Die Sicherheit Deutschlands hat Priorität
NV: Herr Gottschild, mit Ihrem Impulsvortrag konnten Sie vor breitem Publikum unternehmensspezifische Standpunkte vertreten, gleichzeitig aber auch eine sicherheitspolitische Standortbestimmung vornehmen. Welchen Stellenwert hat die Handelsblattsicherheitskonferenz für Ihr Systemhaus als Informations- und Diskussionsplattform?
Gottschild: Die Handelsblattkonferenz bietet für mich eine willkommene Plattform, um dort Positionen darzustellen, zu diskutieren und zu vertreten. Die Konferenz ist professionell organisiert, die Sprecher sind bestens informiert und insofern ist es gut, dass es das Handelsblatt-Format gibt. Gleichzeitig wird hier auch Reichweite erzielt. Einerseits durch das Medium Zeitung, andererseits durch die Kommunikation in sozialen Medien. Die Multiplikationswirkung geht damit weit über die eigentliche Tagung hinaus.
NV: In mehreren Paneldiskussionen wurde kritisiert, dass es in Deutschland am Instrument ‚Strategische Rüstungspolitik‘ fehlen würde. Das wirke sich nicht nur negativ hinsichtlich der Ressourcenallokation, sondern auch auf potentiell notwendige Kapazitätserweiterungen aus. Planbarkeit wäre eine der entscheidenden Rahmenbedingungen für die Rüstungsindustrie; welche Position nehmen Sie hier ein?
Gottschild: Viel ist schon erreicht worden – Prozesse wurden entschlackt und beschleunigt. So konnten 2023 viele Verträge abgeschlossen und ein guter Teil des Sondervermögens allokiert werden. Was wir darüber hinaus brauchen, das ist eine strategische Diskussion. Und zwar mit der Zielsetzung, wo wir den Level of Ambition für Unternehmen setzen wollen und was industriepolitisch in Deutschland zukünftig gewollt ist. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ist klar erkennbar, dass Lenkflugkörper- und Munitionsherstellung einen Schwerpunkt bilden. Daraus resultieren wesentliche Entscheidungsschritte, wie wir unsere Produktions- und Technologiefähigkeit dauerhaft gewährleisten wollen.
NV: Mit Blick auf die verkündete Zeitenwende, wie viel ist hier rüstungspolitisch ins Rollen gebracht worden, um den Worten auch Taten folgen zu lassen?
Gottschild: Hier steht die ‚European Sky Shield Initiative‘ beispielgebend im Vordergrund. Eine auf deutsches Engagement hin auf den Weg gebrachte Initiative, um gemeinsam mit europäischen Partnern in Luftverteidigungssysteme zu investieren. Und zwar im Rahmen der Luftverteidigung auf drei Ebenen: der Ebene der kurzreichweitigen Bekämpfung, der mittleren sowie der langen Reichweitenbänder. Als MBDA sind wir im Bereich Patriot beteiligt. Über unser Joint Venture COMLOG werden wir PAC-2 Lenkflugkörper für die Bundeswehr und andere europäische Streitkräfte produzieren. Darüber hinaus sind wir mit unserem israelischen Partnerunternehmen IAI positioniert, um in Deutschland Arrow 3 an den Start zu bringen. Bei der Drohnenabwehr bieten wir die Small Anti Drone Missile an, ein Mitglied der Enforcer Familie. Aus dieser Sicht können wir von einem guten Verlauf sprechen, und auch in den Prozessen des Beschaffungswesens sind Verbesserungen und Beschleunigungseffekte erkennbar.
NV: Derzeit erleben wir in Deutschland eine massive Konsolidierung über nahezu die gesamte politische Bandbreite, was die Zustimmung zu Rüstungsvorhaben betrifft. Das spiegeln auch die politischen Forderungen nach gesellschaftlicher Wehrhaftigkeit und militärischer Kriegstüchtigkeit wider. Welche rüstungspolitischen Impulse benötigen sie zukünftig seitens des Referenzkunden Bundeswehr, vor allem aber aus dem Parlament, um endlich über mehr Planungssicherheit zu verfügen?
