„Nur wenn wir als Versicherer in der Lage sind, risikoadäquate Prämien zu generieren, können wir unseren Kunden langfristig Planungssicherheit bieten“

Interview mit Dr. Mukadder Erdönmez, Vorstand der hannoverschen HDI Global SE und dort für das Haftpflichtressort des global tätigen Industrieversicherers verantwortlich, über die derzeit verschärften Marktbedingungen für Industrieversicherer und die Entwicklung neuer digitaler Produkte und Serviceleistungen.

Redaktion: Gerhard Walter, Solutions by HANDELSBLATT MEDIA GROUP GMBH

Der Markt in der Industrieversicherung hat sich verhärtet. Die Preise steigen, die Kapazitäten werden knapper. Wie können Industrieversicherer trotz Corona-Pandemie in diesem Marktumfeld ihre langfristigen Kundenbeziehungen positiv gestalten und mögliche Beziehungskrisen verhindern?
Eine langfristige Beziehung zwischen Industrieversicherer und Kunde ist für beide Seiten von Vorteil. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass die Beziehung für uns als Versicherer zuletzt herausfordernd war, weil die Prämien nicht risikoadäquat waren. Gerade erleben wir in vielen Bereichen eine Marktverhärtung, welche durch die Corona Pandemie und weiterhin zunehmende Naturkatastrophen noch beschleunigt wird. In der Konsequenz beobachten wir einen weiteren Prämienanstieg in allen Produktsparten. Nur wenn wir als Versicherer in der Lage sind, risikoadäquate Prämien zu generieren, können wir unseren Kunden langfristig Planungssicherheit bieten. Unser zentrales Anliegen ist es, unsere Kunden in die Zukunft zu begleiten und sie im Risikomanagement professionell und fundiert zu unterstützen. So können wir ihnen helfen, die Chancen für Innovationen in ihrem Kerngeschäft zu ergreifen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Corona-Impfstoffen, welche wir durch die Probandenversicherung unterstützen.

Auskömmliche Prämien sind für Versicherer demzufolge überlebenswichtig?
Definitiv. Wir als Versicherer können die Kundenbeziehung nur positiv gestalten, wenn wir risikoadäquate Prämien generieren können. Die derzeit steigenden Prämien sind letztlich auch das Resultat aus den Schadenzahlungen der Vergangenheit. Die Schadenentwicklung war die letzten Jahre überdurchschnittlich, während die Risikoprämien nach unten gegangen sind. Diese negative Entwicklung hat die gesamte Branche zusehends unter Druck gesetzt.

Inwiefern könnten neue digitale Angebote die Kundenbeziehung beeinflussen?
Digitale Angebote spielen eine große Rolle. Wir schauen etwa auf der Schaden- und Vertriebsseite, wie wir bestehende Prozesse digitalisieren können, um sie für die Kunden, aber auch für uns als Versicherer effizienter zu gestalten. Es geht aber auch um die Entwicklung neuer Produkte oder Serviceleistungen, die in der Vergangenheit kostspielig waren, wie zum Beispiel Risikoberatung. Wir arbeiten gerade besonders intensiv an Virtual Claims. Darunter verstehen wir die Erstbesichtigung von Schadenorten aus der Distanz und mit modernen technischen Mitteln. Gerade unter dem Eindruck von Corona ein Thema mit allerhöchster Aktualität und kurzfristig realisierbaren Erfolgspotenzialen. Aber auch unseren Kunden ermöglicht die Digitalisierung die Entwicklung neuer einzigartiger Produkte und Dienstleistungen. Hier seien nur der digitale Zahlungsverkehr mit Crypto-Währungen oder die innovativen Mobility-Ökosysteme genannt, die wir aktiv unterstützen und somit Innovationen ermöglichen, die nicht nur einzelne Unternehmen, sondern die Gesellschaft als Ganzes voranbringen.

Besonders hoch sind die Schäden derzeit durch ausgefallene Veranstaltungen und unterbrochene oder verschobene Filmproduktionen. Muss sich die Versicherungsbranche von diesem kreativen Kulturgeschäftsfeld verabschieden?
Die Veranstaltungs- und Filmbranche hat es hart getroffen, keine Frage. Aber die Wirtschaft leidet generell unter der COVID-19-Pandemie. Einer Umfrage des Deutschen Industrie und Handelskammertags im November zufolge rechnen zwei von drei Unternehmen für das Gesamtjahr 2020 mit einem Umsatzrückgang durch COVID-19. Dabei hat es neben der Kultur- und Kreativwirtschaft auch Reisewirtschaft und Gastgewerbe hart getroffen. Mit Blick auf die Kultur- und Kreativwirtschaft denke ich nicht, dass sich unsere Branche von diesem Geschäftsfeld zurückziehen wird. Die Branche wird sicherlich auch in der Zukunft Produkte und Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten. Aber wie diese konkret ausgestaltet sein werden, muss sich nach der Krise in einer neuen Risikobeurteilung zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich das mit Blick auf die derzeit hohen Infektionszahlen weltweit nicht seriös einschätzen.

