Dieser Wunsch besteht vermutlich seit der Verbreitung des World-Wide-Webs: Ein stringenter, digitaler und transparenter Kreditprozess, um Kunden zu gewinnen und zu binden. Und einige Institute haben die Messlatte bereits hochgelegt, wie zum Beispiel die ING mit ihrem Baufinanzierungsprozess, das Bankhaus Bauer mit seinem gewerblichen Kundenonbaording oder diverse Ratenkreditanbieter mit ihrer Know-Your-Customer (KYC)-Prüfung für Neukunden
Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Ein Großteil der Banken folgt nach wie vor einem stark fragmentierten Ablauf von E-Mails, Upload-Portal, Telefonaten und physischen Dokumenten. Bremser ist, anders als erwartet, nicht etwa technologische Trägheit, sondern strategische Unklarheit.
Change-Vorlage: Wie echte Digitalisierung im Kreditprozess möglich wird.
Eins ist also klar: Ohne stringente Kreditstrategie ist auch der Kreditprozess nur schwer formbar. Für Banken gilt es also, diese Grundlage noch vor den Überlegungen zum Einsatz von KI im Prozess – vom Erstgespräch bis zur Kreditzusage – zu legen. Denn sie müssen entscheiden, auf welche Geschäfte sie sich fokussieren, um ihr Business anzukurbeln.
Zu den zentralen strategische Fragestellungen gehört unter anderem die Definition der für das Institut interessanten Darlehensarten und der angestrebten Ertrags- und Risikoprofile – im Wesentlichen also des Risikoappetits. Wobei ein höherer Risikoappetit auch entsprechend mehr Prüfmechanismen erfordert. Umgekehrt können Banken mit höherem Risikoappetit mittels schlanker Überprüfungen im Rahmen der Regulatorik Kreditprozesse beschleunigt durchsetzen.
Hinsichtlich der Entwicklung bestehender Mandate ist die Segmentierung von Kundengruppen relevant. Bestimmte Kreditarten – wie etwa hochvolumige Kredite bekannter Kunden – sollten besonders schnell bearbeitet werden, um Geschäft nicht an Konkurrenten zu verlieren.
Und im großen Ganzen sollten mögliche künftige Entwicklungen im Produktportfolio bereits frühzeitig in die Prozessstrategie einfließen, um spätere Anpassungen zu vermeiden und regulatorische Anforderungen vorausschauend erfüllen zu können.
Als kompakte Checkliste kann also konstatiert werden:
- Welche Darlehen sind für das Institut interessant?
- Wie viel Risikoappetit mutet sich ein Geldhaus zu und wie intensiv sind dementsprechend vorgesehene Überprüfungen?
- Gibt es Darlehen, die mit geringerer manueller Prüfung an Relevanz gewinnen würden?
- Bestehen Kundengruppen, die besondere Aufmerksamkeit oder schnelle Bearbeitungszeiten erfordern?
- Sind Entwicklungen im Produktportfolio der Bank vorgesehen, die bereits heute berücksichtigt gehören?
Digitale Plattformen bieten die Grundlage für direkten Kundenzugang
Diese Kreditstrategie muss sich schlussendlich in den Antrags- und Auszahlungsprozessen der Bank manifestieren. Herausforderungen hierbei sind weiterhin stark fragmentierte IT-Landschaften, sodass der Kunde im ungünstigsten Fall sogar mit mehreren Systemen gleichzeitig agieren muss, um seine Bank anzusprechen.

Abbildung 1: Beispielhafter Baufinanzierungs-Kreditprozess als Grundlage für eine Baufinanzierungs-Kreditplattform
Geldhäuser sind daher gut beraten, eine Kreditstrategie nicht nur zu beschließen, sondern sie auch effektiv in ihre Prozesse einzubinden. Aus Sicht des Kunden dabei neben gewonnener Geschwindigkeit vermutlich der größte Vorteil: ein einheitlicher Zugang zur Bank und dem bekannten Ansprechpartner.
Über kurz oder lang werden Banken – insbesondere im Privatkundesegment – deshalb nicht ohne eine Kreditplattform auskommen. Diese bildet dem Kunden gegenüber den Kreditprozess transparent ab und gibt ihm die Möglichkeit Anfragen, Angaben und Dokumente 24/7 direkt mit der Bank auszutauschen. Damit wird sie zu der in Software gegossene Manifestierung der Kreditstrategie.
Stringente Kreditstrategie ist im Kreditprozess spürbar – Schnelligkeit entscheidet
Ein Großteil des Kundenerlebnisses ist mit einer solchen Transformation bereits gerettet. Nur eine Blackbox bleibt – die Kommunikation in Markt und Marktfolge der Bank. Denn viel zu oft werden eingereichte Dokumente zur Prüfung zwar durch den Markt eingesammelt, jedoch nur an die Marktfolge weitergereicht, sodass ein Kommunikations-Ping-Pong entstehen kann. Dies führt zu unverständlich langen Wartezeiten für den Darlehensnehmer, der sich gegebenenfalls bereits auf die Suche nach anderen Anbietern macht.
