Lassen Sie uns über Personalmaßnahmen sprechen!

Dr. Dirk Andres, Rechtsanwalt, Restrukturierungsberater und Partner, AndresPartner

Seit bereits Mitte 2019 ist die deutsche Wirtschaft im Krisenmodus – zumindest, wenn man den Presseveröffentlichungen Glauben schenkt. Die Disruption in verschiedenen Wirtschaftszweigen zwingt viele Unternehmen zu einem radikalen Umdenken. Geschäftsmodelle und Prozesse verändern sich mit einer nicht gekannten Geschwindigkeit. Dies führt oftmals dazu, dass Unternehmen in eine existentielle Krise geraten. Selbst wenn dann neue Geschäftsideen vorhanden sind, fehlt in vielen Fällen das Geld, um sie umzusetzen. Dabei kann es an fehlenden liquiden Mitteln für neue Investitionen in die technische Ausstattung liegen. Ein Problem kann aber auch die Struktur der Arbeitnehmerschaft sein. Unter Umständen müssen ganze Geschäftsbereiche geschlossen werden, und die Mitarbeiter können in anderen, aufstrebenden Geschäftsbereichen nicht beschäftigt werden.

Dann steht ein Personalabbau an. Diesen Weg will kein Geschäftsführer gerne gehen. Langjährig Beschäftigte, für die man sich verantwortlich fühlt, entlässt man nicht so einfach. Es ist aber oftmals erforderlich, um die Zukunft des Unternehmens und damit die verbleibenden Arbeitsverhältnisse zu sichern. Ein zu langes Festhalten an alten Geschäftsmodellen mit Rücksicht auf die dort Beschäftigten ist nur auf den ersten Blick gut. Es kann das gesamte Unternehmen auch in den Abgrund reißen.

Die Situation der deutschen Wirtschaft hat sich jetzt im Zuge der COVID-19-Pandemie seit März 2020 massiv verschlechtert. Die Auswirkungen sind in der Gesamtheit noch nicht final absehbar. Klar ist aber ohne Frage, dass Unternehmen handeln müssen, um so unbeschadet wie möglich aus dieser nie dagewesenen Krise hervorzugehen. Und das frühzeitig und entschlossen.

PERSONALABBAU OHNE MITTEL NICHT MÖGLICH

Für einen Personalabbau fehlt in der Krise häufig die Liquidität. Die betroffenen Mitarbeiter sind langjährig im Unternehmen und haben sich über die Zeit Besitzstände erarbeitet, die in einem Kündigungsverfahren teuer aufzulösen sind. Banken finanzieren solch einen Personalabbau in der Regel nicht. Betriebsrat und Gewerkschaften fordern zu Recht hohe Abfindungen. Sollte es in einem solchen Fall zu einer Pattsituation kommen, in der die Geschäftsführung vor der Situation steht, dass der Personalabbau nicht aus eigenen Mitteln gestemmt werden kann und das Unternehmen mit den hohen Personalkosten auf Sicht in eine existenzielle Krise gerät, müssen sich die Unternehmensverantwortlichen mit alternativen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.

ALLE OPTIONEN MÜSSEN GEPRÜFT WERDEN

Dabei ist es heute obligatorisch, auch Szenarien eines gerichtlichen Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahrens durchzuspielen, um den beteiligten Arbeitnehmervertretern zu verdeutlichen, was die Blockade einer Zusammenarbeit für das Unternehmen und alle Mitarbeiter bedeutet. In vielen Fällen kann man sie durch diese Szenarien dazu bewegen, ihre Haltung noch einmal zu überdenken, und gemeinsam mit der Geschäftsführung die zwar unliebsamen, aber erforderlichen Schritte konstruktiv zu begleiten. Ist eine solche Einsicht nicht zu erzielen und beharren die Arbeitnehmervertreter auf Forderungen, die das Unternehmen nicht aus eigener Kraft stemmen kann, sollte geprüft werden, ob das Unternehmen dann nicht in eine so existenzbedrohende Situation gerät, dass eine Sanierung über ein Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren unausweichlich wird.

SANIERUNGSVERFAHREN EIGENVERWALTUNG UND SCHUTZSCHIRM

Die Sanierungsverfahren Eigenverwaltung und Schutzschirm sind inzwischen in der Praxis gut angekommen und werden nicht mehr überwiegend als Makel, sondern als Möglichkeit gesehen, schnell die notwendigen Veränderungen im Unternehmen durchzuführen, um das Unternehmen nachhaltig wettbewerbsfähig für die Zukunft aufzustellen.

In diesen Verfahren kann das Unternehmen auf Sanierungsinstrumente zurückgreifen, die es außerhalb nicht hat. Grundsätzlich sind die Möglichkeiten der Personalanpassung keine grundlegend anderen als außerhalb des Verfahrens. Es gibt aber einige wichtige Begrenzungen, die ohne Eigenverwaltung oder Schutzschirm nicht möglich sind. So sind die maximalen Kündigungsfristen beispielsweise auf drei Monate begrenzt, das Sozialplanvolumen auf maximal 2,5 Bruttomonatsgehälter pro betroffenem Arbeitnehmer. Zudem ist die Möglichkeit der arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt, wenn mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich eine Namensliste verhandelt wurde. Die Kosten für Personalmaßnahmen sinken damit in aller Regel auf weniger als 50 Prozent der Kosten, die außerhalb eines Verfahrens anfallen würden.

