Einfluss des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auf Lieferbeziehungen – Blickwinkel eines Geschäftsleiter

Dr. Jochen Markgraf, Rechtsanwalt, GLADE MICHEL WIRTZ – Corporate & Competition
Dr. Marina Adams, Rechtsanwältin, GLADE MICHEL WIRTZ – Corporate & Competition

Einleitung

Zur Umsetzung der sog. Restrukturierungsrichtlinie (RL (EU) 2019/1023) in das deutsche Recht ist am 1. Januar 2021 das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) in Kraft getreten. Dieses soll einen gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Rahmen für die Sanierung und Restrukturierung der in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen im Vorfeld einer Insolvenz bieten. Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie ist zu erwarten, dass sich das StaRUG besonderer Attraktivität erfreuen wird, auch wenn viele Fragen rund um das Restrukturierungsverfahren und dessen Auswirkungen noch offen sind.

Geschäftsleitern von Unternehmen mit einer Vielzahl von Lieferbeziehungen ist daher zu empfehlen, dem StaRUG besondere Beachtung zu schenken, sobald Kundenzahlungen stocken, Kunden um Verlängerung von Zahlungszielen bitten oder sich anderweitig etwaige finanzielle Schwierigkeiten andeuten. Dies gilt vor allem mit Blick auf das Verbot von Lösungsklauseln (dazu unter A.) sowie die Folgen von Restrukturierungsplan und Sicherungsanordnung (dazu unter B. und C.)

A. Verbot von Lösungsklauseln (§ 44 StaRUG)

Nach § 44 Abs. 1 StaRUG kann ein Lieferant das Vertragsverhältnis zu einem Kunden nicht ohne Weiteres mit dem Grund kündigen, dass dieser das Restrukturierungsgericht einschaltet und/oder Instrumente des StaRUG in Anspruch nimmt. Auch berechtigt die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nicht dazu, eigene Forderungen sofort fällig zu stellen, etwaige weitere Lieferungen zu verweigern oder eine Anpassung der Verträge zu fordern. Auf solche Maßnahmen bzw. Rechtsfolgen abzielende vertragliche Vereinbarungen sind ausweislich des § 44 Abs. 2 StaRUG unwirksam.

Dem Lieferanten ist es folglich nicht möglich, sich den Wirkungen eines durch einen Kunden angestoßenen StaRUG-Verfahrens dadurch zu entziehen, dass er sich vertraglich für diesen Fall Loslösungs- und ähnliche Rechte im Rahmen der Lieferbeziehung einräumen lässt. Lösungsklauseln, die zusätzlich oder allein an weitere Gründe anknüpfen, bleiben weiterhin wirksam.¹ Nach der bisher vorherrschenden Literaturansicht sollen damit auch die weitverbreiteten Klauseln, die an den Zahlungsverzug eines Kunden oder eine Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse zumeist ein Kündigungsrecht für die Lieferbeziehung knüpfen, im Restrukturierungsverfahren zur
Anwendung kommen.²

Aufgrund der noch nicht allzu langen Geltung des StaRUG und des damit naturgemäß einhergehenden Mangels an einschlägigen Judikaten sind die Grenzen noch zulässiger Vertragsklauseln mit Blick auf § 44 StaRUG derzeit nicht abschätzbar.³ Die Geschäftsleiter von Lieferanten-Unternehmen sind daher gut beraten, ihre Vertragswerke insoweit im Auge zu behalten und bei Klärungsbedarf rechtliche Expertise in Anspruch zu nehmen.

Damit sich der Lieferant nicht gezwungenermaßen an die aufgrund eines StaRUG-Verfahrens „gestörte“ Lieferbeziehung mit einem Kunden gebunden fühlen muss, kann es empfehlenswert sein, kurzfristigere Zahlungsziele und/oder kürzere Kündigungsfristen zu vereinbaren.

Denn dies kann im Einzelfall dazu führen, dass ein Lieferant – erkennt er eine kritische Situation beim Kunden frühzeitig – sich ggf. noch vor Einleitung eines StaRUG-Verfahrens von der Lieferbeziehung lösen kann.

