Insolvenzantragspflichten in unsicheren Zeiten und was bedeutet das für eine Restrukturierung?

1. Einleitung

Wir leben nach wie vor in turbulenten Zeiten. Nachdem die Corona- Krise nunmehr weitestgehend überwunden ist, haben sich durch den Ukraine-Krieg die Rahmenbedingungen für viele Unternehmen nicht wieder entspannt. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht nachhaltig den Leitzins und verschlechtert damit für viele Unternehmen die Finanzierungskosten. Banken und sonstige Finanzierer ziehen sich aus Geschäftsbereichen zurück, um ihr eigenes Risiko zu minimieren. Die nach wie vor hohe Inflation und steigende Energiekosten sorgen für erhebliche Kostensteigerungen in den Unternehmen, die oftmals nicht oder zumindest nicht vollständig an die Kunden weitergegeben werden können. Durch diese Veränderung der externen Rahmenbedingungen können auch Unternehmen, die vor der Corona-Krise gut und solide gewirtschaftet haben, ins Schlingern kommen. Bei einem nachhaltigen Verzehr von Eigenkapital in den vergangenen Jahren muss die Geschäftsführung alle Unternehmensbereiche auf ihre Profitabilität und Zukunftsfähigkeit überprüfen und ggf. Maßnahmen definieren, die diese wieder herstellen können.

2. Insolvenzantragspflichten

Der Gesetzgeber hatte ursprünglich ab Anfang 2021 die Insolvenzantragspflichten neu aufgestellt. Es blieb zwar bei den Insolvenzantragsgründen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sowie dem Antragsrecht bei drohender Zahlungsunfähigkeit, aber die Voraussetzungen für das Vorliegen der unterschiedlichen Antragsgründe wurden überarbeitet. Die Voraussetzungen für die Zahlungsunfähigkeit sind gleichgeblieben. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Überschuldung wurden wesentlich überarbeitet. Nach den neuen Regelungen des § 19 der Insolvenzordnung (InsO) liegt eine Überschuldung danach vor, wenn die Aktiva des Unternehmens unter Liquidationsgesichtspunkten nicht mehr die Passiva decken (erster Prüfungsschritt), und wenn dieses bejahend auch keine Fortführungsperspektive in den nächsten zwölf Monaten mehr besteht, also das Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten nicht mehr durchfinanziert ist (zweiter Prüfungsschritt). Letztlich läuft dies auf eine 12-monatige Zahlungsfähigkeitsprüfung hinaus. Dieser Zeitraum war zuvor weitaus diffuser durch die Rechtsprechung auf das Ende des nächsten Geschäftsjahres definiert und konnte damit auch erheblich über zwölf Monaten liegen. Ein Antragsrecht in Form der drohenden Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 18 InsO vor, wenn das Unternehmen in den kommenden 24 Monaten seine Zahlungsfähigkeit verliert. Es gibt jetzt also erstmalig einen eigenen Anwendungsbereich für die drohende Zahlungsunfähigkeit, der in dem Zeitraum von mehr als zwölf Monaten in der Zukunft liegt. In unsicheren Zeiten, wie gegenwärtig, können Unternehmen aber durch den nun festgelegten Prognosezeitraum bei der Überschuldungsprüfung schnell in eine Antragspflicht geraten, weil sie eine belastbare Zahlungsfähigkeitsprüfung für zwölf Monate kaum anstellen können bzw. wenn sie diese anstellen, sie negativ ausfällt und damit ein Insolvenzgrund vorliegt, der eine Insolvenzantragspflicht auslöst, die nach § 15a auch in maximal sechs Wochen zu erfüllen ist. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und durch eine Ergänzung des § 4 Abs. 2 SanInsKG (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz) den 12-monatigen Prognosezeitraum auf vier Monate verkürzt für die Zeit vom 9. November 2022 bis zum 31. Dezember 2023. Der Prognosezeitraum für das Antragsrecht bei drohender Zahlungsunfähigkeit ist gleichgeblieben. Ist der Antragsgrund der Überschuldung dann eingetreten, hat man bis Ende 2023 auch nicht sechs Wochen, sondern acht Wochen Zeit, den Insolvenzantrag zu stellen. Sofern der Antragsgrund aber sicher nicht beseitigt werden kann, ist auch unverzüglich, also innerhalb weniger Tage, der Antrag zu stellen.