Gottschild: Planungssicherheit besteht dann, wenn wir die wesentlichen Zielgrößen kennen, beispielsweise bei der Munitionsausstattung – und das alles unter vertraglicher Abdeckung! Wir gehen auch in Vorleistung und übernehmen im verantwortbaren Rahmen auch Investitionen vorab, aber wir können keine Lenkflugkörper auf Vorrat produzieren. Lenkflugkörper sind Kriegswaffen, diese Produkte unterliegen damit dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Um diese Güter zu produzieren, benötigt MBDA eine behördliche Einwilligung für die Produktion, was einen Vertrag voraussetzt. Deshalb brauchen wir als Industrie vertragliche Auftragslinien, die uns die nötige Langfristigkeit ermöglichen.
NV: Das Thema Planbarkeit und verbindliche Verträge war auch bei Ihrem Impulsvortrag Ihr Kernanliegen. Die Innovation bei Rüstungsgütern spielt sich gewissermaßen aber auf zwei Schienen ab: Einerseits moderne, marktverfügbare Lösungen, bei denen es relativ zeitnah möglich ist, militärisch erforderliche Quantitäten mit entsprechenden Qualitätsmerkmalen als einsatzfähige Systeme zu produzieren, andererseits Forschung und Entwicklung, die wegen der endlichen Produktionslebenszyklen logischerweise rüstungsstrategisch mit den bestehenden Produktlinien zu verschachteln sind. Wären hier möglicherweise rechtsverbindliche Letter of Intent hilfreich, die gleichzeitig gemeinsame F&E-Investitionsverpflichtungen auslösen würden?
Gottschild: Wir als Industrie müssen kurzfristig in der Lage sein, unsere Kapazitäten erhöhen zu können. Wenn wir in Produktionslinien investieren, dürfen wir die Zukunft nicht vergessen. Die Waffentechnologien, die in Kriegen eingesetzt werden, entwickeln sich weiter. Hierauf müssen wir als Verteidigungsbranche reagieren und uns Innovationen und Fortschritte technologisch nutzbar machen. Beides muss immer mitgedacht werden.
Zudem sind Produktion und Entwicklung – was das Personal, die Ressourcen und die Anlagen betrifft – unternehmerisch zwei verschiedene Felder. Die Mitarbeiter in unserer Fertigung verfügen überwiegend über eine technische Ausbildung und werden durch Produktionsingenieure begleitet. Auf der anderen Seite verfügen wir über Entwicklungsingenieure, die intensiv mit der Weiterentwicklung beschäftigt sind. Hier sind dann entsprechende Verträge erforderlich, um die Leistungsfähigkeit der wehrtechnischen Industrie aufrechtzuerhalten und den technologischen Wandel erfolgreich mitgestalten zu können.
NV: Wenn das Sondervermögen um 2028 aufgebraucht sein dürfte, wird der Einzelplan 14 auf heutigem Niveau kaum ausreichen, um die Streitkräfte weiterhin effektiv zu finanzieren und eine 30-tägige Munitionsbevorratung entsprechend der NATO-Verpflichtungen durchzuhalten. Wie ist Ihre Wahrnehmung und welchen Appell würden Sie an die Politik richten?
Gottschild: Die in diesem Jahr umgesetzte Zwei-Prozent-Linie aus dem Mix aus Einzelplan 14 und dem Sondervermögen muss verstetigt werden. Wie dieses Finanzinstrument dann ausgestaltet wird und wo die Mittel herkommen, liegt in der Zuständigkeit der politisch Verantwortlichen. Es steht außer Frage, dass die Sicherheit Deutschlands Priorität haben sollte. Denn nur, wenn Deutschland sicher ist, sind wir auch in der Lage vernünftig zu wirtschaften, eine stabile Gesellschaft zu haben und Wohlstand zu erreichen. Deswegen ist es unabdingbar, dass wir in Sicherheit investieren.
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