In Anbetracht der regelmäßig fehlenden Öffentlichkeit des Restrukturierungsverfahrens wird eine solch frühzeitige Lösung jedoch häufig nicht möglich sein, sodass sich für die Geschäftsleiter von Lieferanten dann die Frage nach den Handlungsoptionen während des Verfahrens stellt.

B. Betroffenheit eines  Lieferanten-Unternehmens  von einem Restrukturierungsplan

Der Lieferant kann zunächst in den Restrukturierungsplan – sowie dessen Verhandlung, Abstimmung und Bestätigung – einbezogen sein.

I. Restrukturierungsplan
Der Restrukturierungsplan stellt grundsätzlich das zentrale Restrukturierungsinstrument des StaRUG dar.⁴ Er entspricht seinem Wesen nach dem bereits bekannten Insolvenzplan. Ausweislich der §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StaRUG richtet sich dieser allein an die Gläubiger, deren Rechte von dem Plan berührt werden. Dies müssen keinesfalls alle Gläubiger eines Kunden sein, der ein StaRUG-Verfahren einleitet.

Die Möglichkeiten zur Gestaltung der Forderungen bzw. Sicherungsrechte dieser planbetroffenen Gläubiger sind vielfältig. Im Hinblick auf Forderungen, beispielsweise aus einer Kundenbeziehung, stellen der Erlass sowie die Stundung die wohl zentralen und gravierendsten Eingriffe im Rahmen eines Restrukturierungsplans dar.

Der Restrukturierungsplan muss in einem komplexen Abstimmungsverfahren durch die Betroffenen angenommen und anschließend gerichtlich bestätigt werden. Die Wirkungen des bestätigten Plans entfalten ausweislich des § 67 Abs. 1 StaRUG auch gegenüber solchen Betroffenen Wirkung, die diesem im Abstimmungsverfahren nicht zugestimmt haben. Vor allem aus diesem Grund ist eine nachdrückliche Vertretung der eigenen Interessen im Abstimmungsverfahren von zentraler Bedeutung.

II. Handlungsoptionen für den Geschäftsleiter
Will ein Lieferant seinen Kunden im StaRUG-Verfahren unterstützen, so kommen ihm hierbei gewisse Vorteile zugute. Beispielsweise können nach § 12 StaRUG Warenkredite zur Finanzierung der Restrukturierung in dem Plan vereinbart werden, sodass einerseits die Fälligkeit des Kaufpreises hinausgeschoben wird und andererseits dem Kunden eine wesentliche Liquiditätserleichterung aufgrund der Möglichkeit zur Generierung von Einnahmen durch Weiterverarbeitung verschafft werden kann.⁵ Solche Finanzierungsmaßnahmen von Gläubigern werden durch haftungs- und anfechtungsrechtliche Privilegierungen in §§ 89, 90 StaRUG honoriert, wobei insbesondere hervorzuheben ist, dass § 90 StaRUG die Folgen und den Vollzug eines Restrukturierungsplans weitgehend der Insolvenzanfechtung entzieht.

C. Erlass einer Stabilisierungsanordnung

Auch in Fällen, in denen der Lieferant nicht als Betroffener an der Planentwicklung beteiligt ist, sollte der Beobachtung des Restrukturierungsverfahrens eines Kunden besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Dies gilt vor allem, wenn in diesem Rahmen eine Stabilisierungsanordnung  nach §§ 49 ff. StaRUG zugunsten des Kunden erlassen wird. Ausweislich des  § 49 Abs. 2 S. 2 StaRUG kann eine solche Stabilisierungsanordnung im Grundsatz auch diejenigen Gläubiger betreffen, die nicht an dem Planverfahren als Betroffene beteiligt sind.

Durch eine Stabilisierungsanordnung kann – regelmäßig 3, im Extremfall für bis zu 8 Monate – gerichtlich die Einstellung/Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Kunden angeordnet werden (Vollstreckungssperre). Entsprechend kann gerichtlich angeordnet werden, dass etwaige Sicherungsrechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens (z.B. an Waren des Kunden) von dem Sicherungsnehmer (dem Lieferanten) nicht durchgesetzt werden dürfen. Entsprechend dürfen solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Kunden eingesetzt werden, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (Verwertungssperre).

