Neues zur Existenzvernichtungshaftung – Risiken für Gesellschafter und Geschäftsführer bei Verschmelzungen von GmbHs in der Krise

Martin Bastobbe, Rechtsanwalt, BÜSING MÜFFELMANN & THEYE, Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB und Notare

Einer der wesentlichen Vorteile von juristischen Personen liegt in der Möglichkeit, das für die wirtschaftliche Tätigkeit erforderliche Vermögen rechtlich zu separieren und die Haftung auf eben dieses Vermögen zu beschränken. Für die Verbindlichkeiten der GmbH haftet ihren Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Bei dieser klaren Formulierung in § 13 Abs. 2 GmbHG handelt es sich indes nur um einen Grundsatz. Seit langem ist anerkannt, dass die Gesellschafter einer GmbH für deren Verbindlichkeiten auch persönlich haften können, wenn sie ohne Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens und ohne angemessenen Ausgleich der GmbH die Vermögenswerte entziehen, die die GmbH für die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Die aktuelle Rechtsprechung des BGH stellt nun dem Vermögensentzug das Aufbürden neuer Schulden, die die Gesellschaft erdrücken, gleich.

DIE TRIHOTEL-ENTSCHEIDUNG DES BGH: HAFTUNG WEGEN ENTZUG DES GMBHVERMÖGENS

Seit dem Trihotel-Urteil vom 16. Juli 2007 (Az. II ZR 3/04) stützt der BGH die Existenzvernichtungshaftung auf das Deliktsrecht. Nach den in dem Urteil aufgestellten Grundsätzen liegt eine haftungsbegründende sittenwidrige Schädigung in Form eines existenzvernichtenden Eingriffs dann vor, wenn Gesellschafter ihrer GmbH vorsätzlich und ohne Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens das zur Tilgung der Schulden der GmbH erforderliche Vermögen ohne ausreichende Kompensation entziehen und hierdurch eine Insolvenz der GmbH verursacht oder vertieft wird. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass es bei dem Gesellschafter oder einem Dritten zu einem Vermögensvorteil kommt. Die bloße Schädigung der Gläubiger begründet also noch keine Haftung wegen Existenzvernichtung.

Eine Haftung droht aber nicht nur den Gesellschaftern. Deliktische Handlungen sind teilnahmefähig. Wirkt der Geschäftsführer an der Vermögensentziehung mit, kommt für ihn zumindest eine Mithaftung als Teilnehmer in Betracht. Eine Auszahlung der Vermögenswerte an die Gesellschafter kann für den Geschäftsführer auch dann zu einer Haftung führen, wenn er auf Weisung der Gesellschafter handelt. Ist eine Weisung auf eine Schädigung der Gesellschaftgläubiger gerichtet, darf sie vom Geschäftsführer nicht befolgt werden. Ein Vermögensentzug kann zudem ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften darstellen. Beide Haftungstatbestände können gleichzeitig erfüllt sein. Für einen existenzvernichtenden Eingriff können dabei auch mittelbare Gesellschafter und Berater haftbar gemacht werden, sofern ihnen eine schuldhafte Mitwirkung nachzuweisen ist.

Die Existenzvernichtungshaftung ist eine Haftung auf Schadensersatz. Es muss also „nur“ das Vermögen erstattet werden, das zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Die Haftung kann nur ein Insolvenzverwalter geltend machen, nicht aber ein einzelner Gläubiger. Ein Insolvenzverwalter, der nicht auf das Vorliegen von Haftungsansprüchen prüft und diese nicht ggf. geltend macht, macht sich seinerseits schadensersatzpflichtig. Wenn der Insolvenzverwalter kann, wird er Haftungsansprüche also geltend machen.

NEUE BGH-ENTSCHEIDUNG: AUFBÜRDEN NEUER SCHULDEN STEHT VERMÖGENSENTZUG GLEICH

Ein Eingriff in das Vermögen der Gesellschaft setzt aber nicht zwangsläufig einen Griff in die Kasse voraus. Aus Sicht der Gläubiger der Gesellschaft stellt es nämlich keinen wesentlichen Unterschied dar, ob sich die Befriedigungsaussichten für ihre Forderungen durch einen Entzug von Aktivvermögen oder eine Mehrung von Schulden verschlechtern. Der Entzug des Gesellschaftsvermögens kann auch durch die Erhöhung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft bewirkt werden, wenn hierdurch zielgerichtet und betriebsfremden Zwecken dienend die den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt wird. Zudem ist es gerade bei Unternehmenstransaktionen eine Frage der Gestaltung, ob einer GmbH ein rentabler Geschäftsbereich entzogen oder ein unrentabler Geschäftsbereich in eine andere, ggf. neue GmbH ausgelagert wird, die von vornherein nicht lebensfähig und deren Insolvenz damit vorprogrammiert ist (sog. „Aschenputtelfälle“). Dieser Sichtweise hat sich auch der BGH in seinem Urteil vom 6. November 2018 (Az. II ZR 199/17) angeschlossen.

Konkret ging es in dem BGH-Fall um die Verschmelzung einer zahlungsunfähigen und überschuldeten GmbH („A-GmbH“) auf eine andere GmbH („B-GmbH“). Dabei stand von Anfang an fest, dass die B-GmbH nicht in der Lage sein würde, ihre durch die Verschmelzung anwachsenden Verbindlichkeiten auch nur ansatzweise zu erfüllen. Ihr wurde also das zur Begleichung ihrer Schulden erforderliche Vermögen durch das Aufbürden neuer Schulden entzogen. Für die Übertragung des negativen Vermögens von der A-GmbH auf die BGmbH infolge der Verschmelzung erhielt der Gesellschafter der A-GmbH Anteile am Stammkapital der B-GmbH, an der nunmehr insgesamt zwei Gesellschafter beteiligt waren.

