Energiepolitik, Nationaler Emissionshandel und Auswirkungen auf Unternehmen

Dr. Boris Scholtka, Rechtsanwalt, Partner, Head of Energy Law GSA (Berlin), Ernst & Young Law GmbH
Dr. Christian Trottmann, Rechtsanwalt, Director (Eschborn), Ernst & Young Law GmbH

Deutschland hinkt den Klimazielen hinterher. Kommende Regierungen werden den Druck auf Energieverbraucher erhöhen (müssen). Der Nationale Emissionshandel, der seit 2021 insbesondere Wärme und Verkehr belastet, ist hierzu ein wichtiger Schritt. Was bedeutet dies für deutsche Unternehmen und deren Geschäftsführung?

Die Ausgangssituation

Die letzten Jahre waren vom Ausstieg aus der Kernenergie und Kohle hin zu den Erneuerbaren geprägt („Erzeugungswende“). Bemerkenswert war die gesetzgeberische Entscheidung, die notwendigen Investitionen weniger über Steuern (Bundeshaushalt) und stattdessen über eine Vielzahl von Energie-Umlagen, insbesondere die EEGUmlage, zu finanzieren. Eine Verteuerung vor allem der Strompreise war die Folge und wohl auch gewollt.

Um eine Verlagerung energieintensiver Industrien und Arbeitsplätze in Länder mit geringeren Umweltstandards zu verhindern (sog. Carbon Leakage), sind verschiedene Privilegien für Unternehmen im internationalen Wettbewerb gescha•en worden. Konkret zu nennen ist in diesem Zusammenhang die sog. „Besondere Ausgleichsregelung“ (§§ 63 •. EEG), nach der zuletzt rund 2.000 besonders stromkostenintensive Unternehmen weitgehend von ihrer Verpflichtung  zur EEG-Umlage (und nach § 27 KWKG von der KWK-Umlage) befreit wurden. Des Weiteren existieren Beihilfen für indirekte CO2-Kosten (sog. Strompreiskompensation). Hintergrund dieser Privilegien ist, dass bei vielen Tätigkeiten, insbesondere der Herstellung vieler Grund- und Ausgangssto•e (beispielsweise Aluminium, Stahl oder Zement) der Energieverbrauch physikalisch vorgegeben ist. Steigende Energiekosten können hier nur bis zu einem gewissen Grad Efzienzsteigerungen anreizen.

Ein wesentlich größerer Kreis von Unternehmen kann sich für ein reduziertes Netzentgelt für den aus dem Netz bezogenen Strom nach § 19 StromNEV (und ggf. für Gas nach § 20 GasNEV) qualifizieren. Ähnliches gilt für die Strom- und Energiesteuer, welche fossile Energieerzeugnisse belastet. Hier ist es bereits ausreichend, dass ein Unternehmen zum „Produzierenden Gewerbe“ im Sinne der statistischen Klassifikation der Wirtschaftszweige gehört, um die Steuerlast um 25 % zu reduzieren (§ 9b StromStG, § 54 EnergieStG). Im Strom profitieren hiervon rund 33.000 und im Gas fast 15.000 Begünstigte. Eine deutlich höhere Reduzierung ist möglich, wenn Unternehmen am sog. „Spitzenausgleich“ (§ 10 StromStG und § 55 EnergieStG) teilnehmen. Dies erfordert u.a. ein Energiemanagementsystem. Dies betri•t im Strom rund 9.000 und im Gas über 5.000 Unternehmen. Das Steueraufkommen kommt als Zuschuss in die Rentenkassen allen Unternehmern zugute. Eine Überarbeitung der strom- und energiesteuerlichen Entlastung für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes ist für die Zeit ab 2023 angekündigt.

