Eine neue Zukunft für unsere Innenstädte

Düsseldorf, Leipzig, München, aber auch Städte wie Flensburg, Münster, Magdeburg – Leerstand ist in die Fußgängerzonen eingezogen, Flächenpreise sind eingebrochen, bei Neuvermietung werden geringere Mieten erzielt. Die Innenstädte sind gezeichnet von den wirtschaftlichen Auswirkungen von gleich mehreren Lockdowns in der Corona-Zeit. Nur äußerst zäh kam das Leben in die Städte zurück, die Kunden sind zurückhaltend, die wirtschaftliche Ungewissheit ist groß angesichts der Meldungen von steigender Inflation, Arbeitsplatzabbau und im Wahlkampf angekündigter steigender Preise für Energie. Dennoch: Unsere Innenstädte sind seit Jahrhunderten Orte der Begegnung, des Handels und des Lebens, denen im Mittelalter auch Pest und Cholera nicht den Todesstoß versetzen konnten. Unsere Innenstädte haben sich immer wieder neu er- und gefunden. Mit den nun beginnenden 20er Jahren des 21. Jahrhunderts stehen die Innenstädte nach der COVID-19-Pandemie und den klimapolitischen Herausforderungen wieder einmal vor Veränderungen. Es geht um Resilienz und darum, für eine funktionsfähige und klimaangepasste Mobilität zu sorgen – weg von Staus und Verkehrschaos. Und dadurch, dass wir Innenstädte vom reinen Handel zu Tummelplätzen für Kultur, Wohnen und Arbeiten umgestalten sollten, stellt sich auch die Wohnungsfrage. Wohnen und Arbeiten in der City ist angesagt, die Preise für Wohn- und Büroflächen gerade in wachsenden Großstädten und Agglomerationsräumen steigen weiterhin. Innenstädte müssen daher noch stärker zu „Creative Places“ und Orte für Communities werden.

Faszination Innenstadt
Nur die Innenstädte haben hierfür die Voraussetzung, die Strukturen, die beides bereithalten: Urbanität und Rückzugsbereiche. Zudem sind viele Innenstädte Verwaltungsstandorte. Es gibt kurze Wege und ein vielfältiges Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs. Abwechslung und Mannigfaltigkeit der Unterhaltungsangebote verschaffen ihnen neue Anziehungskraft. Aber der vielleicht größte Vorteil ist die Bausubstanz selbst und der Denkmalschutz trägt wesentlich zur Schönheit der Orte bei.

Wir sollten uns nicht mehr darauf fixieren, Häuserzeilen und -reihen parzellenübergreifend uniform zu  gestalten und Blockrandbebauung umzusetzen. Stattdessen müssen Individualität und gleichzeitig  Offenheit einen wesentlichen Teil der Faszination der Innenstadt ausmachen. Dies ist eine  mdenkaufgabe, die wir als Branche übernehmen.

Stadtpolitik und Gestaltung im 21. Jahrhundert erfordern Klimaanpassungen
Die Herausforderungen an die Stadtpolitik sind aber insgesamt vielfältiger geworden. So ist es wichtig, das eigene kulturelle und wirtschaftliche Erbe zu erkennen und weiterzuentwickeln – ökologisch, sozial und nicht zuletzt auf einer ökonomischen Basis. Die Digitalisierung ermöglicht heute vollkommen andere Stadtentwicklungsprozesse. Damit die Baugenehmigungen aber tatsächlich digital, transparent und  beschleunigt erteilt werden können, braucht es noch einige Anstrengungen. Denn vielerorts sind die Bauämter weder technisch noch personell darauf eingestellt. Auch die Planungsverfahren könnten auf der Basis einer digitalen Infrastruktur und mithilfe von 3-D-Stadtmodellen oder Building Information Modelling (BIM) heute bereits viel digitaler und schneller erfolgen. Leider steht Deutschland aber in Sachen Digitalisierung auf dem vorletzten Platz in Europa. Nur in Albanien ist es laut Digital Riser Report noch schlechter um die digitale Wettbewerbsfähigkeit bestellt. Überdies könnten Energiegewinnung, die Gebäude und deren Infrastruktur sowie Verkehr, Abwasser oder Wasser auf der Basis von digitaler Infrastruktur ganz anders vernetzt und so viel klimaschonender gebaut und betrieben werden. In sogenannten Smart Cities können neue stadtpolitische Visionen auf der Basis von digitalen, offenen, standardisierten Plattformen entwickelt, geplant und gebaut werden – gemeinsam mit Bürgern, Unternehmen, Verwaltung und Wissenschaft. Auch der Stadtverkehr ist wesentlich klimaangepasster organisierbar. Dazu gibt es schon einige Modellstädte, die mit Bundesmitteln gefördert werden. Diesen Weg lohnt es, weiter zu beschreiten.

Bezahlbares Wohnen und Freiräume in den Innenstädten für breite Schichten
Wir sprechen in den letzten Monaten verstärkt von Mixed-Use in unseren Städten. Dazu gehört auch, dass die Innenstädte von herausragender Bedeutung für die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum sind. Dafür muss einerseits die Sanierung von Bestandswohnungen weiter vorangetrieben werden und  andererseits müssen Flächen für die Entwicklung, Planung und den Bau von bezahlbarem Wohnraum bereitgestellt werden. Bislang dauern dafür die Baugenehmigungs- und Planverfahren viel zu lange und weisen zu viel Redundanzen auf. Nicht selten vergehen von der Idee bis zur Fertigstellung eines Mehrfamilienhauses – wenn es klimaneutral beispielsweise in Holzbauweise errichtet werden soll – mehr als sechs Jahre. Das ist angesichts der Wohnungsnot in vielen wachsenden Großstädten entschieden zu lang. Steigende Grundstückspreise verteuern diesen Prozess nochmal.

