Neues zur Insolvenzverschleppungshaftung

Martin Bastobbe, Rechtsanwalt, BÜSING MÜFFELMANN & THEYE, Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB und Notare

Haftung der Geschäftsführung für Einzahlungen auf GmbH-Konto und bei Vorleistung des Lieferanten

Zahlungen einer GmbH nach Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung können eine persönliche Haftung der Geschäftsführung auslösen. Geregelt war dies bisher in § 64 GmbHG. Im Zuge der Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie wurde die Regelung in § 15b InsO verschoben. Auf die neue Regelung, die um einiges detaillierter ausfällt und auch gegenüber der bisherigen Rechtslage modifiziert wurde, soll hier nicht detailliert eingegangen werden. Eine Änderung des Haftungsgrundes ist mit der Verschiebung ohnehin nicht verbunden. Im Kern geht es darum, dass die Verzögerung eines Insolvenzantrages die Befriedigungsaussichten der Gläubiger der GmbH in einem Insolvenzverfahren beeinträchtigt. Wer für einen verspäteten Antrag verantwortlich ist, soll daher auch die Kompensation leisten.

Der Zweck der zur Insolvenzverschleppung gehörenden Haftung für Zahlungen ab Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (die sogenannte Insolvenzreife) liegt also darin, dass das Vermögen der GmbH für das sich abzeichnende Insolvenzverfahren als Haftungsmasse für die Gläubiger der GmbH erhalten bleiben soll. Jede Zahlung an einen einzelnen Gläubiger verringert diese Haftungsmasse. Eine Kompensation durch die Geschäftsführung ist freilich dann nicht geboten, wenn auf die Zahlung der GmbH eine wertgleiche Leistung an die GmbH folgt, die von einem Insolvenzverwalter verwertet werden kann (Aktiventausch). Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Lieferant Vorkasse verlangt und dann die Ware an die GmbH liefert.

Die bisherige Rechtsprechung wird nicht vollständig, aber größtenteils auf das neue Recht übertragbar sein. Es lohnt also, sich kurz mit zwei Entscheidungen des BGHs aus dem vergangenen Jahr näher zu befassen.

Haftung für Entgegennahme einer Zahlung auf ein debitorisches Konto der GmbH

Die erste Entscheidung des BGHs (vom 11.02.2020, Az. II ZR 427/18) betrifft einen Fall, in dem ein Geschäftsführer von einem Insolvenzverwalter auf Erstattung in Anspruch genommen wurde. Ein Geschäftspartner der GmbH hatte auf ein im Soll geführtes, d.h. debitorisches Konto der GmbH eine Zahlung geleistet. Der BGH verurteilte den Geschäftsführer zur Erstattung.

Mit dieser Entscheidung bestätigt der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Haftung der Geschäftsführung. Denn dass in einem solchen Fall eine Haftung bestehen kann, ist seit langem höchstrichterlich entschieden. Das mag auf den ersten Blick verwundern. Denn die GmbH erhält ja gerade einen Vermögenswert in Form der Zahlung. Zudem verbessert sich die Zahlungsfähigkeit der GmbH. Diese Betrachtung ist aber unvollständig. Sie lässt das Verhältnis der GmbH zu ihrer Bank außer Betracht. Denn ein Konto im Soll bedeutet nicht einfach nur nicht vorhandenes Geld. Es bedeutet, dass sich aus der Verrechnung der gegenseitigen Forderungen zwischen Bank und GmbH in Summe eine Forderung der Bank ergibt. Die GmbH hat also Schulden bei der Bank, wenn ihr Konto im Soll geführt wird.

Durch die Zahlung auf ein debitorisches Konto werden diese Schulden zurückgeführt, auch wenn ein Dritter überweist. Im Verhältnis zwischen der GmbH und der Bank liegt also eine „Zahlung“ der GmbH vor. Diese Zahlung an die Bank minderte hier die Haftungsmasse.

Das aktuelle Urteil reicht aber noch weiter: In dem entschiedenen Fall hatte der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG Zahlungen auf ein debitorisches Konto der GmbH & Co. KG zugelassen. Die Bank hatte also eine Zahlung auf ihre Forderungen gegen die GmbH & Co. KG erhalten. Das Besondere war hier, dass es sich um Vorauszahlungen für noch nicht veranstaltete Charterreisen handelte. Nach der Insolvenzeröffnung entscheidet über die Durchführung solcher Verträge der Insolvenzverwalter. Wählt er die Erfüllung, muss er die Charterreisen durchführen (lassen) und kann die Vergütung für die Insolvenzmasse verlangen. Der Geschäftsführer hatte nun argumentiert, dass die Zahlungen niemals erfolgt wären, wenn er sich pflichtgemäß verhalten und den erforderlichen Insolvenzantrag gestellt hätte. Denn der Insolvenzverwalter hätte sich gegen eine Erfüllung der Reiseverträge entschieden und damit auch die Zahlungen gar nicht vereinnahmt. Mit anderen Worten machte der Geschäftsführer geltend, dass die Zahlungen der Reisepreise auch dann nicht für die Insolvenzgläubiger hätten verwertet werden können, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte. Nach Ansicht des Geschäftsführers durfte es also keine Rolle spielen, dass er pflichtwidrig keinen Insolvenzantrag stellte.

Diesen im Schadensersatzrecht möglichen Einwand ließ der BGH hier aber nicht gelten. Denn bei dem Haftungsanspruch handelte es sich nach bisher ständiger Rechtsprechung gerade nicht um einen Schadensersatzanspruch. Entscheidend war allein, dass das zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehende Vermögen durch die Rückführung des Saldos auf dem Bankkonto geschmälert wurde. Für den BGH kam hier hinzu, dass der vom Geschäftsführer erhobene Einwand unmittelbar auch nur das Verhältnis zu den Kunden der Charterreisen betraf (Zahlung der Reisepreise), nicht aber die Zahlung der GmbH & Co. KG an die Bank in Form der Rückführung des Sollsaldos.

