Mit Daten zu mehr Gerechtigkeit: Telematik-Tarife

Mit Daten zu mehr Gerechtigkeit: Telematik-Tarife

Von Stephen Voss

Das Thema Telematik ist nicht neu, die Technologie dahinter wandelt sich aber rasant. Spätestens seit den frühen 2010er-Jahren sind etliche Projekte aus dem Markt bekannt. Viele nationale und internationale Versicherer haben sich seitdem mit dieser Technologie und deren Anwendungsmöglichkeiten beschäftigt. Es stellt sich die Frage, warum sich dieses Versicherungsmodell, das doch zahlreiche Vorteile mit sich bringt, noch nicht im Markt durchgesetzt hat.

Abgesehen von Italien, wo in bestimmten Regionen ein Telematik-Tarif quasi die einzige Möglichkeit ist, ein Fahrzeug zu versichern, hat sich das Modell hierzulande noch nicht wirklich durchgesetzt. Schauen wir also einmal auf unseren Heimatmarkt Deutschland, der derzeit immerhin auf knapp 750.000 Telematik-Verträge kommt, wie das in Köln ansässige Aktuarshaus MSK einschätzt. Die vermeintlich hohe Zahl wird allerdings relativiert, wenn man bedenkt, dass in der Bundesrepublik aktuell rund 65 Millionen Fahrzeuge zugelassen und damit natürlich auch – in welcher Form auch immer – versichert sind. Dafür gibt es ohne Zweifel Gründe.

Gute Idee, schlechte Umsetzung
Die einen sind technischer Natur: Die frühen Modelle der Telematik-Erfassung waren umständlich im Fahrzeug anzubringen. So gab es ein Gerät, das in den Zigarettenanzünder gesteckt werden musste und nur wenige Daten aufzeichnen konnte. Darauf folgten sogenannte „OBD Dongles“, die an die Kommunikationsschnittstelle des Fahrzeuges eingesteckt wurden. Diese waren an sich schon gut, aber zu teuer und sie haben letztlich auch die Diagnoseschnittstelle des Fahrzeuges blockiert. Daher landeten solche Dongles nach der Inspektion irgendwo im Auto, aber nicht mehr an der Schnittstelle – eine Telematik-Daten-Erfassung war damit nicht möglich. Ein weiterer Nachteil war dann noch die Tatsache, dass die OBD Schnittstelle erst ab den frühen 2000er-Jahren an Fahrzeugen verbaut wurde, ältere Fahrzeuge können damit nicht nachgerüstet werden. Die reinen Smartphonebasierten Modelle im Markt hatten wiederum den Nachteil, dass die Daten aus dem Handy bei Fahrtantritt, Fahrtende und den Beschleunigungswerten dazwischen zu unpräzise waren und das Smartphone natürlich stets in Betrieb sein musste. Zudem verbrauchte der Telematik-Modus viel Strom, also Akkulaufzeit. Auch Probleme mit der verwendeten Software waren anfangs noch ein großes Problem.

Neue Technologie führt zum Durchbruch
Als erfolgversprechendstes Modell hat sich daher eine Kombination aus Smart-Device im Fahrzeug und Smartphone ergeben. Dabei verbleibt im Fahrzeug ein sogenannter Beacon, mit eigener Stromversorgung und Sensorik. Der große Vorteil hiervon ist, dass immer auch Fahrten aufgezeichnet werden, wenn gerade kein Smartphone in der Nähe ist, das Smartphone dient im Wesentlichen lediglich der Übertragung und ggfs. Anreicherung der Daten und der Nutzerverfizierung. Der Beacon kann in jedem Fahrzeug verbaut werden, also auch in älteren Autos oder gar Oldtimern. Er hat seine eigene Sensorik und Batterie (hält mehrere Jahre), damit wird die Akkulaufzeit des Smartphones nicht oder nur sehr gering beeinträchtigt. Durch die permanente Verwendung im Fahrzeug lässt sich eine Vielzahl an Daten erheben und daraus viel besser einen für den jeweiligen Fahrer geltenden Durchschnittswert berechnen als dies mit einzelnen,  sporadisch aufgezeichneten Fahrten möglich wäre. Die Zahl der „Ausreißer“ in den Daten wird über die Menge geglättet. Auch können mit einem im Fahrzeug verbauten Beacon mehrere Nutzer dieses Fahrzeugs anhand der Smartphones zugeordnet werden. Daraus ergibt sich eine ganz neue Palette an Car-Sharing Modellen. Man muss aber gar nicht so weit gehen: Schon bei Familien, die ein oder mehrere Fahrzeuge gemeinsam nutzen – vielleicht mit einem jungen Fahranfänger – lohnt sich die Beacon- Variante. Hier kann die/der Fahranfängerin beispielsweise in einem kostengünstigeren Modell, weil Telematik überwacht, in eine Familienpolice einsteigen. Natürlich kann man nun einwenden, dass man viel von sich preisgeben muss, aber die geltende Alternative im Markt ist, dass der Fahranfänger/in bei der schlechtesten Schadenfreiheitsklasse „SF 0“ startet, das heißt, einen zum Teil sehr teuren Versicherungsschutz braucht. Ein Telematik-Tarif könnte aber nachweisen, dass derjenige nur gelegentlich das Auto nutzt und darüber hinaus äußert defensiv und vorsichtig fährt. Nur diese Daten ermöglichen also dem Versicherungsunternehmen, ein günstigeres Preismodell anzubieten. Oder anders formuliert: Mit Telematik besteht erstmals die Möglichkeit, das starre Schadenfreiheitssystem aufzubrechen und Alternativen zu finden.

