Driver seat oder Schleudersitz? Die Kompetenzen des Geschäftsführers zum Managen von Veränderungsprozessen

Dr. Raoul Kreide, Rechtsanwalt und Local Partner, GSK Stockmann Rechtsanwälte

Nicht erst seit den Diskussionen um Diesel-Motoren sind grundlegende Veränderungsprozesse, denen sich Unternehmen stellen müssen, auf der Tagesordnung. Auslaufende Produktlebenszyklen, bestärkt durch die so genannte „Digitale Transformation“ und Fachkräftemangel erfordern oftmals „Umbauten“ am bestehenden Geschäftsmodell. Der folgende Beitrag beleuchtet die Frage, auf welche Kompetenzen sich der Geschäftsführer zur Umsetzung erforderlicher Änderungen berufen kann und welche Grenzen er zu beachten hat.

So kann es vorkommen, dass der Geschäftsführer eine strategische Neupositionierung vorschlägt, am Ende aber nur die Rückmeldung bekommt, man werde weiter beobachten oder allenfalls kleinere erste Schritte andenken. Oder die Entscheidung wird im Grundsatz positiv getroffen, dem Geschäftsführer aber keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung gestellt. Dennoch hat der Geschäftsführer die Aufgabe und Pflicht, notwendige operative Maßnahmen vorzunehmen.

CHANGE MANAGEMENT

enn Veränderungsprozesse definiert und umge-setzt werden sollen, sieht man regelmäßig den Ge-schäftsführer hierfür in der Verantwortung. Er wird aufgrund seiner Verantwortlichkeit und Einblicke in das operative Geschäft auch derjenige sein, von dem man erwartet, einen entsprechenden Veränderungsbedarf zu erkennen und zu adressieren.

Oftmals erleben Geschäftsführer aber, dass ihre Vorschläge und mahnenden Rufe zur Veränderung kein Gehör finden. Dies kann daran liegen, dass sich die Gesellschafter nicht auf eine Strategie einigen können. In vielen Fällen hat der frühere Erfolg aber auch risikoscheu gemacht. Veränderung heißt immer auch, Vertrautes in Frage zu stellen und Risiken neu einzugehen. Dass der Verzicht auf die notwendige Veränderung ein viel größeres Risiko darstellt, wird vielfach nicht gesehen oder verdrängt.

GRUNDSATZ DER UNBESCHRÄNKTEN VERTRETUNGSMACHT

Im Außenverhältnis ist der Geschäftsführer im Grundsatz unbeschränkt und unbeschränkbar zur Vertretung berechtigt (§ 37 Abs. 2 GmbHG). Nur die gesetzlich vorgesehene Gesamtvertretung (§ 35 Abs. 2 GmbHG) ist keine solche Beschränkung und damit auch im Außenverhältnis zu beachten. Dieses Grundprinzip ist wichtig. Denn Geschäfts-partner müssen darauf vertrauen dürfen, dass die Geschäfte, die sie mit dem Unternehmen, vertre-ten durch den Geschäftsführer, abschließen, auch gültig sind. Bestärkt wird dies durch die negative Publizität des Handelsregisters. Danach gilt das, was ins Handelsregister eingetragen werden muss, tatsächlich aber nicht eingetragen wird, als nicht erfolgt (§ 15 Abs. 1 HGB). Endet z.B. die Geschäfts-führerstellung, wird dies aber nicht eingetragen, kann der Geschäftspartner nach wie vor wirksam Geschäfte mit dem Geschäftsführer abschließen, die dann auch für die Gesellschaft wirken. Etwas anderes gilt lediglich, wenn der Geschäftspartner positiv weiß, dass die Geschäftsführerstellung beendet ist – in diesem Fall ist er nicht schutzwürdig.

STÄRKUNG DES GRUNDSATZES DURCH DEN BUNDES-GERICHTSHOF?

Diskutiert wurden in der Vergangenheit insbesondere diejenigen Fälle, in denen der Geschäftsführer sich entschied, einen Geschäftsbereich oder ein im Tochterunternehmen geführtes Projekt nicht weiter zu verfolgen. Durch ein Grundsatzurteil im Januar 2019 (Az. II ZR 364/18) hat der Bundesgerichtshof (BGH) der bis dahin herrschen-den Literaturmeinung eine Absage erteilt und die Vertretungsmacht der Geschäftsführer weiter gestärkt. Einen „Freifahrtsschein“ erteilt der BGH dennoch nicht.

Bislang wurde ein Vertrag ohne erforderliche Zustimmung der Gesellschafter als unwirksam angesehen.

