Seit nun fast drei Jahren führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Nicht nur die Souveränität und Existenz der Ukraine sind gefährdet, sondern auch unser europäischer Frieden. Wir beobachten, wie Russland enorm aufrüstet: Es produziert ein Vielfaches mehr an Waffen und Munition als alle EU-Länder zusammen, lässt jährlich bis zu 1.500 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge bauen beziehungsweise wiederherstellen und plant den Aufwuchs russischer Streitkräfte auf 1,5 Mio. Soldatinnen und Soldaten bis 2026. Nach Einschätzungen von Geheimdiensten und Militärexperten wird Russland voraussichtlich ab 2029 in der Lage sein, das NATO-Bündnisgebiet militärisch anzugreifen. Doch schon jetzt erleben wir Angriffe unterhalb der Schwelle des Militärischen und es besteht die Gefahr vereinzelter russischer Operationen im NATO-Bündnisgebiet, um den Zusammenhalt unserer Allianz auszutesten und aufzureiben. Für uns leitet sich daraus eine klare Aufgabe ab: Falls Putin angreifen sollte, müssen wir verteidigen können – noch viel wichtiger: Wir müssen fähig sein, ihn von einem solchen Angriff abzuschrecken.
Multidimensionale Bedrohung
Wir befinden uns inmitten einer Polykrise. Ob in Europa, Asien oder Afrika – systemische Herausforderungen, Krisen und Kriege überlagern sich mehr und mehr. Autokratische Regime wollen die Welt neu ordnen. Unordnung ist das Ergebnis: Krieg und Frieden sind nicht mehr klar trennbar.
Hybride Angriffe gehören bereits zu unserer Realität – in allen Dimensionen: Land, Luft, See, Cyber und im Weltraum. Desinformationskampagnen, Cyberangriffe, Infiltration, Spionage und Sabotage sind weniger Zufälle als vorsätzliche Verunsicherung und Destruktion. Ereignisse wie die Beschädigung von Unterwasser-Datenkabeln, Cyberangriffe auf politische Parteien und externe Einflussnahme auf Wahlen sind nur einige Beispiele, die unsere Demokratie und unseren Wohlstand gefährden. Deutschland steht dabei besonders im Fokus, denn im Verteidigungsfall der NATO-Ostflanke werden zahlreiche Bewegungen alliierter Truppen und Versorgungskorridore durch Deutschland verlaufen. Mit dieser Drehscheibenfunktion käme unserer kritischen Infrastruktur eine zentrale Rolle zu. Wer uns verletzt, der lähmt die NATO. Das weiß auch Putin.
Militärische Verteidigungsfähigkeit
Entsprechend der sich verschärfenden Bedrohungslage kehrt die Bundeswehr zurück zu ihrem Kernauftrag, der Landes- und Bündnisverteidigung. Mit Maßnahmen wie der Aufstellung der Kampfbrigade in Litauen und der Einführung einer gemeinsamen europäischen Luftverteidigung übernimmt Deutschland Verantwortung und stärkt die Allianz.
Für die Umsetzung solcher Maßnahmen sind Ausrüstung, Reorganisation, Aufwuchs und finanzielle Stärkung essenziell. Die 100 Mrd. Euro Sondervermögen sind nun fast komplett vertraglich gebunden. Allein 2024 wurden Großvorhaben mit einem bisher nie da gewesenen Wert von 58 Mrd. Euro beschlossen. Fest steht: Die Bundeswehr beschafft schnell und viel.
Gesellschaftliche Verteidigungsfähigkeit
Die Bundeswehr zu stärken ist unabdingbar, aber allein nicht ausreichend. Das Gebot der Stunde lautet: Sicherheit breiter denken. Alle Akteure müssen sich einbringen. Wir müssen gesamtstaatlich wehrhaft und resilient sein, um glaubhaft abzuschrecken.
Im Fall der Landes- oder Bündnisverteidigung ist die zivile Leistungserbringung unverzichtbar. Unternehmen müssen darauf vorbereitet sein, Streitkräfte zu unterstützen und die heimische Versorgung sicherzustellen. Gleichzeitig kommt es darauf an, bereits im Vorfeld sicherzustellen, dass die hiesige Industrie resilient gegenüber Störungen auf dem Weltmarkt ist, Bedarfe gesichert abdecken und Produktionskapazitäten kurzfristig hochfahren kann. Betreibende kritischer Infrastruktur müssen ihre Systeme absorptionsfähig, wiederherstellbar und anpassungsfähig machen. Das gilt beispielsweise für den Energiesektor wie auch für die Gesundheitsversorgung. Um nachhaltig widerstandsfähig zu sein, sind sowohl eine gezielte Finanzierung als auch eine ressortübergreifende, koordinierte Abstimmung erforderlich.
In gemeinsamer Anstrengung können wir effektive Schutzschilder schaffen. Es liegt an uns, dieses Bewusstsein weiter zu schärfen und mit Handlungsmöglichkeiten zu hinterlegen. Denn die Bedrohung zu bagatellisieren, weil sie Furcht bereitet, hält sie nicht fern, sondern öffnet ihr Türen. Ich bin überzeugt: Wenn wir Sicherheit breiter gestalten, dann können wir den russischen Aggressor, autokratische Destruktion und subversive Kräfte abschrecken. Dann können wir unsere politische Ordnung und damit unsere Freiheit vor ihnen schützen.
© Ulf Duda
Artikel aus dem Handelsblatt Journal Sicherheit und Verteidigung vom 04.02.2025