EU-Hinweisgeberrichtlinie – Chancen für Ihr Unternehmen

Spektakuläre Fälle von Wirtschaftskriminalität, sei es die Insolvenz von Wirecard oder der „Diesel-Skandal“, werfen auch immer die Frage auf, warum solche Manipulationen und Gesetzesverstöße in Unternehmen nicht früher entdeckt werden. Wirtschaftliche Schäden für Unternehmen, Investoren und andere Stakeholder hätten verhindert werden können, wenn frühzeitig Hinweise auf solche Missstände gemeldet worden wären und wenn diesen Hinweisen konsequent nachgegangen worden wäre.

Vor allem große Unternehmen etablieren schon seit vielen Jahren als Teil ihres Compliance Management Systems Kommunikationskanäle in unterschiedlichen Formen (z.B. als Ombudsmannsystem oder als telefonische Hotline), um es Hinweisgebern zu ermöglichen, sich mit Informationen vertraulich an vom Unternehmen interne oder externe Beauftragte zu wenden.

Trotzdem werden solche Hinweisgebersysteme noch zu wenig genutzt. Dies liegt v.a. daran, dass die Hinweisgeber der vertraulichen Behandlung ihrer z.T. sehr brisanten Informationen und der Sicherstellung der eigenen Anonymität nicht vertrauen. Nicht zuletzt hat sich immer wieder gezeigt, dass Hinweisgeber mit Repressalien seitens des Unternehmens rechnen müssen: Mitarbeiter, die kriminelle Praktiken melden, werden entlassen; Verträge mit Lieferanten, die zweifelhaftes Verhalten von Einkäufern nicht tolerieren, werden nicht verlängert usw.

Diesen Gedanken hat die EU bereits 2019 aufgegriffen und mit der Hinweisgeberrichtlinie einen Union-weiten Standard zum Schutz von Hinweisgebenden geschaffen. Ende dieses Jahres endet die Übergangsfrist: Bis zum 17. Dezember 2021 haben Unternehmen Zeit, ein Hinweisgebersystem einzurichten, welches zum einen die Identität der Hinweisgebenden schützt und zum anderen Repressalien gegen den Meldenden ausdrücklich untersagt.

In diesem Beitrag wird gezeigt, was auf Unternehmen zukommt und wie Sie darauf reagieren sollten.

Hintergrund der EU-Hinweisgeberrichtlinie

Mit der EU-Hinweisgeberrichtlinie werden gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Ziel der Richtlinie ist es, sichere Wege für das Melden von Gesetzesverstößen (z.B. öffentliche Auftragsvergabe, Geldwäsche, Umweltschutz, Datenschutz etc.) zu eröffnen. Das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz als Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht liegt momentan nur im Entwurf vor, wird voraussichtlich aber noch einen Schritt weiter gehen: Anders als die EU-Richtlinie sollen Hinweisgeber nicht nur geschützt werden, wenn Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch dann, wenn Verstöße gegen deutsches Recht gemeldet werden. Bis zur finalen Umsetzung in nationales Recht bleibt es abzuwarten, welche Verstöße explizit unter das nationale Gesetz fallen.

Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass die Hinweisgeber (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und sonstige Dritte) keine Repressalien erleiden. Insbesondere zählen darunter Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen.

Von der Richtlinie sind folgende Organisationen betroffen:

  • Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern,
  • Gemeinden ab 10.000 Einwohnern und
  • Finanzdienstleistungsunternehmen unabhängig von der Mitarbeiteranzahl

Für Unternehmen, deren Mitarbeiterzahl zwischen 50 und 249 beträgt, gilt eine Übergangsfrist: Diese müssen bis spätestens 17. Dezember 2023 ein adäquates Hinweisgebersystem einrichten.

Anforderungen an Ihr Unternehmen

Gemäß der Richtlinie ist ein dreistufiges Meldesystem vorgesehen:

1. Vorrangig sollen interne Meldesysteme genutzt werden. Hierbei sind die Unternehmen, welche unter die o.g. Kriterien fallen, verpflichtet, ein internes Meldesystem zu implementieren. Die Form der Meldung ist nicht von Bedeutung, so kann dies elektronisch über ein digitales Hinweisgebersystem, schriftlich, telefonisch oder persönlich geschehen.

2. Nach einem missglückten Versuch, zum Beispiel wenn eine Rückmeldung durch das Unternehmen auf einen Hinweis ausbleibt, kann sich der Hinweisgeber an die zuständige Behörde wenden.

3. Als letztes Mittel besteht die Möglichkeit, die Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Des Weiteren müssen Rückmeldefristen nach Eingang der Meldung zu geplanten oder bereits ergriffenen Maßnahmen gewährleistet und idealerweise dokumentiert werden. Das Meldeverfahren muss für alle in Frage kommenden internen und externen Hinweisgeber leicht zugänglich sein.

Mit der Umsetzung in nationales Recht soll auch eine Regelung über eine Beweislastumkehr bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen (Kündigungen, Versetzungen o.ä.) eingeführt werden. Arbeitgeber müssen demnach künftig nachweisen, dass ergriffene Maßnahmen zum Nachteil von Hinweis-
gebern nicht im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Missständen stehen.

