D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche gegen den Geschäftsführer bei Verstoß gegen das Auszahlungsverbot bei Insolvenzreife?

Dr. Rocco Jula, Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Dr. Jula & Partner mbB

Gerät eine GmbH in eine wirtschaftliche Krise, muss der Geschäftsführer besonders wachsam sein. Liegt bereits eine Insolvenzreife vor, hat der Geschäftsleiter unverzüglich, bei Zahlungsunfähigkeit spätestens binnen drei Wochen bzw. bei Überschuldung spätestens binnen sechs Wochen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a I InsO). Verstößt er gegen diese Pflicht, kann sich der Geschäftsführer strafbar machen (§ 15a IV InsO). Der BGH legt die dem Geschäftsführer obliegenden Organpflichten streng aus. Danach muss „der Geschäftsführer einer GmbH für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht“ (BGH Urt. v. 19.6.2012 − II ZR 243/11, NZI 2012, 812). Der Gesetzgeber hat im ab 1.1.2021 in Kraft getretenen Unternehmensstabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz – (StaRUG) in § 1 I eine Pflicht der Geschäftsleiter zur Früherkennung der Krise und zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen verankert:

Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.

Bei diesem strengen „Pflichtenkorsett“ kann der Geschäftsführer leicht in die Haftung und Strafbarkeit geraten. Hierbei wird Insolvenzverschleppung bereits bei Fahrlässigkeit bestraft. Daneben entsteht auch eine Haftung bereits dann, wenn der Geschäftsführer den Insolvenzantrag nur fahrlässig verschleppt. Der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB und löst daher eine Schadensersatzverpflichtung aus. Daneben besteht das Auszahlungsverbot nach Eintritt der Insolvenzreife, das in § 15b I der Insolvenzordnung verankert ist. Bis zum 31.12.2020 war dies für die GmbH in § 64 Satz 1 GmbHG geregelt. Wird gegen dieses Verbot verstoßen, ordnet das Gesetz an, dass der Geschäftsführer alle schuldhaft veranlassten Zahlungen an die Insolvenzmasse zu erstatten hat, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu vereinbaren sind.

In der Praxis werden hierbei oft Prozesse in Millionenhöhe geführt, weil die Insolvenzverwalter nach dem Zusammenbruch der Gesellschaft und Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Rechnungswesen im Einzelnen auswerten und ermitteln, wann eine Insolvenzreife eingetreten ist, um sodann alle danach erfolgten Auszahlungen bei dem Geschäftsführer persönlich zurückzufordern.

Der Geschäftsführer kann sich zur Wehr setzen, indem er vorträgt, dass die Insolvenzreife zu dem Zeitpunkt noch gar nicht vorlag, bzw. er ohne Verschulden handelte, weil die Insolvenzreife für ihn ggf. damals noch nicht erkennbar war. Er kann auch vortragen, dass zumindest einzelne Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns zu vereinbaren gewesen sind. Ferner kann der Geschäftsführer darlegen und beweisen – dies ist mit Wirkung ab 1.1.2021 in das Gesetz in § 15b IV 2 InsO eingeführt worden – dass sich insgesamt die Masse im Verschleppungszeitraum nicht verringert hat, so dass sich die verspäte Antragstellung nicht zum Nachteil der Gläubiger ausgewirkt hat.

Jedenfalls muss der Geschäftsführer gegebenenfalls einen langwierigen Prozess durchstehen, dessen Ausgang ungewiss ist. In der Praxis kommt es allerdings sehr häufig zu Verurteilungen bei Verstößen gegen das Auszahlungsverbot. Umso wichtiger ist es für den Geschäftsführer, dass hierfür Versicherungsschutz aus der D&O-Versicherung bereitgestellt wird. Der Versicherer stellt hierbei die Kosten für eine Abwehr bereit bzw. den Geschäftsführer von einer Inanspruchnahme frei, sofern der Anspruch sich am Ende als berechtigt erweist. Die D&O-Versicherung leistet nicht bei vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens, d.h. wenn die Insolvenzverschleppung vorsätzlich geschieht und damit vorsätzlich gegen das Auszahlungsverbot verstoßen wird (§ 103 VVG). Daneben ist auch bereits die wissentliche Pflichtverletzung regelmäßig nach den verbreiteten Versicherungsbedingungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Es genügt also, dass der Geschäftsführer weiß, dass er den Insolvenzantrag verschleppt, auch wenn er keinen Schaden anrichten will.

