Grüner Wasserstoff und Flexibilitätsmärkte: Wirtschaftlichkeit durch innovative Geschäftsmodelle

Die Energiewende und Defossilisierung der Energiewirtschaft gelten als Herausforderung von beispiellosem Ausmaß. Grüner Wasserstoff kann als Schlüsselmolekül eines defossilisierten Energiesystems der Zukunft dienen. Dennoch bleiben die breite Implementierung und der Markthochlauf in der Praxis aus.

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Energiewirtschaft vom 28.08.2025

Vielfach bremsen regulatorische Hürden, wirtschaftlich nicht tragfähige Geschäftsmodelle und die mangelnde Verzahnung mit Flexibilitätsmärkten die Umsetzung der Wasserstoffwirtschaft. So mussten jüngst etwa das Statkraft-Projekt in Emden oder das Vorhaben in Weißenhorn der Westfalen AG eingestellt werden, weil sich selbst mit idealen Standortbedingungen und großzügigen Fördermitteln keine Wirtschaftlichkeit unter der aktuellen Regulatorik herstellen ließ. Diese Beispiele verdeutlichen die Dringlichkeit, innovative Geschäftsmodelle sowohl durch techno-ökonomisch-integrierte Optimierung unter Nutzung aller Flexibilitätsmärkte zu ermöglichen als auch die regulatorischen Rahmenbedingungen grundlegend und ganzheitlich zu überarbeiten.

Techno-ökonomische Optimierung der energieflexiblen Wasserstoffelektrolyse

Die Optimierung des Strombeschaffungsportfolios und der Einsatz von ergänzenden Flexibilitätsoptionen wie Batteriespeichersystemen bilden wertvolle Eckpfeiler bei der Konzeption von wirtschaftlich tragfähigen Wasserstoffprojekten. Weiterhin ist eine durchgängige Digitalisierung für einen nachhaltigen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft entscheidend. Gerade bei der Elektrolyse übernimmt das Datenmanagement eine Schlüsselfunktion. Nur durch die kontinuierliche Sammlung und Analyse von Daten etwa zu Wetter, Netzbelastung oder Börsenstrompreisen ist es überhaupt möglich, den Betrieb der Elektrolyseure an die Flexibilitätsmärkte ertragswirksam zu koppeln. So können KI-basierende Prognosemodelle dazu beitragen, Erzeugungs- und Verbrauchsdaten in Echtzeit zu analysieren und die Fahrweise von Elektrolyseuren dynamisch an die Marktbedingungen anzupassen. Moderne Energiemanagementsysteme, eingebettet in digitale Marktplätze, empfangen automatisiert Preissignale und steuern die Intensität der Wasserstoffproduktion. Eine engmaschige Datenerhebung und damit verzahnte techno-ökonomische Optimierung der Systeme können helfen, die Wasserstoffgestehungskosten zu minimieren, Netzengpässe im Stromsystem zu reduzieren und somit die volatile Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieanlagen im Rahmen der Energiewende zu integrieren. Zudem können digitale Herkunftsnachweise für grünen Wasserstoff über Softwareplattformen und Blockchain-Technologien den Handel zuverlässig und transparent gestalten.

Entfaltung des Potenzials energieflexibler Elektrolyse

Allerdings lässt sich das ökonomische Potenzial eines energieflexiblen Elektrolyseurs nur dann ganzheitlich nutzen, wenn ideologisch geprägte regulatorische Schranken abgebaut und die stärkere Integration mit den Strommärkten zugelassen werden. Mit der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz als Bundeskanzler und Katherina Reiche als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie wird die Hoffnung auf mehr Pragmatismus bei der Transformation hin zu einem nachhaltigen Industriestandort neu belebt. Der politische Wille auf nationaler Ebene allein genügt allerdings nicht. Aktuell behindern die regulatorischen EU-Vorgaben der Renewable Energy Directive die wirtschaftliche Betriebsführung von Elektrolyseuren. So muss in Deutschland Strom über Stromdirektlieferverträge, sogenannte Power-Purchase-Agreements, für die Elektrolyse bezogen und zeitlich korreliert verbraucht werden. Die starre Nutzung von Strom aus volatilen erneuerbaren Quellen, Nutzungsgrenzen in Bezug auf das Alter der EE-Anlagen, restriktive Preisgrenzen, um an der Strombörse agieren zu können, schränken den Gestaltungsraum für wirtschaftliche Geschäftsmodelle massiv ein. Die Folge sind ausbleibende Investitionsentscheidungen und steigende Skepsis bei potenziellen Akteuren der Wasserstoffwirtschaft. Somit bleibt das Potenzial energieflexibler Elektrolyseure, die im Rahmen der Energiewende ein Geschenk für jeden Verteilnetzbetreiber im Rahmen einer netzdienlichen Flexibilitätsvermarktung sein können, größtenteils ungenutzt.