Unser Beitrag für eine zukunftsweisende Immobilienwirtschaft
Während der COVID-19-Pandemie haben viele im „Homeoffice“ von zu Hause aus gearbeitet. Und in der Immobilienwirtschaft kam die Frage auf, ob und wie viele Büroimmobilien in den Innenstädten zukünftig noch benötigt werden, oder ob ein Umbau zu Wohnimmobilien zukunftsweisend ist. Jetzt ist zu erkennen, dass es nicht um die Umwandlung „klassischer“ Asset-Klassen geht, also nicht Büro zu Wohnen. Viele kehren an ihren Arbeitsplatz im Büro zurück. Andere verfolgen Mischmodelle, arbeiten also an zwei oder drei Tagen in der Woche von zu Hause aus und kehren an den übrigen Tagen an ihren Büroarbeitsplatz zurück. Insofern wird deutlich, dass neben dem dringenden Wohnraumbedarf auch weiter Büro- und Gewerbeflächen in den Innenstädten benötigt werden. Es ist nicht sinnvoll, Gewerbe- gegen Wohnflächen auszuspielen. Wir brauchen beides und vielleicht das eine oder andere neue Flächenkonzept. Wir müssen also überlegen, wie wir Mixed-Use-Immobilien errichten oder umbauen und genehmigen können. Dafür benötigen wir eine zukunftsweisende Stadtentwicklung und müssen die Bauplanungs- und  Genehmigungsverfahren darauf ausrichten.

Als Immobilienwirtschaft haben wir uns vorgenommen, dies in die bundespolitische Diskussion  einzubringen, um gemeinsam für diese neuen Nutzungsansprüche gute Lösungen zu entwickeln. Dabei  geht es nicht um reine Umnutzung, sondern um den Wandel der Nutzer! Es ist wie mit einem Bücherregal: Gebäude sind nur die Ständer, die Bücher sind verschieb- und austauschbar. Die Anforderungen an multifunktionale Immobilien sind vielfältig und anders als in der Vergangenheit. Das heißt, es werden neue Konzepte erforderlich, für die neue Kompromisse und individuelle Lösungen entwickelt werden müssen. Die Projektentwickler bieten hierzu den Dialog an. Auch die Vermietung dieser Mixed-Use-Immobilien ist aufwendiger. Denn heute werden Gewerbemietverträge häufig nicht mehr für fünf oder zehn Jahre mit einem festen Mietzins bzw. einer Steigerungsrate abgeschlossen. Die Laufzeiten sind geringer und enthalten nicht selten eine Klausel zur Umsatzbeteiligung. Außerdem haben sich die Ansprüche an das Wohnen selbst geändert. Gefragt sind nicht nur klassisches Wohnen, sondern neue Wohnformen und Wohnen im Alter. Auch das gilt es neu zu konfigurieren. Für uns gibt es keine Alternative, ein Zurück zur monofunktionalen Innenstadt ist nicht erstrebenswert.

Mit diesen und für diese fünf Punkte werben wir bei allen Stakeholdern, um zu einem Aufbau und einer Revitalisierung unserer Innenstädte zu kommen. Es gilt, die Zukunft mit Mut anzupacken. Ein Mut, der uns alle erfassen sollte, auch um die Gesellschaft wieder miteinander zu versöhnen. Die Immobilienwirtschaft übernimmt gerne einen Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

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Unsere politischen Vorschläge für lebens- und liebenswerte Innenstädte:
Das Fazit lautet: Neue Kreativität und Anpassungen im Denken sind gefragt. Ein Automobilhersteller nannte das schon vor ein paar Jahren „Umparken im Kopf “.

Fünf Punkte sind uns dabei wichtig:

  1. Die Baunutzungsverordnung muss angepasst werden, um gemischte Nutzungen zu stärken. Viele Vorschriften sind noch einem älteren Leitbild der strikten Trennung der Funktionen verhaftet.
  2. Die Digitalisierung für Bauplanungs- und Baugenehmigungsverfahren sollte weiter vorangetrieben werden. Zukünftig sollte der Bauantrag digital über eine Plattform eingereicht und die Bearbeitung digital und transparent abgebildet werden.
  3. Vorfahrt für einheitliche Ansprechpartner in den Baubehörden. Sie sollten den digitalen Bauantrag und das digitale Bauplanverfahren begleiten und fortlaufend über den Verfahrensstand informieren. Dafür müssen die technischen und personellen Voraussetzungen in den Behörden geschaffen werden.
  4. Die nutzungsgemischte Stadt setzt auf Toleranz der Bürger. Wenn nebeneinander gewohnt und gearbeitet wird, benötigen wir auch andere Lärmvorgaben.
  5. Die klimagerechte Stadt mit bezahlbarem Wohnraum erfordert Freiräume, in denen teilweise überbordende Vorschriften beiseitegelegt und neue Ideen für klimaangepasste Stadtstrukturen ausprobiert werden können. Dafür sind die notwendigen Voraussetzungen im Baugesetzbuch zu schaffen.

Individualität und gleichzeitige Offenheit müssen einen wesentlichen Teil der Faszination der Innenstadt ausmachen.



Aygül Özkan, Geschäftsführerin,
ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e. V.

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Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Immobilienwirtschaft“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
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