Die Verschmelzung führte dann auch zur Insolvenz der B-GmbH. Der Insolvenzverwalter nahm beide Gesellschafter der B-GmbH unter anderem aus dem Gesichtspunkt der Existenzvernichtungshaftung in Anspruch. Der Insolvenzverwalter war in erster Instanz und auch im Berufungsverfahren unterlegen.

Das Berufungsgericht ging dabei davon aus, dass es neben einem Vermögensentzug – es wurden ja „nur“ Schulden aufgebürdet – auch an einem auf dem Vermögensentzug beruhenden Vermögensvorteil eines Gesellschafters oder eines Dritten fehle. Die Annahme, es fehle an einem Vermögensvorteil, erscheint zunächst nachvollziehbar, da die Anteile an der B-GmbH, die der Gesellschafter der A-GmbH aufgrund der Verschmelzung erhalten hatte, wertlos waren. Die Verschmelzung führte zur Insolvenz der B-GmbH und die Gesellschafter einer GmbH gehen in einem Insolvenzverfahren in aller Regel leer aus.

Als Vermögensvorteil ausreichend sein soll nach der Auffassung des BGH aber, wenn sich durch den Eingriff in das Vermögen der übernehmenden Gesellschaft (hier die B-GmbH) die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft (hier die A-GmbH) sich dieser Gesellschaft durch die Verschmelzung entledigen können. Denn hierin liegt nicht nur eine Umgehung des vom Gesetz vorgesehenen Liquidationsverfahrens bzw. der Liquidation in der Insolvenz, sondern auch eine Verletzung des Prinzips der Vermögenstrennung beim übertragenden Rechtsträger, wenn dessen Gesellschafter ihr Interesse an der liquidationslosen Abwicklung des übertragenden Rechtsträgers zulasten des zweckgebundenen Vermögens des übernehmenden Rechtsträgers durchsetzen. Den Gesellschaftern der B-GmbH wurde also zum Verhängnis, dass sie die Verschmelzung zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens für die A-GmbH nutzten und dadurch die Insolvenz der B-GmbH hervorriefen. Damit hatten sie die Gläubiger der B-GmbH sittenwidrig geschädigt.

FOLGEN FÜR DIE PRAXIS

Mit seiner Entscheidung hat der BGH Rechtsklarheit in einer zuvor noch nicht höchstrichterlich geklärten Fragestellung geschaffen. Für die Praxis steht damit fest, dass ein existenzvernichtender Eingriff auch dann angenommen werden kann, wenn einer GmbH neue Schulden aufgebürdet werden, die sie nicht tragen kann. Aus Gläubigersicht ist das zu begrüßen. Für die Gesellschafter und Geschäftsführer der an einer Verschmelzung beteiligten GmbH tun sich aber Haftungsrisiken auf. Da der BGH die Existenzvernichtungshaftung auf das Deliktsrecht stützt, kommt auch eine Haftung der Berater wegen einer Teilnahme in Betracht. Mit der entsprechenden Sorgfalt kann aber eine Haftung vermieden werden.

Die Entscheidung zeigt auf, dass bei Verschmelzungen stets die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen. Für sich genommen war die Verschmelzung hier nicht zu beanstanden. Auch der BGH hat in dem Urteil ausdrücklich klargestellt, dass eine Verschmelzung zur liquidationslosen Abwicklung einer GmbH, deren Geschäftszweck sich erledigt hat, nicht nur häufig genutzt wird, sondern auch genutzt werden darf. Die Verschmelzung darf aber nicht zu einer Insolvenz der aufnehmenden GmbH führen. Diese muss also zahlungsfähig bleiben. Sie muss ihre fälligen, nach der Verschmelzung bestehenden Verbindlichkeiten – also die alten und die übernommenen Verbindlichkeiten – weiterhin erfüllen können. Zudem darf auch keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne herbeigeführt werden. Dabei führt nicht jede bilanzielle Überschuldung zu einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Letztere liegt nur dann vor, wenn bei einer bilanziellen Überschuldung keine positive Fortführungsprognose (mehr) aufgestellt werden kann. Für deren Erstellung ist der Geschäftsführer verantwortlich. Es muss  dokumentiert werden, dass die aufnehmende GmbH auf mittlere Sicht durchfinanziert ist.

Befindet sich die übertragende GmbH, die auf die aufnehmende GmbH verschmolzen werden soll, bereits in wirtschaftlicher Schieflage, ist also besondere Sorgfalt geboten. Beide Gesellschaften müssen in einem solchen Fall zwingend auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse untersucht werden. Aber auch eine Krise schließt eine Verschmelzung nicht generell aus. Dann muss aber ggfs. die  Überlebensfähigkeit der aufnehmenden GmbH sichergestellt werden. Abhängig vom Einzelfall können eine Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel durch Gesellschafter oder Dritte sowie eine Verringerung der Schuldenlast bzw. Stundung von Schulden durch geeignete Vereinbarungen Abhilfe schaffen. Ohne derartige Maßnahmen, die auf den Einzelfall zugeschnitten sein müssen, führt eine in der Krise durchgeführte Verschmelzung zu einem hohen Haftungsrisiko für Gesellschafter und Geschäftsführer.