INSOLVENZGELD SCHAFFT WICHTIGEN SPIELRAUM FÜR RESTRUKTURIERUNG

Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Vorteil: Das Unternehmen ist im Verlauf des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens durch die Insolvenzgeldzahlung maximal drei Monate lang von der Verpflichtung zur Lohn- und Gehaltszahlung befreit. Hierdurch treten positive Liquiditätseffekte auf, die Unternehmen oftmals überhaupt erst in die Lage versetzen, dringend notwendige Personalmaßnahmen umsetzen zu können. Nach den drei Monaten müssen alle Personalkosten dann wieder selbst getragen werden. Zudem erzeugt die Antragstellung ein psychologisches Moment. Alle Beteiligten verstehen, dass das Unternehmen in einer lebensbedrohlichen Lage ist. Es gilt in den drei Monaten des vorläufigen Verfahrens die Zeit zu nutzen, um die Personalmaßnahmen zu verhandeln und abzuschließen. Dieser zeitliche Druck erhöht auf allen Seiten die Bereitschaft, sich mit dem Thema konstruktiv und zügig auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden. Kombiniert mit einer Transfergesellschaft kann dann nach drei Monaten zum Stichtag der Eröffnung eines Verfahrens bereits das Unternehmen mit der Zielbelegschaft arbeiten. Dies bietet den weiteren Vorteil, dass nicht während einer längeren Kündigungszeit von zum Teil sieben Monaten, noch Arbeitnehmer im Betrieb tätig sind, die sich, aus verständlichen Gründen, längst innerlich vom Unternehmen verabschiedet haben. Kurzum: Die Stimmung, die während der Verhandlungen über den Personalabbau in aller Regel erheblich leidet, dreht sich viel schneller wieder in eine positive Grundhaltung, die für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens wichtig ist. Diesen Effekt kann die Geschäftsführung nutzen, um eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen und den Wandel zu der erforderlichen Neuausrichtung des Unternehmens noch zu beschleunigen. Durch diese Vorgehensweise, die in gewissem Umfang disruptiver als ein Personalabbau außerhalb eines Verfahrens ist, kann auch in anderen Bereichen ein dringend erforderlicher Wandel in den Köpfen der Mitarbeiter und leitenden Angestellten erreicht werden. Wichtig ist dann, diese Aufbruchsstimmung zu nutzen und nicht durch den Rückfall in alte Verhaltensmuster wieder aufzubrauchen. Dann ist im Ergebnis nichts erreicht, und nur eine kurzfristige Entlastung des Unternehmens von Personalkosten allein wird in aller Regel keine dauerhafte Sanierung ermöglichen.

RISIKEN ANTIZIPIEREN

Allerdings darf nicht ausgeblendet werden, dass Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren auch eine Herausforderung für alle wesentlichen Beteiligten bedeuten. Kunden haben beispielsweise im langfristigen Projektgeschäft immer noch oftmals Hemmungen neue Aufträge an Unternehmen zu vergeben, die sich in einem solchen Verfahren befinden. Auch öffentliche Aufträge sind während der Dauer eines Verfahrens nur schwer abzuschließen. Wichtig ist, dass dem Geschäftsführer ein erfahrener Verhandlungspartner zur Seite steht, der die Fallstricke der Praxis aus eigener Erfahrung kennt und beurteilen kann, welche Vorgehensweise zielführend ist, um das Unternehmen dauerhaft zukunftssicher aufzustellen. Auch die Kommunikation mit den wesentlichen Stakeholdern ist ein wichtiger Baustein, um Vertrauen in die Sanierung zu erzeugen. Dann hat die Geschäftsführung ausreichend Zeit, um die von ihr geplanten Sanierungsschritte umzusetzen und das Unternehmen wieder fit für die Zukunft zu machen.

FRÜHZEITIGES HANDELN DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Wie in jeder Krise ist es wichtig, dass die Geschäftsführung frühzeitig die Zeichen der Veränderung erkennt und sich mit allen Möglichkeiten für eine Lösung beschäftigt. Dabei darf ein Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren nicht ausgeblendet werden, sondern es muss gerade wegen der Liquiditätsunterstützung in den ersten drei Monaten sowie der aufgezeigten verbesserten Möglichkeiten der Personalanpassung mit in die Optionssuche einbezogen werden. Es muss immer Teil der Abwägung sein. Ein erfahrener Berater an der Seite der Geschäftsführung kann dabei die Vor- und Nachteile herausstellen und erheblich mit zu einer gelungenen Neuaufstellung beitragen. Oftmals wird man die Eigenverwaltung oder den Schutzschirm gar nicht nutzen müssen, die Beschäftigung damit bringt aber vielfach Argumentationshilfen, die allen Beteiligten den Ernst der Situation klar machen.