Neben den vorgenannten Privilegien für Unternehmen im Wettbewerb hat insbesondere die Eigenversorgung mit Strom- und Wärme (ggf. auch Dampf, Kälte etc.) enorm an Bedeutung gewonnen. Auch hier bestehen mehrere gesetzliche Anreize, welche die Investitionskosten kompensieren. Bei hoche´zienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (Blockheizkraftwerke) ist regelmäßig die Inputenergie Erdgas von der Energiesteuer befreit. Weiter unterliegt der Output Strom in Anlagen bis 2 MW elektrischer Leistung keiner Stromsteuer. Vor allem aber ist auf den selbst erzeugten und verbrauchten Strom nur eine EEG-Umlage in Höhe von 40 % zu entrichten. Schließlich fallen auf eigenerzeugten Strom auch keine Netzentgelte und verbundene Umlagen an.

Dies gilt selbstverständlich auch für die Eigenversorgung über PV. Weitere Optimierung kann durch den Einsatz von Stromspeichern erfolgen.

Mehr denn je können Unternehmen ihre Verbrauchs- und Kostensituation auf vielfältige Weise optimieren und so Wettbewerbsvorteile generieren. Viele Marktteilnehmer haben dementsprechend in den letzten Jahren das notwendige Know-How aufgebaut und häufig neben der eigenen Stromerzeugung weitere Aufgaben „klassischer“ Energieversorger übernommen, beispielsweise „börsennahe“ Bescha•ung und Weiterverteilung elektrischer Energie im Firmen-Areal. Hiermit einher ging die Notwendigkeit, die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben gegenüber dem Hauptzollamt (Strom- und Energiesteuer), dem Netzbetreiber (EEG-Umlage etc.), dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Besondere Ausgleichsregel und KWK-Förderung) und der Bundesnetzagentur (Marktstammdatenregister) zu erfüllen. Spätestens an dieser Stelle sollte klar geworden sein: Die Herausforderung für Unternehmen liegt insbesondere darin,  die auf verschiedene Gesetze, Behörden und Sachverhalte „verstreuten“ Optimierungsmöglichkeiten als Ganzes zu erfassen und in der eigenen Organisation abzubilden.

Auswirkungen des nationalen Brennstoffhandels – „Effizienzwende“

Der zu Januar 2021 eingeführte nationale Emissionshandel wird die Komplexität nochmals erhöhen. So wird über das Brennsto •emissionshandelsgesetz (BEHG) nunmehr der CO2-Ausstoß in den Sektoren Wärme und Verkehr erfasst und  betri•t hierüber auch Gewerbe und Industrie mit allen Produktionsanlagen, sofern diese nicht aufgrund ihrer  Anlagengröße bereits am Europäischen Emissionshandel teilnehmen. Von der anfangs beschriebenen „Erzeugungswende“ verschiebt sich der Fokus somit nunmehr auf eine „Effzienzwende“. Die Energieverbraucher werden verstärkt angehalten, den Energieverbrauch zu reduzieren.

Das BEHG verpflichtet den Energielieferanten, entsprechende Emissionszertifikate zu erwerben und abzugeben. Der  Preis für eine Tonne CO2-Emission (etwa aus Benzin, Gas oder Erdöl) wird bis 2025 auf 55 € steigen. Dies bedeutet Mehrkosten je GWh Erdgas von rund 10.000 €. Für das Jahr 2026 wird ein Preiskorridor zwischen 55 € und 65 € pro Zertifikat festgelegt. Ab 2027 erfolgt dann eine freie Preisbildung.