3. Restrukturierung im aktuellen Umfeld

Die Verkürzung des Prognosezeitraums führt natürlich zunächst einmal zu einer Entspannung bei der Unternehmensplanung in einer Krise, weil Eintrittswahrscheinlichkeiten für Umsätze und Kosten weitaus höher sind, je näher sie liegen. Somit droht bis Ende 2023 bei vielen Unternehmen zumindest nicht kurzfristig das Eintreten des Insolvenzgrunds der Überschuldung. Dies gibt den Unternehmen in der Krise aber eine trügerische Sicherheit bei ihren Planungen. Weder Banken noch sonstige Stakeholder werden sich in der Unternehmenskrise mit einem Blick auf die nächsten vier Monate zufriedengeben. Befindet sich ein Unternehmen in der Krise wird es den Blick über diese Frist hinaus schärfen müssen und die einzuleitenden Maßnahmen auch für den Zeitraum darüber hinaus evaluieren müssen. Entspannung tritt daher nur in Bezug auf die insolvenzrechtliche Prüfung, nicht aber in Bezug auf die eigentliche Restrukturierung ein. Hier bestehen durch die vorgenannten externen Faktoren in aller Regel weiter erhebliche Unsicherheiten über die Geschäftsentwicklung in den kommenden zwölf Monaten und darüber hinaus. Für eine Restrukturierung bedeutet dies, dass die Geschäftsführung die Restrukturierungsmaßnahmen sehr detailliert in Bezug auf den erforderlichen Aufwand, die benötigte Zeit und das geplante Ergebnis planen und dokumentieren muss. Sobald Abweichungen bei einzelnen Eckpunkten auftreten, muss eine Überprüfung erfolgen, welche Auswirkungen dies für die Restrukturierung, insbesondere den Finanzierungsstatus insgesamt hat und welche Plananpassungen erfolgen müssen. Die Erfahrung in diesen Zeiten zeigt, dass insbesondere die Finanzierer ein sehr genaues Auge auf die Planung und etwaige Abweichungen haben. Hier ist es wichtig, dass die Geschäftsführung Abweichungen transparent dokumentiert und Korrekturmaßnahmen kurzfristig einleitet, damit die Stakeholder nicht das Vertrauen in den Sanierungskurs verlieren.

Erkennt die Geschäftsführung, dass eine nachhaltige Sanierung und Durchfinanzierung des Unternehmens in den kommenden zwölf bis 24 Monaten danach nicht mehr wahrscheinlich ist, sollte sie überlegen, ob das StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) oder die Insolvenzordnung mit ihren Sanierungsinstrumenten Möglichkeiten bieten, das Unternehmen wieder nachhaltig ertragsfähig aufzustellen. Ggf. können durch die dort geregelten Möglichkeiten Sanierungsschritte schneller oder einfacher umgesetzt werden, die nachhaltig den Unternehmenserfolg sicherstellen. Beide Gesetze bieten die Möglichkeit, bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Anwendung zu kommen. Das StaRUG insgesamt, die Insolvenzordnung nur in Form des Schutzschirmverfahrens.

Bei beiden Verfahren bleibt die Geschäftsführung im Amt und ist in der Lage ihren Restrukturierungskurs selbst weiter umzusetzen. Das StaRUG bietet dabei die Möglichkeit, durch eine Stabilisierungsanordnung kurzfristig Zahlungspflichten auszusetzen sowie sehr punktuell auch nur mit einzelnen Gläubigergruppen Neuregelungen zu finden. Diese können mit gerichtlicher Hilfe im Rahmen eines Restrukturierungsplans umgesetzt werden, der allerdings die Zustimmung von 75 Prozent der beteiligten Gläubiger erhalten muss.

Unterschiedliche Gläubiger können dabei auch unterschiedlich behandelt werden. In Arbeitnehmerrechte kann nicht eingegriffen werden. Finanzierungsverträge, insbesondere auch Konsortialfinanzierungen können angepasst werden, und das durchaus auch nur in einzelnen Vertragsklauseln. Das Verfahren wird ohne Veröffentlichungen nur unter Einbeziehung der beteiligten Gläubiger geführt. Vom Restrukturierungsgericht kann ein Restrukturierungsbeauftragter als neutraler Dritter eingesetzt werden, der helfen kann, den Restrukturierungskurs bei den betroffenen Gläubigern mit durchzusetzen. Alles in allem kann das Verfahren im besten Fall in wenigen Wochen oder Monaten abgeschlossen sein.

Das Schutzschirmverfahren hingegen ist ein Insolvenzverfahren und zieht damit bereits eine breitere Öffentlichkeit nach sich und wird in aller Regel sechs bis acht Monate in Anspruch nehmen. Alle Gläubiger eines Unternehmens werden in das Verfahren einbezogen. Es ergeben sich aber weitergehende Möglichkeiten im Bereich des Eingriffs in Arbeitnehmerrechte und laufende Verträge. Durch die Zahlung von Insolvenzgeld und die Vollstreckungssperre für Altverbindlichkeiten ergibt sich aber eine erhebliche Entlastung der Liquidität, die in aller Regel im Unternehmen zu neuen finanziellen Spielräumen führt, die für die Restrukturierung eingesetzt werden können. Die Gläubiger können in einem Insolvenzplan auch gegen ihren Willen bei 50 Prozent Zustimmung der übrigen Gläubiger zu Lösungen bewegt werden.

4. Fazit

Eine Restrukturierung ist in den oben beschriebenen Zeiten allein schon aufgrund der ständig wechselnden externen Vorzeichen mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Der Gesetzgeber hat gut daran getan, den Insolvenzgrund der Überschuldung abzumildern, so dass Unternehmen sich in einer akuten Restrukturierungssituation nicht auch noch mit einer ständigen insolvenzrechtlichen Fragestellung auseinandersetzen müssen. Allerdings bedeutet dies gerade nicht, dass die Restrukturierung selbst nicht über einen Zeitraum von mindestens zwölf bis 24 Monaten geplant werden muss. Hohe Transparenz der Geschäftsführung gegenüber den beteiligten Stakeholdern ist erforderlich, um das Vertrauen in den Restrukturierungskurs zu erhalten. Zudem sollte die Geschäftsführung die Möglichkeiten des StaRUG sowie eines Schutzschirmverfahrens mit bei ihren Überlegungen einbeziehen, um das Unternehmen optimal durch die Zeiten der externen Krisen zu führen und für die Zeit nach der Restrukturierung aufzustellen.