Die einfachste Lösung, die Einrichtung einer internen E-Mail-Adresse für die anonyme Meldung von Hinweisen, stellt keine richtlinienkonforme Umsetzung dar, da nicht garantiert werden kann, dass Administratoren nicht in das System eingreifen und die Identität des Meldenden feststellen können.

Die Einrichtung einer internen Hinweisgeber-Telefonnummer, Voicebox oder Ombudsperson kommt bei international tätigen Konzernen in der Praxis ebenfalls schnell an ihre Grenzen. Die Sicherstellung von Eingangsbestätigungen an den Meldenden, die permanente Erreichbarkeit (eventuell noch über verschiedene Zeitzonen) und die Verfügbarkeit in allen relevanten Sprachen werden nur schwer umsetzbar sein und durchaus nicht unerhebliche Kosten verursachen.

Damit verbleibt Ihrem Unternehmen als bestmögliche Option die Einrichtung eines internen digitalen Hinweisgebersystems. Grund genug, sich intensiver mit den Chancen eines digitalen Hinweisgebersystems auseinander zu setzen.

Chancen eines digitalen Hinweisgebersystems für Ihr Unternehmen

Die Implementierung eines internen digitalen Hinweisgebersystems stellt, neben der Umsetzung der rechtlichen Anforderungen, ein deutliches Signal dar sowohl an die eigenen Mitarbeiter und an die Geschäftspartner als auch nicht zuletzt an die Öffentlichkeit, Fehlverhalten in Ihrem Unternehmen nicht tolerieren zu wollen, sondern vielmehr eine werteorientierte und positive Unternehmenskultur zu schaffen.

Es stellt sich zudem die Frage, an wen sich Hinweisgeber wenden, wenn sie Unregelmäßigkeiten in einem Unternehmen vorfinden und keine interne und anonyme Meldestelle vorhanden ist. Umfragen im Auftrag der Eurpäischen Kommission haben ergeben, dass die Mehrzahl der Befragten negative
persönliche Folgen durch Meldung von Missständen im Arbeitsumfeld befürchtet und deshalb im Zweifel eine Meldung an öffentliche Stellen bevorzugt. Für den Erfolg eines internen Hinweisgebersystems ist es somit erforderlich, das Vertrauen der Hinweisgeber in die zweckgemäße Verwendung ihrer Hinweise sicherzustellen. Überdies ist die transparente und erfolgreiche Bearbeitung gemeldeter Fälle sowie die anonyme Kommunikation mit dem Hinweisgeber ausschlaggebend für den Erfolg. Die Erfahrungen aus der tatsächlichen Anwendung haben gezeigt, dass durch die Einrichtung eines internen digitalen Hinweisgebersystems, welches die Anonymität des Hinweisgebers garantiert, die Quantität und Qualität der Meldungen deutlich erhöht.

Wir sehen ein internes digitales Hinweisgebersystem als zwingenden Bestandteil eines funktionierenden Compliance-Management-Systems. Wir empfehlen daher, bei der Einrichtung des Hinweisgebersystems die thematische Reichweite der eingehenden Hinweise für Ihr Unternehmen zu analysieren und in Schwerpunktthemen zu definieren.

Mit der Eingrenzung der für Sie relevanten Themenschwerpunkte können somit die gezielte Erfassung von Hinweisen in einem System und die interne Klärung der Meldungen ermöglicht werden. Aus Sicht der Hinweisgeber, aber auch der betroffenen Unternehmen, spricht vieles für eine interne Aufklärung der Vorfälle, bevor Missstände in der Presse oder durch öffentliche Kanäle bekannt werden und dadurch Mitarbeiter und Unternehmen gleichermaßen schädigen.

Im Fall von dolosen Handlungen zum Nachteil des Unternehmens und Compliance-Verstößen können interne digitale Hinweisgebersysteme zur Exkulpation der Geschäftsführung beitragen. Des Weiteren ergibt sich aus der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis, dass mit einer internen Aufklärung von Rechtsverstößen erhebliche Reduzierungen von Unternehmensgeldbußen möglich sind.

Durch Einführen eines internen anonymen Hinweisgebersystems wird proaktiv eine positive Unternehmenskultur gefördert und unternehmerische Verantwortung von jedem Mitarbeiter gefordert. Dadurch unterstreichen Sie die Wertschätzung gegenüber Ihren Mitarbeitern, was zugleich die Identifikation und Bindung der Mitarbeiter an Ihr Unternehmen fördert und sich wiederum positiv auf das Ansehen des Unternehmens in ihren Geschäftsbeziehungen und in der öffentlichen Wahrnehmung auswirkt.

Ausblick

Mit der Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie in nationales Recht sehen wir durch die rechtzeitige Einrichtung eines internen digitalen Hinweisgebersystems eine Chance, Missstände frühzeitig zu erkennen, Unregelmäßigkeiten aufzudecken und diese intern zu klären. Durch den besseren Schutz von Hinweisgebern und der Präsenz in den Medien kann dies dazu führen, dass mehr Hinweisgeber ermutigt werden, Verstöße aufzudecken bzw. zu melden. Letztendlich liegt es nun in der Hand der Unternehmen, sich entsprechend vorzubereiten, um interne Meldekanäle einzurichten und die Chancen, welche die Richtlinie und deren Transformation in nationales Recht mit sich bringt, zu nutzen.