Die meisten Unternehmen werden das BEHG zunächst lediglich als weitere Kostenposition auf ihrer Öl- oder Gasrechnung wahrnehmen. Eine Reduzierung der Belastung für energieintensive Unternehmen in exportintensiven Branchen ist zwar ähnlich wie im EEG in einer „Carbon-Leakage- Verordnung“ vorgesehen, auch eine Härtefallregelungsoll im Verordnungswege entstehen. Die diesbezüglichen Anforderungen werden aller Voraussicht nach zunächst aber nur wenige Unternehmen erfüllen. Indirekt könnten aber auch die übrigen Unternehmen über eine Entlastung der Strompreise profitieren: Das BEHG-Aufkommen soll als Bundeszuschuss in den EEG-Wälzungsmechanismus zu einer Reduzierung der EEG-Umlage – und damit der Strompreise – führen. Schon für das  ahr 2021 soll im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets ein Bundeszuschuss in Höhe von 10,8 Mrd. € erfolgen, welcher die EEG-Umlage auf 65 € je MWh stabilisiert (aufgrund von Sondere•ekten wäre die EEG-Umlage andernfalls auf rund 96 € je MWh gestiegen).

Was folgt hieraus allgemein?

Der unter dem Begri• „Dekarbonisierung“ angestoßene Totalumbau der deutschen Volkswirtschaft hat gerade erst begonnen. Eine Abkehr von fossilen Brennsto•en wird nur durch weitere regulatorische Maßnahmen, insbesondere auch eine Verteuerung klimaschädlicher Emissionen, erfolgen. Schon heute sind die Stellschrauben erkennbar, an denen der Gesetzgeber im Zusammenspiel von EEG und BEHG justieren kann: Belastung fossilen Verbrauchs über das BEHG, Entlastung zunehmend erneuerbar erzeugten Stroms über den EEG-Zuschuss und „Feinabstimmung“ über weitere Ausnahmen exportorientierter Unternehmen, welche beispielsweise in der Carbon- Leakage-Verordnung angelegt sind. Wirtschaftsminister Peter Altmeier hat sich sogar Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, Erneuerbare Erzeugungsanlagen zukünftig direkt aus dem Bundeshaushalt zu fördern und das bestehende EEG auslaufen zulassen. Weitere Maßnahmen werden vor allem auch in den Bereichen erfolgen, die bisher nicht so sehr im Fokus standen: im Gebäudebestand über das neue Gebäudeenergiegesetz und beim Ausbau der Elektromobilität.

Und was bedeutet das für das einzelne Unternehmen (und dessen Geschäftsführung)?

Unternehmen stehen aktuell vor der Frage, ob sie strategisch wie organisatorisch auf die beschriebenen Herausforderungen eingestellt sind:

  • Werden alle energierechtlichen Anforderungen erfüllt und insbesondere alle (oftmals jährlich notwendigen) Anträge, Meldungen und Testate gegenüber der jeweils zuständigen Behörde bzw. dem zuständigen Netzbetreiber abgegeben? Besteht ein entsprechendes Compliance-System, welches u.a. 4-Augen-Prinzip, Fristenkalender, Vertreter- Regeln und Fortbildungen beinhaltet?
  • Besteht das notwendige unternehmensinterne Know-How, den eigenen energiespezifischen Bedarf zu definieren, auch um geeignete Energiedienstleister auszuwählen und zu überwachen?
  • Ist die innerbetriebliche Organisation so ausgelegt, dass unternehmensspezifische Querverbindungen und Interdependenzen bewältigt werden? Hierzu gehören beispielsweise Auswirkungen von Umstrukturierungen auf bestandsgeschützte Erzeugungsanlagen, Auswirkungen von Produktionsverlagerungen auf die EEG Umlage im Rahmen von §§ 63 •. EEG und die Notwendigkeit, bei (konzerninternen) Untervermietungen Energie zu messen  oder zu schätzen?
  • Vor allem: Hat das Unternehmen eine mittel- und langfristige Planung, welche die Entwicklung der Energiekosten allgemein, die Mehrkosten bzw. Kostenverlagerung durch das BEHG und ggf. (zukünftige) Privilegien, beispielsweise über die Carbon-Leckage-Verordnung, nachhält?

Eins ist klar: Jede Investition in eine CO2-emittierende Technologie mit einem Amortisationszeitpunkt nach 2030 erfolgt in einem schrumpfenden Markt. Energie bleibt deshalb Chefsache.