Bislang wurde ein Vertrag ohne erforderliche Zustimmung der Gesell-schafter als unwirksam angesehen. Diese fatale Konsequenz leitete die Literatur aus einer entsprechenden Anwendung des für Aktiengesell-schaften geltenden § 179a AktG ab. Der BGH hat nun abschließend entschieden, dass die Wertung des Aktienrechts nicht auf die GmbH übertragen werden kann. Somit ist ein Vertrag, mit dem der Geschäftsführer das gesamte Gesellschaftsvermögen überträgt, im Grundsatz nach außen hin wirksam – auch, wenn im Innenverhältnis ausdrücklich die Zustimmung der Gesellschafterversammlung erforderlich ist.

nwirksam ist ein solches Geschäft im Außenverhältnis nur noch, wenn der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. Dem Vertragspartner muss sich dabei aufdrängen, dass der Geschäftsfüh-rer ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung seine Befug-nisse überschreitet. An dieser Stelle gilt es, in der Praxis aufzupas-sen: Laut „O-Ton“ des BGHs ist ein Missbrauch der Vertretungsmacht häufig schon dann anzunehmen, wenn das gesamte Unternehmen als solches übertragen werden soll. Die Fallgruppe kann ebenfalls einschlägig sein, wenn ein einzelner, besonders bedeutender Vermögensgegenstand übertragen werden soll. Dies ist sehr weitgehend.

Obwohl der BGH die Anwendbarkeit des § 179a AktG nunmehr verneint, ist derzeit als sicherster Weg weiterhin davon auszugehen, dass solche Gesellschafterbeschlüsse beurkundungspflichtig sind. Die Fachliteratur stützt dies auf § 53 Abs. 2 GmbHG. Gleiches gilt für die Frage der erforderlichen Stimmmehrheit. Grundsätzlich genügt zwar die einfache Stimmenmehrheit (§ 47 Abs. 1 GmbHG). Teilweise wird in der Literatur aber in Anlehnung an die für die Aktiengesellschaft geltenden Grundsätze aus den Entscheidungen „Holzmüller“ und „Gelatine“ sowie der gesetzgeberischen Wertung des § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG eine Dreiviertelmehrheit gefordert. Daher ist in der Praxis weiterhin zu empfehlen, vom Erfordernis einer Dreiviertel-mehrheit auszugehen.

ABSTIMMUNG MIT DEN GESELLSCHAFTERN

Wichtig ist aber, dass die Anerkennung der Wirksamkeit nicht zu einer Erweiterung der Geschäftsführerkompetenzen führt. Der BGH hat klargestellt, dass der Geschäftsführer im Innenverhältnis dennoch weiterhin an die gesetzliche und satzungsmäßige Kompetenzver-teilung gebunden bleibt. Dem Geschäftsführer einer GmbH kommt – soweit es nicht um die Erfüllung gesetzlicher Pflichten geht – Geschäftsführungsbefugnis nur dann und insoweit zu, als die Gesell-schafterversammlung von ihrer Geschäftsführungskompetenz weder durch Regelung im Gesellschaftsvertrag noch durch Beschlusswei-sung an den Geschäftsführer Gebrauch macht. Dabei ist der Ge-schäftsführer bei besonders bedeutsamen Geschäften von sich aus verpflichtet, die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen.

Der BGH geht im Einklang mit der Fachliteratur sogar noch einen Schritt weiter: Der Geschäftsführer ist selbst dann verpflichtet, die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen, wenn dies nicht aus-drücklich in einer entsprechenden Satzungsregelung (etwa einem Zustimmungskatalog) geregelt ist. Im Ergebnis ändert sich damit wenig: Geschäftsführer sind in Veränderungsprozessen aufgrund Ihrer strategischen Bedeutung verpflichtet, die Gesellschafter mitein-zubeziehen und sich Maßnahmen durch entsprechende Beschlüsse „freizeichnen“ zu lassen.

CHANGE MANAGEN

Damit liegt die wesentliche Aufgabe für Geschäftsführer nicht nur darin, den Change Prozess operativ vorzubereiten und umzusetzen, sondern auch darin, die notwendige Zustimmung der Gesellschafter hierfür zu erlangen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die transparente Kommunikation schon im Vorfeld. Nicht immer begleitet jeder Ge-sellschafter die Entwicklung des Unternehmens bis ins Detail. Hier gilt es, den Gesellschafter abzuholen und mit den notwendigen Ent-scheidungsgrundlagen zu versorgen. Dabei empfiehlt es sich, eine schnelle Fokussierung auf eine einzige Lösung zu vermeiden. Dann fühlt sich der Gesellschafter mit seiner Entscheidungshoheit respek-tiert und wird sich gerade deshalb von Sachargumenten führen las-sen. Als alternativlos vorgestellte Szenarien führen hingegen öfter zu einer Abwehrhaltung, weil man sich seiner Entscheidungsfreiheit be-raubt sieht und in der Ablehnung die Chance sieht, doch noch eigene Entscheidungshoheit auszuüben.

Geschäftsführer sollten daher versuchen, ihre Gesellschafter frühzeitig in den Prozess einzubinden und Handlungsoptionen herauszu-arbeiten, die mit dem entsprechenden Informationsmaterial zur Dis-kussion gestellt werden. Besonders bei Familiengesellschaften, die im Rahmen der Nachfolge einen Fremdgeschäftsführer eingesetzt haben, gilt es dabei Fingerspitzengefühl zu beweisen. Denn dass sich der frühere Unternehmer aus der operativen Tätigkeit heraus-gezogen hat und dementsprechend auch nicht mehr so nah an den Herausforderungen des Marktes ist, heißt noch lange nicht, dass er diese passive Rolle verinnerlicht hat und Entscheidungen nicht doch selbst abwägend treffen will.