. 1, 2 GmbHG, die Kapitalerhaltungsvorschriften nach §§ 30, 43 Abs. 3 GmbHG, die (Mit-)Haftung für existenzvernichtende Eingriffe nach §§ 826, 830 BGB sowie das Verbot insolvenzverursachender Zahlungen nach § 64 S. 3 GmbHG. Die im Insolvenzfall ebenso zentrale wie für den Geschäftsführer existenzbedrohende Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife, § 64 S. 1,2 GmbHG, hingegen greift erst bei bereits vorliegendem Insolvenzgrund, also gerade nicht schon bei „Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz“ ein. Die Vorverlagerung der Haftung würde  allerdings die ohnehin schon ausufernde Haftung des Geschäftsführers in beträchtlichem Maße erweitern. Dies könnte gerade dem Zweck der Richtlinie zuwiderlaufen, wenn Geschäftsführer aus Furcht vor persönlicher Haftung bereits vor Eintritt der materiellen Insolvenz Gläubigerforderungen nicht mehr bedienen. Für eine außergerichtliche, vorinsolvenzliche Sanierung dürfte dann kein Spielraum mehr sein.

Das deutsche Gesellschafts-, Insolvenz- und Strafrecht kennt bereits umfassende Pflichten für Geschäftsführer, die gerade auch dem Schutz des Unternehmens vor bestandsgefährdenden Handlungen dienen.

Was Buchstabe (a), Wahrung der Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger, betrifft, so hat der Geschäftsführer stets auch die Interessen der Gesellschaftsgläubiger sowie der Gesellschafter zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Gesellschafter folgt dies neben § 43 Abs. 1, 2 GmbHG auch aus seinem Dienstverhältnis zur GmbH. Dem Schutz der Gläubigerrechte dienen wiederum die bereits genannten Verbots- und Haftungsvorschriften. Handlungsbedarf für den Gesetzgeber könnte allenfalls mit Blick auf die „sonstigen Interessenträger“ bestehen. Wer diese „Interessenträger“ sind, dazu schweigt die Richtlinie allerdings. Erwägungsgrund 3 zur Restrukturierungsrichtlinie ist lediglich zu entnehmen, dass Arbeitnehmer offenbar ein Spezialfall dieser „sonstigen Interessenträger“ sein sollen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Gesetzgeber, auch in Anbetracht der bestehenden arbeitnehmerschützenden Normen, hier noch tätig wird.

Die Vorverlagerung der Haftung würde allerdings die ohnehin schon ausufernde Haftung des Geschäftsführers in beträchtlichem Maße erweitern.

Praktische Auswirkungen könnte wohl am ehesten der Buchstabe (b), also das Einleiten von Schritten zur Abwendung einer Insolvenz, haben. Denn eine ausdrückliche Sanierungspflicht für Geschäftsführer sehen die derzeit geltenden Gesetze nicht vor. Den Geschäftsführer treffen lediglich Einberufungs- und Mitteilungspflichten gegenüber den Gesellschaftern nach den §§ 49 Abs. 3, 84 GmbHG. Zwar finden sich in der gesellschaftsrechtlichen Literatur zahlreiche Stimmen, die den Geschäftsführer in der Krise auch in der Pflicht sehen, aktiv gegenzusteuern. Diese Pflicht soll sich danach bereits aus § 43 Abs. 1, 2 GmbHG ergeben. Eine gefestigte Rechtsprechung, wonach ein Geschäftsführer tatsächlich für versäumte Sanierungsbemühungen einstehen muss, gibt es jedoch nicht. Es erscheint daher durchaus möglich, dass die Gesetze hier „nachgeschärft“ werden. Naheliegender wäre es allerdings, wenn die Gerichte in Zukunft dazu übergingen, den Art. 19 lit. (b) der Restrukturierungsrichtlinie in den § 43 Abs. 1, 2 GmbHG „hineinzulesen“. Das würde es insbesondere Insolvenzverwaltern erlauben, die Geschäftsführer in Haftung zu nehmen, wenn diese eben keine Schritte zur Früherkennung, Sanierung und Insolvenzvermeidung ergriffen haben. Problematisch hieran ist allerdings der weiter steigende Druck auf den Geschäftsführer, der einerseits die Insolvenz frühzeitig erkennen und vermeiden soll, andererseits aber zivil- und strafrechtlich bis hin zur Existenzvernichtung haftet, wenn er zu spät Insolvenzantrag stellt. Die Richtlinie selbst lässt offen, welche Rechtsfolgen etwaige Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter auslösen. Würde man sämtlichen am Sanierungsverfahren beteiligten Stakeholdern im Falle der Pflichtverletzung direkte Ansprüche gegen die Geschäftsleitung einräumen, wäre das Verfahren wohl in vielen Fällen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Einerseits gilt es dem verständlichen Wunsch der Geschäftsleitung, Risiken – ggf. durch Untätigkeit – zu minimieren, Rechnung zu tragen. Andererseits können die nicht selten auseinander laufenden Interessen einzelner Stakeholdergruppen dazu führen, dass Druck auf die Geschäftsleitung aus unterschiedlichen Richtungen aufgebaut wird und so ein erfolgreiches Sanierungsverfahren verhindert wird. Hier sollten die vom deutschen Gesetzgeber noch zu gestaltenden Vorschriften über den außergerichtlichen präventiven Restrukturierungsrahmen klare Haftungsprivilegien für den Geschäftsführer vorsehen. Jedenfalls ist diesem jedoch umso mehr zu raten, bei einer absehbaren Krise frühzeitig erfahrene Sanierungsberater mit an Bord zu holen.