I. Auswirkungen der Stabilisierungsanordnung auf die bestehende Lieferbeziehung
Die Auswirkungen einer Stabilisierungsanordnung in Form der Verwertungssperre für die bestehenden Lieferantenbeziehungen liegen auf der Hand: Unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Waren können im Falle der Nichtzahlung durch den Kunden nicht auf der Grundlage der Eigentumsvorbehaltsrechte zurückgefordert werden, während der Kunde diese mit Sicherungsrechten belegten Waren zur Fortführung des Unternehmens einsetzen kann.

Gleichzeitig kann – sofern ebenfalls eine Vollstreckungssperre angeordnet wurde – die ausstehende Zahlung für diese gelieferten Waren nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Dies kann für den Lieferanten – wie beschrieben – daher weitreichende Folgen haben.

II. Reaktionsmöglichkeiten des Geschäftsleiters
Aus Sicht des Geschäftsleiters eines Lieferanten stellt sich in Fällen der Stabilisierungsanordnung daher die Frage, wie auf die dargestellte missliche Situation zu reagieren ist.

1. Kündigung der Lieferbeziehung?
Eine Trennung vom Kunden durch die Kündigung der vertraglichen Lieferbeziehung wird aufgrund des bereits erwähnten § 44 Abs. 1 StaRUG, aber vor allem des § 55 Abs. 1 StaRUG, weitgehend schwierig sein. Nach § 55 Abs. 1 StaRUG kann ein Gläubiger, dem der Schuldner zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung etwas aus einem Vertrag schuldig ist, nicht allein wegen der rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen. Anderes gilt allein für solche Gläubiger, auf deren Leistung der Kunde zur Fortführung seines Unternehmens nicht angewiesen ist. Bei Teilrückständigkeit des Kunden bleibt indes die Möglichkeit, die Erbringung des entsprechenden Teils der Gegenleistung zu verweigern.

Nicht durch § 55 Abs. 1 StaRUG ausgeschlossen soll indes eine Vertragsbeendigung aus anderen Gründen – ggf. im Zusammenspiel mit dem Zahlungsrückstand des Schuldners – sein.⁶ Hier sind vor allem gesetzliche oder vertragliche Beendigungsrechte, die an einen Verzug des Kunden oder an eine gravierende Verschlechterung von dessen Vermögenslage anknüpfen, besonders zu berücksichtigen.

So hat der Gesetzgeber mit Blick auf den Verzug des Schuldners ausdrücklich betont, dass ein nach dem Anordnungszeitpunkt eintretender Verzug des Schuldners die Gläubiger dazu berechtigt, sämtliche Folgen, die an einen solchen Verzug im Einzelfall geknüpft sind, geltend zu machen.⁷

Vorhandene Vertragswerke eines Lieferanten-Unternehmens sollten daher durch den Geschäftsleiter auf ihre Kompatibilität mit den vorstehenden Auswirkungen einer Stabilisierungsanordnung in einer Lieferbeziehung geprüft werden und ggf. geändert werden.

2. Fortführung der Lieferbeziehung
Scheidet im Einzelfall eine Beendigung der Lieferbeziehung im Falle einer Stabilisierungsanordnung aus, stellt sich wiederum die Frage nach den Folgen.

a) Vorleistungspflicht des Lieferanten-Unternehmens
Ist der Lieferant entsprechend des Vertrags vorleistungspflichtig, was bei Warenlieferungen häufig der Fall sein dürfte, so steht der Rückgriff auf § 55 Abs. 3 StaRUG offen. Hiernach ist die obliegende Lieferung nur gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Kunden obliegende Leistung – regelmäßig der Zahlung – zu erbringen. Zweck dieser Regelung ist es, eine weitere Vergrößerung des wirtschaftlichen Risikos des Lieferanten zu verhindern. Denn Stabilisierungsanordnungen dienen allein der Bewahrung des Status quo, eine weitere Erhöhung des Insolvenzrisikos des Gläubigers, vorliegend also des Lieferanten, soll gerade nicht bezweckt werden.