Bewusstes, sicheres und günstigeres Fahren
Mit der Telematik kommt so ein bei Versicherungsnehmern sehr wichtiger Aspekt hinzu: Die Technologie erfasst, wie der Kunde fährt, also zahlt man je nach persönlichem Fahrverhalten. Das ist das klassische PAY HOW YOU DRIVE. Doch jetzt kombinieren wir diese Variante mit einer zweiten Komponente, die es ja im Markt schon gibt, nämlich den gefahrenen Kilometern pro Jahr. Das ist dann PAY AS YOU DRIVE. Das Ergebnis ist einfach. Normalerweise ist der Jahresbeitrag für einen potenten Sportwagen sehr hoch, weil der Versicherer den risikotechnischen Durchschnitt aller Fahrer/innen über die tägliche Nutzung über ein Jahr mit diesem Fahrzeug errechnet. Das kann bei bestimmten Modellen teuer werden. Haben wir aber einen Fahrer, der nur gelegentlich und dann ordnungsgemäß und vorsichtig das Fahrzeug bewegt, glättet diese Fahrweise in einem normalen Tarif lediglich ein wenig die Spitzen der Schadenstatistik. In einem kombinierten „pay as you drive – pay how you drive“-Modell kann man diesen Kunden einen angepassten Preis anbieten. Hier hat also die Bereitstellung der Daten große Vorteile für den Kunden. Wer dann schnell und nicht immer StVO-gemäß unterwegs ist, dem bleibt ja immer noch der normale Tarif. Von einer Diskriminierung zu sprechen, ist demnach falsch.

Riesiges Potenzial im Geschäftskundenbereich
Gerade hier sollte man auc h genaueres Augenmerk auf die neuen Telematik-Tarife legen, denn sie sind viel Nutzerspezifischer als die bisher bekannten Modelle im Markt. Erst durch Telematik-Modelle lassen sich Produkte für unterschiedliche Zielgruppen realisieren, die sich in den alten Rechenmodellen nicht darstellen ließen. So können sichere Vielfahrer, Familien mit mehreren  Nutzern oder Einzelpersonen mit einigen Fahrzeugen durch die Beacon-Technologie und ihr persönliches Smartphone jederzeit eindeutig als aktueller Fahrer zugeordnet werden und von günstigeren Tarifen profitieren. Das wäre zum Beispiel eine sinnvolle Alternative, weil technikgestützt, für das Wechselkennzeichen. Auch Autosammler würden von einem solch höchstindividuellen Versicherungssystem profitieren. Doch hier handelt es sich bis jetzt um die „kleinen“ Anwendungen im Privatbereich. Spannend wird Telematik auch und vor allem bei großen Flotten, da man dort von ganz anderen Kostendimensionen spricht. Hier haben der Versicherer und auch der Flottenkunde einen viel besseren Überblick über die einzelnen Fahrzeuge und Fahrer. Klingt wieder nach Überwachung, macht aber auch hier unheimlich viel Sinn, weil die Effizienz gesteigert und Kosten gesenkt werden. Ein Beispiel: Wird ein Sprinter von mehreren Fahrern  bewegt, kann nun genau nachverfolgt werden, wer wie sorgsam mit dem Arbeitsgerät umgeht. Eine unsachgemäße Nutzung führt zu Verschleiß, Schäden und damit zu höheren Kosten, die letztendlich über den Unternehmenserfolg mitentscheiden und damit wieder über Arbeitsplätze. Jede Medaille hat hier also zwei Seiten. Die Offenlegung der Bewegungsdaten hat viele Vorteile, aber dieser Mehrwert muss dem Kunden auch aufgezeigt werden. Nur dann werden Privat- und Geschäftskunden auch gerne ihre Daten, natürlich zweckbezogen und geschützt, zur Verfügung stellen. Im Übrigen bekommt der Versicherer nicht die Daten en détail. Niemand im Versicherungsunternehmen weiß, wer wohin wann und wie schnell gefahren ist. Der Versicherer bekommt durch eine Zwischeninstanz lediglich einen errechneten ore-Wert, der ausgibt, wie angepasst der Versicherungsnehmer fährt.

Der letzte und sicherlich auch schönste Effekt der Telematik ist aber der, dass dem Fahrer bewusst wird, was die Auswirkung seiner Fahrweise und -dauer auf seinen Versicherungspreis sein werden. Er wird daher sein Fahrverhalten anpassen und damit umsichtiger am Straßenverkehr teilnehmen. Der Score wird so zur individuellen Messlatte, die es zu unterbieten gilt. Weniger stark beschleunigen, weniger stark bremsen, führt zu weniger Verschleiß und weniger Verbrauch und das letztendlich, egal ob Otto-Motor oder Elektroantrieb, zur Schonung von Ressourcen – und das ist gut für die eine Sache, die uns alle angeht: Unseren Planeten!

Stephen Voss

Stephen Voss
Gründer und Vorstand
Neodigital Versicherung AG

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Versicherung“ erschienen.
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