Vor mehr als einem Jahrzehnt sagte der US-amerikanische Softwarepionier Marc Andreessen in seinem gleichnamigen Essay „Why Software Is Eating The World“ die einsetzende Vorherrschaft von software- und technologiegetriebenen Geschäftsmodellen voraus. Software-zentrierte Unternehmen, so Andreessen, würden die hardware-zentrierten Platzhirsche in immer mehr Industrien und Branchen ablösen.
Technology Eats the World
In einer Weiterentwicklung dieser Prognose hat die digitale Transformation nahezu aller Gesellschaftsbereiche zur Konvergenz mehrerer Technologiefelder – u.a. integrierte Internet of (Military) Things Technologien, Robotics, AR/VR/XR, künstliche Intelligenz und Cloud – geführt, die sich gegenseitig beschleunigen. Die Integration dieser neuen Technologien kann Abläufe revolutionieren und die Effizienz, Sicherheit und Gesamtleistung einer Organisation verbessern. Damit ist sie Chance und Herausforderung zugleich – insbesondere im Bereich der Verteidigung.
Die gute Nachricht ist, dass sich diese Erkenntnis bis in die Führungsspitze des Verteidigungsministeriums, der Bundeswehr und in weiten Teilen der wehrtechnischen Industrie durchsetzt. Es mangelt also selten an Einsicht, oftmals aber noch an der Umsetzung. Wesentlich ist, dass es im Kern nicht nur um Software als den wichtigsten Enabler moderner militärischer Operationen geht. Vielmehr steht im Vordergrund, eine ganze Bandbreite von technologiebasierten Fähigkeitsentwicklungen nutzbar zu machen – also digitale Konvergenz zu nutzen.
Sicherlich ist die Frage berechtigt, warum es ausgerechnet jetzt zum viel beschworenen Paradigmenwechsel kommen mag, wo doch der Verteidigungssektor schon mehrfach an Verharrungskräften gescheitert ist. Im Unterschied zu den letzten 30 Jahren ist die Bedrohung an der Türschwelle Europas angekommen – die jüngst veröffentlichten Verteidigungspolitischen Richtlinien unterstreichen dies. Wirkungsvolle Abschreckung und Handlungsfähigkeit im Ernstfall sind zentral, nicht nur in Organigrammen, sondern in den Grundfesten von Doktrinen, Zusammenarbeits- und Geschäftsmodellen.
Eine neue Art von Fähigkeiten
Die beschriebene digitale Konvergenz hat nicht nur dazu geführt, dass der Gesamtkomplex „Verteidigung“ sich hinterfragen muss. Sie stellt auch grundlegende Annahmen über das Wesen militärischer Machtprojektion auf den Kopf. Noch 2019 wurde mit dem Positionspapier des Amtes für Heeresentwicklung „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“ der „Grundstein für die weitere militärische Erforschung, Entwicklung und Nutzung dieser noch sehr jungen Technologie in der Heeresentwicklung“ gelegt. Nur wenige Monate später ist klar, dass die prognostizierte Zukunft von Konflikt und Krieg Realität geworden ist. Die Analyse zeigt deutlich, dass die Durchsetzungsfähigkeit neben bestehenden militärischen Plattformen durch neue kostengünstige, kommerziell hergestellte, software-zentrierte und KI-gestützte Systeme und Fähigkeiten wesentlich gesteigert wurde.
Neue Produkte und Servicemodelle: Softwarisierung nutzen
Gewollte Veränderungen und Weiterentwicklungen in dieser neuen Realität ermöglichen es, die Bundeswehr ergänzend aufzurüsten. Konnten diese Fähigkeiten in der softwareaffinen Ukraine schnell entwickelt und unmittelbar verfügbar gemacht werden, wird die agile und schnelle Umsetzung innerhalb der Bundeswehr – entlang von Use Cases – Gradmesser des neuen Denkens und Handelns.
Neben der Nachführung von bestehenden Plattformen – der digitalen Aufrüstung bereits im Einsatz befindlicher Systeme – müssen die Beschaffung und Einführung von neuen militärischen Fähigkeiten ermöglicht werden, welche schneller realisierbar und kosteneffizienter sind. Dies erfordert ein Arsenal an kleinen, kostengünstigen, und autonomen Systemen mit optionalen Servicepaketen, das sofort entwickelt, aufgebaut und schnell sowie in großem Umfang bei der Bundeswehr und interoperabel mit unseren Verbündeten zur Verfügung gestellt werden kann. Nur durch die Verfügbarkeit von klassischen militärischen Plattformen und dem gleichzeitigen Einsatz neuer Produkte und Services ist es möglich, zeitgleich alle Einsatzszenarien, Landes- und Bündnisverteidigung und internationales Krisenmanagement, zu beüben und in Bündnissen eingegangene Verpflichtungen einzuhalten.
In einem zweiten Artikel, Anfang Dezember, werde ich vertiefend auf einige Parameter zum Aufbau und zum Einsatz dieser neuen Produkt- und Servicemodelle eingehen.