b) Fruchtbarmachung der Wirkung einer Verwertungssperre
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Wirkungen einer Verwertungssperre nicht zwingend zu einem Nachteil des Lieferanten führen müssen. Dies gilt vor allem für § 54 Abs. 2 StaRUG, wonach der Schuldner in Fällen, in denen er nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Gläubiger sicherungsabgetretene Forderungen einzieht (verlängerter Eigentumsvorbehalt), die dabei erzielten Erlöse an den berechtigten Gläubiger auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren hat. Eine Verwendung durch den Schuldner im Rahmen der Fortführung seines Geschäftsbetriebs ist gerade nicht vorgesehen. Gleiches gilt, wenn er nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit Sicherungsrechten belastete Waren veräußert oder verarbeitet. Somit erhält § 54 Abs. 2 StaRUG u.a. in Fällen des verlängerten Eigentumsvorbehalts den Status quo der bestehenden Sicherheiten für den Lieferanten.⁸ Auf diese Rechtslage sollte der Geschäftsleiter des Lieferanten den Kunden, zu dessen Gunsten eine Stabilisierungsanordnung ergangen ist, hinweisen, um einem Verlust seiner Sicherungsrechte durch Verwertungshandlungen des Schuldners vorzubeugen.

Von § 54 Abs. 2 StaRUG kann durch vertragliche Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger abgewichen werden. Da der Schuldner zur Realisierung seiner Sanierungsbemühungen regelmäßig auf die sich aus der Einziehung bzw. Verwertung der Ware ergebenden Erlöse angewiesen sein wird, dürfte auf Seiten des Kunden ein besonderes Interesse an einer solchen Vereinbarung bestehen. Dieses Anliegen kann im weiteren Verlauf des Restrukturierungsverfahrens, vor allem der Planentwicklung, zur angemessenen Geltendmachung der eigenen Interessen des Lieferanten-Unternehmens genutzt werden.⁹ Rechtlicher Rat und strategische Entscheidungen werden dem Geschäftsleiter dabei von Nutzen sein.

D. Fazit
Ein Restrukturierungsverfahren kann die Rechtsstellung des Lieferanten, unabhängig davon, ob er von einem Restrukturierungsplan betroffen ist, erheblich beeinflussen. Denn die Möglichkeit, sich in solchen Fällen von der Lieferbeziehung zu trennen, ist durch das StaRUG erheblich erschwert. Besondere Brisanz ergibt sich bei der Anordnung von Stabilisierungsanordnungen.

Die neuen gesetzlichen Regelungen zum StaRUG-Verfahren geben für Geschäftsleiter von Lieferanten Anlass, ihre Vertragswerke auf deren Aktualität und Kompatibilität zu prüfen und ggf. entsprechende Anpassungen vorzunehmen.

1 Reg-E StaRUG, BT-DrS. 19/24181, 146.
2 Braun, StaRUG, § 44 Rn. 3; Gehrlein, BB 2021, 66, 75; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994.
3 So befürchten auch Heckschen/Weitbrecht, NZI 2020, 976 f. Unsicherheiten bei der Beurteilung der Vereinbarkeit von vertraglichen Störfallregelungen mit § 44 StaRUG.
4 Braun, StaRUG, § 2 Rn. 1.
5 Braun, StaRUG, § 12 Rn. 11.
6 Reg-E StaRUG, BT-DrS. 19/24181, 158; Braun, StaRUG, § 55 Rn. 8.
7 Reg-E StaRUG, BT-DrS. 19/24181, 158.
8 Ob die i.d.R. für Fälle der Verschlechterung der Vermögenslage bzgl. Einziehungsermächtigungen vorgesehenen Widerrufsrechte bei verlängerten Eigentumsvorbehalten durch eine Stabilisierungsanordnung blockiert werden, ist zweifelhaft, da sie keine Vertragsänderung, sondern nur die Aufhebung einer dinglichen Ermächtigung bewirken, vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2508.
9 Vgl. auch Desch, BB 2020, 2498, 2508.