Bereits erhaltene Gegenleistung kompensiert Masseschmälerung grundsätzlich nicht

Die zweite Entscheidung des BGHs (27.10.2020, Az. II ZR 355/18) befasst sich ebenfalls mit der Haftung für die Entgegennahme einer Zahlung auf ein debitorisches Konto. Der BGH entschied insoweit nicht anders und zulasten des vom Insolvenzverwalter verklagten Geschäftsführers. In Anspruch genommen wurde der Geschäftsführer aber auch für eine Zahlung von einem Geschäftskonto der GmbH, auf dem ein Guthaben vorhanden war. Das Problem lag hier darin, dass die GmbH für die Zahlung zwar eine Gegenleistung erhielt. Diese erfolgte aber nicht nach der Zahlung durch die GmbH, sondern davor. Daher stellte sich die Frage, ob es sich dennoch um einen Aktiventausch handelte. Dann hätte der Geschäftsführer nicht haften müssen.

Der BGH entschied, dass der Geschäftsführer die Zahlungen der GmbH nicht zulassen durfte. Der Geschäftsführer haftete also auf Rückerstattung. Betrachtet man allein den Umstand, dass Leistungen ausgetauscht wurden, lässt sich das Urteil nur schwer nachvollziehen. Das Vermögen der GmbH hatte sich ja nicht verringert.

Auf den ersten Blick lassen sich hier gute Gründe gegen das Urteil anführen. Denn es scheint die Geschäftsführung einer GmbH zur Vorleistung zu zwingen: Um die eigene Haftung auszuschließen, müsste die Geschäftsführung das Risiko eingehen, dass die Gegenleistung dann gar nicht mehr erfolgt. Träte dieser Fall ein, wäre dies erst recht mit einem Schaden für die Gläubiger verbunden. Denkbar wäre sogar, dass dann die GmbH erst durch die ausbleibende Gegenleistung in eine schwierige Lage geriete oder sich eine solche Lage verschärfen würde. Das wurde und wird in der Fachliteratur auch so vertreten.

Der BGH stellt demgegenüber entscheidend auf die Reihenfolge der Leistungen ab. Die erhaltene Vorleistung gehört demnach gerade zu dem Vermögen der GmbH, welches die Geschäftsführung erhalten muss. Deshalb kommt sie auch als Kompensation nicht in Betracht. Das Argument, eine Vorleistung durch die GmbH sei für die Gläubiger wesentlich ungünstiger, ließ der BGH nicht gelten. Denn der BGH sieht die Haftung der Geschäftsführung für Zahlungen nach Insolvenzreife in engem Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht. Ab Eintritt der Insolvenzreife könne, so der BGH, die Möglichkeit der Teilnahme am Geschäftsverkehr nicht mehr entscheidend sein, weil eine Insolvenzantragspflicht bestehe. Jedenfalls unter der Verantwortung der bisherigen Geschäftsleitung solle ein Unternehmen nicht mehr am Geschäftsverkehr teilnehmen.

Ist ein Eigentumsvorbehalt vereinbart, sieht die Sache freilich anders aus. Denn dieser führt dazu, dass die GmbH das Eigentum an den Waren erst mit der Zahlung an den Lieferanten erwirbt. Die Zahlung der GmbH und der Erwerb des Eigentums erfolgen bei Eigentumsvorbehalt also zeitgleich. Hätte hier die GmbH also eine bereits erhaltene, ihr aber unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware bezahlt, hätte der Geschäftsführer wohl nicht gehaftet.

Ausblick auf das neue Insolvenzrecht

Soweit es die Haftung für die Zahlung durch einen Schuldner der GmbH auf ein debitorisches Konto der GmbH betrifft, dürfte alles beim Alten bleiben. Hinsichtlich der Frage, ob auch eine vorherige Zahlung an die GmbH eine Zahlung der GmbH ausgleichen kann, erscheint eine Änderung nicht ausgeschlossen. Denn nach neuem Recht scheidet eine Haftung für Zahlungen auch nach Insolvenzreife aus, solange die Geschäftsführung Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung des Insolvenzgrundes betreibt, also eine Sanierung versucht. Einstweilen sollte es bei der Orientierung an der bisherigen Rechtsprechung bleiben und der Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Zahlungen auf ein debitorisches Konto der GmbH sollten verhindert werden. Eine Vorleistung eines Geschäftspartners sollte nicht vergütet werden, wenn kein Eigentumsvorbehalt vereinbart wurde.

Fazit: Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

Die erste Maßnahme für die Haftungsvermeidung ist immer die laufende Prüfung auf Insolvenzantragspflichten. Das erfordert eine Krisenfrüherkennung und ein Krisenmanagement. In der Krise muss sich die Geschäftsführung rechtzeitig die für eine Prüfung erforderlichen Kenntnisse über Liquidität sowie Vermögen und Verbindlichkeiten der GmbH verschaffen. Insbesondere größere Zahlungen sollten ohne vorherige Prüfung und Autorisierung durch die Geschäftsführung nicht mehr erfolgen. Wenn möglich, sollten Geschäftskonten auf Guthabenbasis neu eingerichtet und die Geschäftspartner zu Zahlungen auf das neue Konto angehalten werden. Auch ernsthafte Sanierungsmaßnahmen können zur Enthaftung führen. Das Haftungsrisiko trifft die gesamte Geschäftsführung, unabhängig von der internen Aufgabenverteilung und individuellen Kenntnissen.