Versicherungsschutz aus der D&O-Versicherung wird jedoch für die fahrlässige einschließlich der grob fahrlässigen Insolvenzverschleppung und für die daraus resultierende haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsführers gewährt. Durch mehrere OLG-Entscheidungen wurde jedoch der Versicherungsschutz für den Tatbestand des § 64 Satz 1 GmbHG abgelehnt. Es wurde argumentiert, dass der Anspruch gegen den Geschäftsführer, der bei Verstoß gegen das Auszahlungsverbot seitens des GmbH entsteht, kein echter Schadensersatzanspruch sei, sondern ein Anspruch eigener Art. Die Versicherungsbedingungen setzen jedoch einen Verstoß gegen gesetzliche Haftpflichtbestimmungen voraus, verlangen also, dass gegen den Geschäftsführer ein Anspruch gerichtet wird, der sich aus dem Verstoß gegen gesetzliche Haftpflichtbestimmungen herleitet.

In der Praxis haben viele Versicherungsmakler auf die OLG-Rechtsprechung reagiert und ausdrücklich vereinbart bzw. klarstellen lassen, dass gleichwohl die Ansprüche wegen des Verstoßes gegen das Auszahlungsverbot aus § 64 Satz 1 GmbH-Gesetz (heute § 15b IV InsO) mitversichert sind. Im Anschluss an die OLG-Rechtsprechung wurde jedoch teils von den Versicherern in Fällen, in denen die Gesellschaften bereits insolvent waren und die Ansprüche schon entstanden waren die Deckung versagt oder es wurde sich dies zumindest vorbehalten und zunächst vorläufig nur Abwehrdeckung gewährt. Daher wurde mit Spannung das BGH-Urteil erwartet, das nunmehr am 18. November 2020 ergangen ist. Der Bundesgerichtshof hat zu Gunsten des Versicherungsschutzes entschieden und geurteilt, dass der Anspruch wegen Masseschmälerung, der sich damals aus § 64 Satz 1 GmbH-Gesetz ergab (heute § 15b IV InsO) vom Versicherungsschutz umfasst ist. Es handele sich um einen Schadensersatzanspruch, der zu den gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen gehört. So würde dies ein verständiger Versicherungsnehmer verstehen (BGH Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, r+s 2021, 27, 28.) Im Kern begründet der BGH seine Entscheidung damit, dass aus Sicht der Beteiligten der Anspruch wegen Masseschmälerungen auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gerichtet und daher als Schadensersatzanspruch im Sinne der Versicherungsbedingungen einzuordnen sei. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat Klarheit und Rechtssicherheit für die betroffenen Geschäftsführer geschaffen.

Aber es ist weiterhin gleichwohl darauf zu achten, ob im Einzelfall der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Schadensherbeiführung vorliegt. Dies ist in der Praxis sehr häufig der Fall. Auch muss differenziert werden: Es kann zunächst eine versicherte fahrlässige Insolvenzverschleppung vorliegen, weil der Geschäftsführer die Insolvenzreife noch nicht erkannt hat, diese kann dann aber noch in eine vorsätzliche Insolvenzverschleppung umschlagen. Ab diesem Zeitpunkt bestünde für den dann verursachten Schaden kein D&O-Versicherungsschutz mehr.

In der Praxis wird aktuell, soweit bekannt, ausdrücklich in den verbreiteten Policen der Anspruch wegen Verstoßes gegen das Auszahlungsverbot mitversichert. Einige Versicherer überlegen jedoch, ob sie dies zukünftig weiterhin gewährleisten können. Auch könnte in Frage gestellt werden, ob mit dem Einschluss des Anspruchs aus § 64 Satz 1 GmbHG damit auch die Neufassung in § 15b InsO erfasst ist. Dies ist zu bejahen, da der neugefasste Tatbestand durch den Gegenbeweis, dass keine Benachteiligung der Gläubigerschaft im Verschleppungszeitraum eingetreten ist, das Haftungsrisiko des Geschäftsführers eher verringert. Bei einem Neuabschluss der Police ist darauf zu achten, ob die Versicherer gegebenenfalls hier einen Ausschluss für Ansprüche aus § 15b IV InsO vereinbaren. Diese Möglichkeit stünde ihnen offen. Ein solcher Ausschluss, der transparent formuliert ist, wäre auch nicht unwirksam. Bei bestehenden Policen ist darauf zu achten, dass nunmehr statt § 64 Satz 1 GmbHG ausdrücklich die Ansprüche aus § 15b IV 1 InsO versichert sind.