Grüner Wasserstoff kann als Schlüsselmolekül eines defossilisierten Energiesystems der Zukunft dienen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Ulrich Buhl & Robert Förster

Mut und Durchsetzungsvermögen für ganzheitliche Lösungen der Wasserstoffwirtschaft

Um den Wasserstoffhochlauf nicht weiter auszubremsen, brauchen wir ein fundamentales Umdenken bei Regulatorik und Marktintegration. Die neue Bundesregierung sollte auf EU-Ebene darauf hinwirken, das gegenwärtige regulatorische Korsett spürbar zu lockern und eine stärkere Kopplung der Elektrolyse an die Strombörsen zu ermöglichen. Ein erster, längst überfälliger Schritt ist die Überprüfung des Zusätzlichkeitkriteriums und der Preisgrenze von gegenwärtig 20 EUR/MWh für Strombezug über die Kurzfristmärkte der EPEX Spot im Rahmen der Renewable Energy Directive. Unsere Untersuchungen belegen, dass selbst moderate Anhebungen dieser Preisgrenze auf zum Beispiel 55 EUR/MWh bereits zahlreiche Projekte in vielen Gebotszonen in Europa wirtschaftlich erheblich verbessern können. Daher lauten die Empfehlungen an die noch junge Bundesregierung in Berlin, neben der Förderung von Pilotprojekten auch mehr Mut zu ganzheitlichen Lösungen zu fassen, diese auch über die Bundesgrenzen in Brüssel vehement in einer Neuausrichtung der regulatorischen Rahmenbedingungen einzufordern.

Die Wasserstoffwirtschaft steht an einer entscheidenden Weggabelung

Nur wenn regulatorische Hürden fallen, techno-ökonomisch integrierte Geschäftsmodell konsequent genutzt und neue Geschäftsmodelle ermöglicht werden, kann Deutschland eine Vorreiterrolle in der Wasserstoffwirtschaft einnehmen. Ohne eine konsequente Öffnung für Flexibilitätsmärkte droht der Markthochlauf des grünen Wasserstoffs selbst bei dezidierter Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle, intelligenter Datenplattformen und automatisierter Schnittstellen zu einer verpassten Chance zu werden. Es gilt, rasch und mutig zu gestalten, ökonomische, technische und regulatorische Potenziale zu entfesseln – und so die Vision einer defossilisierten Energiezukunft auch in Deutschland nachhaltig Realität werden zu lassen.

Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis muss gestärkt werden

Die integrative Nutzung der Wasserstoffelektrolyse in einem komplexen Stromsystem mit digitalen Technologien eröffnet viele Potenziale, die dezentrale Wasserstoffelektrolyse wirtschaftlicher zu gestalten. Die damit verbundenen Entwicklungsbedarfe und Herausforderungen können insbesondere durch eine enge Kooperation von Wissenschaft und Praxis gemeistert werden. Hierzu sind in hohem Maße interdisziplinäre Fachkompetenzen entscheidend, die am FIM Forschungsinstitut für Informationsmanagement sowie im Institutsteil Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT über viele Jahre gezielt aufgebaut und in vielen Praxisprojekten eingesetzt wurden. So werden auch künftig digital gestützte Wasserstoffprojekte im industriellen Maßstab erfolgreich durch die Bündelung komplementärer Kompetenzen befähigt, innovative und wirtschaftliche Geschäftsmodelle zu realisieren.

Bild: © FIM Forschungsinstitut für Informationsmanagement

Das aktuelle Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Zum Journal