bocquel-news
17. November 2021 – Die Digitalisierung, Nachhaltigkeit und der Verbraucherschutz bestimmten die virtuelle Tagung „Handelsblatt Insurance Summit 2021“. Die komplexe Versicherungswelt müsse vereinfacht werden. Darauf müsse man sich einstellen: Ein „neuer Humanismus“ für nachhaltigen Erfolg in der Versicherungswirtschaft.
Wieder gaben sich die Vorstände der großen Versicherer bei der Tagung „Handelsblatt Insurance Summit 2021“ ein Stelldichein. Die Themenpalette reichte von den veränderten Kundenerwartungen über die Folgen der Corona-Krise und der Digitalisierung bis hin zu Nachhaltigkeitsrisiken.
Warum die Digitalisierung die Kundenerwartungen grundlegend verändert, zeigte Dr. Alexander Vollert auf, der noch Vorstandsvorsitzender der Axa Deutschland (www.axa.de) und demnächst neuer COO der Axa Gruppe in der Konzernzentrale in Paris. So erwarte die „Generation Amazon“ sofortige und ständige Verfügbarkeit und habe wenig Toleranz für komplizierte und langwierige Prozesse.
Die „Generation Social Media“ habe eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und einen hohen Anspruch an individuelle Ansprache und Angebote. Die „Generation Greta“ habe veränderte Ansprüche an Nachhaltigkeit und Purpose von Unternehmen, sei kritischer als Kunde, aber auch als Mitarbeitende. Letztgenannte Angehörige dieser Generation werden nur für Unternehmen arbeiten, die dem Thema Nachhaltigkeit gerecht werden.
Darauf hätten sich die Versicherer einzustellen, so Vollert. Künftig werde die Axa nur noch Angebote für Kunden entwickeln und nicht mehr für den Vertrieb. Die Rolle des Vertriebs werde sich vom Produktverkauf wegentwickeln zum Problemlöser, wie es etwa bei den Hilfen nach der Sturmflut „Bernd“ gezeigt habe.
Produkte müssten einfach und zugänglich sein und einen Mehrwert in der Beratung darstellen. Auch die Komplexität im Unternehmen müsse abnehmen. So habe man bei der Axa Deutschland die Hierarchie-Ebenen von sechs auf vier reduziert. Versicherungsprodukte müssten zunächst einfach und digital entwickelt werden, eine Ausdifferenzierung könne danach erfolgen.
Einfachheit ist keine einfache Sache
Auch in der Informationstechnologie gelte es, zuerst Standard-Software bei administrativen Systemen einzusetzen. Allerding sei Einfachheit keine einfache Sache, zitierte der Axa Deutschland-Chef den britischen Schauspieler und Lebenskünstler Charlie Chaplin. Klar sei, dass die Digitalisierung seit Corona in allen Bevölkerungsgruppen nicht mehr wegzudenken sei. Eine persönliche Beratung könne aber auch digital sein. Die digitale Beratung hätte bei der Axa um das Zweieinhalbfache seit Corona zugenommen.
Auch Mario Greco, CEO der Zurich Insurance Group (www.zurich.com), diskutierte mit und betonte den Veränderungsbedarf in der Versicherungswirtschaft. Die digitale Revolution erlaube es den Versicherern, direkt mit den Kunden zu kommunizieren. Aber auch Greco möchte keine Menschen durch Computer ersetzen. Künstliche Intelligenz könne eingesetzt werden, um den Kunden Nutzen und neuartige digitale Services anzubieten – mehr aber nicht.
„Neuer Humanismus“ für die Versicherungswirtschaft
Einen „neuen Humanismus“ für nachhaltigen Erfolg in der Versicherungswirtschaft sieht Giovanni Liverani, CEO der Generali Deutschland, als Post-Corona-Chance. Die Pandemie habe vieles bei den Menschen verändert. Niemand habe sich vorstellen können, dass Besuche zu Verwandten oder Freunden eingeschränkt würden. Das Wort Risiko habe eine völlig neue Wahrnehmung erhalten. Die Kunden hätten nun die Bedeutung menschlicher Beziehungen erkannt.