Auch der Neustart einer Fabrik ist ein Stresstest – mit welchen Schadenfällen ist zu rechnen?
Potenzielle Schadenfälle sind vielfältig und können von Industrie zu Industrie ganz unterschiedlich sein. Grundsätzlich gehören dazu Sachschäden an den Fabrikanlagen durch Feuerereignisse oder Maschinenschäden und im schlimmsten Fall eine schadenbedingte Betriebsunterbrechung. Um die Anlage wieder in einen schadenfreien Normalbetrieb zu überführen, sind vor Inbetriebnahme verschiedene Tests, Kontrollen und Wartungen durchzuführen. So müssen zum Beispiel die brandschutztechnischen Einrichtungen überprüft werden. Aber auch Anlagen des Werk- und Objektschutzes müssen sich in einem einwandfreien Zustand befinden. Nicht zu vergessen ist aber auch eine Kontrolle der technischen Anlagen auf mögliche Stillstandseinflüsse wie Korrosion oder überfällige Instandhaltungsmaßnahmen. Gefahrenpotentiale abseits der Technik selbst resultieren auch aus komplexen Lieferketten und Logistikprozessen. Die Versorgung mit notwendigen Rohstoffen und Zwischenprodukten muss sichergestellt sein, damit die Produktion erfolgreich anlaufen kann. Ebenfalls muss mit den Auswirkungen eingeschränkten Supports durch Servicepartner und einer unzureichenden Verfügbarkeit von Ersatzteilen gerechnet werden.

Wenn es in den kommenden Monaten zu einer Insolvenzwelle kommen sollte – inwiefern rechnen die Versicherer mit erhöhten Schadenforderungen aus der Managerhaftpflicht?
Man muss klar sagen, dass eine durch die Corona-Pandemie drohende Insolvenzwelle lange nicht absehbar war. Insofern darf der Fokus nicht automatisch auf einer Pflichtverletzung von Managern liegen. Wir sollten viel eher die Frage stellen, wie wir insgesamt als Gesellschaft mit einer möglichen Insolvenzwelle umgehen. Für mich ist das kein Thema, was über die Managerhaftpflicht thematisiert werden sollte.

Forschung im Schnellverfahren, Tests unter Zeitdruck: Warum ist auch für Versicherer die Entwicklung von Corona-Impfstoffen eine Herausforderung? HDI Global hat ja Erfahrung bei solchen Projekten und begleitet jedes Jahr zahlreiche klinische Studien und viele hunderttausend Freiwillige, die daran teilnehmen.
Eine klinische Studie ist immer wieder eine Herausforderung, weil man sich bei jeder Studie im Klaren darüber sein muss, dass eine Probandenversicherung immer ein Erforschungs- und Erprobungsrisiko beinhaltet. Das liegt in der Natur der Sache. Speziell im Fall der Corona-Impfstoffe birgt die Entwicklung der genbasierten Impfstoffe gewisse Risiken. Dies, weil das Verfahren neuartig und wenig erforscht ist und sich so doch von klassischen Impfstoffen unterscheidet. Darüber hinaus muss bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen alles viel schneller gehen als gewöhnlich. Dauert eine Phase II in einer klinischen Studie normalerweise mehr als zwei Jahre, sind es aktuell nur wenige Monate oder sogar nur Wochen, was selbstverständlich der Dringlichkeit der Lage geschuldet ist. So überschneiden sich einzelne Phasen der Entwicklung teilweise oder verlaufen parallel, um die Entwicklungszeit zu verkürzen. Grundsätzlich gelten für die Durchführung von klinischen Studien aber weltweit hohe Standards, die nach unserer Beobachtung auch eingehalten werden.

Dr. Mukadder Erdönmez ist Vorstand der hannoverschen HDI Global SE und ist für das Haftpflichtressort des global tätigen Industrieversicherers verantwortlich. Erdönmez kommt von der AXA XL aus Zürich. wo er Head of International Casualty Europe, Africa & LatAm war. Zuvor leitete er über mehrere Jahre hinweg weltweit das Mittelstands-Haftpflichtgeschäft der XL Insurance als Chief Underwriting Officer. Durch seine umfassenden Aufgaben verfügt Erdönmez über detaillierte Expertise im Underwriting sowie umfangreiche Management-Erfahrung. Er spricht vier Sprachen: Deutsch, Türkisch, Englisch und Französisch.