Game Changer an dieser Stelle sind direkte Rückmeldungen an den Kunden, die unmittelbar auf die Kreditstrategie aufbauen. So können Vertrieblerinnen und Vertriebler am besten bereits im Erstgespräch eine kurze, unverbindliche Voreinschätzung geben,
wie wahrscheinlich sie ein Darlehen vergeben werden. Grundlage dafür sind die oben bereits aufgeworfenen Fragestellungen zu Kreditausprägungen, die in die Strategie des Hauses passen – oder eben weniger.
Künstliche Intelligenz prüft Dokumente autonom – und mittlerweile zuverlässig
Dreh- und Angelpunkt intensiver Prüfungen bleiben weiterhin Dokumente. Bereits getroffene Angaben werden darin validiert oder neue Informationen eingelesen. Um auch an dieser Stelle ein Ping-Pong zwischen Kunde, Markt und Marktfolge zu vermeiden, sollten Banken hochgeladene Dokumente auf ihre Korrektheit prüfen und – falls Sammeldokumente zugelassen sind – zusammengesetzte Dokumente zuordnen. Damit kann neben einem inhaltlichen Feedback hinsichtlich der Finanzierungswahrscheinlichkeit eines Kredits auch Echtzeitfeedback zur Güte der eingereichten Dokumente erreicht werden.

Diese Dokumente dann so vorzubereiten, dass eine Dunkelverarbeitung denkbar wird, erfordert zwei Schritte:
- die Digitalisierung eines Dokuments, also das Überführen eines Fotos oder eines PDFs in einen maschinenlesbaren Datensatz und
- die Überprüfung der Inhalt dieses Datensatzes auf relevante Informationen.
Künstliche Intelligenz und die rasanten Entwicklungen von Sprachmodellen, multimodalen Modellen und OCR-Technologie ermöglichen seit Beginn 2025 erstmals eine zuverlässige Digitalisierung komplexer Unterlagen wie Grundbücher, Identifikationsnachweise oder Handelsregisterauszüge.
Technologisch vielversprechend ist an dieser Stelle die Verbindung mehrerer KI-Modelltypen. Dadurch können auch herausfordernde Passagen, wie Durchstreichungen, Stempel oder handschriftliche Anmerkungen, eingewertet werden.
Der Mehrwert von KI im Hintergrund des Kreditprozesses wird an einem Beispiel deutlich: In der Baufinanzierung ist stets ein Grundbuch mit anzugeben, in dem die Rechte und Besitzverhältnisse für Grundstück niedergeschrieben sind. In der zweiten Abteilung des Dokuments werden kritische Hinweise, wie Wegerechte oder Niesbrauch, hinterlegt. Sie stellen ein Kreditrisiko dar und müssen daher gemäß der Kreditstrategie bei der Vergabe berücksichtigt werden.
Im Status quo reicht der Kunde diesen Scan ein und ein Sachbearbeiter prüft, ob entsprechende Einträge enthalten sind. Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz ist lediglich die Zustimmung zu den von der KI identifizierten Findings notwendig. Außerdem können die im Grundbuch historisch niedergeschriebenen Daten auch in die Systeme der Bank übertragen werden. Damit legen sie die Basis für eine zukünftig vollständig digitale Verwaltung des Kredits.
Künstliche Intelligenz in Kreditprozessen ist ein Game Changer – jedoch primär auf Effizienzebene
Die schwerwiegendste Rolle spielt somit – auch im Zeitalter digitaler Disruption – weiterhin die strategische Ausrichtung einer Bank. Diese Strategie muss sich in den vorhandenen Kreditprozessen widerspiegeln, damit sie ihren Wert nachhaltig entfaltet.
Künstliche Intelligenz wird sich insofern als Wettbewerbsvorteil etablieren, als dass mit dem Einsatz von KI Bearbeitungszeiten signifikant gesenkt und im Kontext des Fachkräftemangels die Tätigkeit von Sachbearbeitern auf das Review von Prüfergebnissen beschränkt werden kann.
Autor:
Fabian Forthmann Senior Consultant im Bereich Artificial Intelligence bei der msg for banking ag
Fabian Forthmann berät Banken und Finanzdienstleister hinsichtlich der Entwicklung und Einführung von datengetriebenen Modellen in ihrem technischen und regulatorischen Umfeld. Neben der Erschließung vielversprechender Anwendungsfälle von künstlicher Intelligenz bewegt ihn insbesondere die nachhaltige Nutzung von künstlicher Intelligenz als Werkzeug zur Lösung handfester Problemstellungen.