Giovanni Liverani (hier im Foto als Screenshot während des Handelsblatt Insurance Summit 2021) forderte ein intelligentes Zusammenspiel von persönlicher und digitaler Kommunikation. Die technologische Entwicklung müsse den Menschen in den Mittelpunkt des Handelns stellen. So würden bei der Generali (www.generali.de) Prozessoptimierungen vorgenommen, damit die Mitarbeiter mehr Zeit für den Dialog mit den Kunden hätten.
Der Generali-Chef hob dabei auch die Assistance- und Präventionsangebote ‚Generali Vitality‘ und ‚Generali Vital Signs & Care‘ hervor. Generali Vitality möchte Menschen Schritt für Schritt auf ihrem Weg in ein gesünderes Leben motivieren und begleiten (bocquel-news 30. Januar 2020 Generali glüht die nächste Vitality-Generation vor). Mit Generali Vital Signs & Care werden Dienstleistungen angeboten wie Gesundheitsberatung aus der Ferne, maßgeschneiderte Präventionsprogramme und persönliche Assistance Services. Diese App ist den Angaben zufolge in der Lage, die Sauerstoffsättigung des Blutes, die Atemfrequenz, die Herzfrequenz und die Herzfrequenzvariabilität ausschließlich über eine Smartphone-Kamera zu messen. Dies sei das Versicherungsgeschäft der Zukunft, so Liverani.
Wachstum mit und im Mittelstand
Oliver Schoeller, Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungen, hob die Bedeutung des Mittelstandes für die deutsche Wirtschaft hervor. So gebe es drei Millionen Familienbetriebe in Deutschland mit etwa 17 Millionen Beschäftigten, das entspricht einem Anteil von 60 Prozent der deutschen Wirtschaft. Mit 2,6 Billionen Euro Umsatz liege der Anteil am Gesamtumsatz bei 52 Prozent. Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) lag in Deutschland zwischen 2015 und 2020 bei 2,2 Prozent, das der Familienbetriebe bei 2,9 Prozent. Und ein Wachstum von sogar 4,0 Prozent habe es im Bau- und verarbeiteten Gewerbe gegeben, einer wichtigen Säule des Mittelstands.
Mit dem Wachstum des Mittestands wachsen
Oliver Schoeller erklärte, dass die Komplexität der Risiken im Mittelstand zunehme. Man denke an Cyberangriffe, Verwundbarkeit der Lieferketten oder Engpässe in der Chipindustrie. Die Gothaer wolle aber nicht den Versicherungsanteil der Unternehmensausgaben erhöhen, sondern mit dem Wachstum des Mittestands wachsen. Aus den Megatrends wie beispielsweise dem Klimawandel wolle man die wirtschaftlichen Chancen des Mittelstandes nutzen. Der Gothaer-Chef zeigte zudem entsprechende Perspektiven im Verkehr oder der Gebäudesanierung auf.
Was von der Aufsicht zu erwarten ist
Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zeigte drei Schwerpunkte auf, auf die seine Behörde verstärkt achten wird: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz. Die digitalen Prozesse, befeuert durch die Pandemie, müssten finanziert werden. Das gelte auch für den Schutz vor Cyber-Attacken oder vor unternehmensinternen Sicherheitslücken. Die Aufgabe der Versicherer sei es, diese IT-Risiken zu erkennen und zu beheben.
Auch werde die BaFin ein Auge auf Nachhaltigkeitsrisiken der Versicherer haben. Einmal habe der Versicherer diese als Risikoträger etwa bei Naturkatastrophen oder als Kapitalgeber. Aber viele Versicherer hätten die Dringlichkeit des Themas erkannt, meinte der BaFin-Exekutivdirektor Dr. Frank Grund. Oft sei dies Chefsache in vielen Unternehmen.
Als drittes Thema nannte Dr. Grund den kollektiven Verbraucherschutz. Der Verbraucher dürfe nicht zu kurz kommen, wenn viele Geschäftsvorfälle digitalisiert würden. Und: Die Lebensversicherer sollten auf ihre Storno-Quote achten. Wenn zum Beispiel ein Drittel der Kunden nach zehn Jahren ihren Vertrag kündigten, dieser sich aber erst danach rechne, werde dies problematisch. Hier solle der Versicherer über seine Produktgestaltung, seinen Vertriebsweg oder seine Produktinformation nachdenken. (Text und Fotos Bernd Rudolf / www.bocquel-news.de)