Die Post-Corona-Chance: ein neuer Humanismus für nachhaltigen Erfolg in der Versicherungswirtschaft

Die Handelsblatt Journal Redaktion im Gespräch mit Giovanni Liverani, CEO der Generali  Deutschland AG, über die Herausforderungen und Chancen der Branche.

Herr Liverani, Sie scheuen sich nicht vor mutigen Entscheidungen. In den vergangenen Jahren haben Sie Ihr Unternehmen mit dem Fokus auf Innovation und Wachstum von Grund auf umgebaut. Welche Herausforderungen sehen Sie mit Blick auf die Corona-Pandemie für die nahe Zukunft?
Ja, das ist richtig, mit dem erfolgreichen Turnaround haben wir die Basis für Innovation und starkes Wachstum in der Zukunft gelegt, und zwar durch den Umbau des Vertriebs, die Integration in die DVAG, die neue Markenstruktur mit zwei strategischen starken Marken, und natürlich die Trennung von den klassischen, garantierten Lebensversicherungen und die Fokussierung auf fondsgebundene Lebensversicherungen. Wir waren mutig und haben dank dieser Veränderungen die Weichen für die Zukunft gestellt. Und ich bin sehr zufrieden, dass wir  unseren Turnaround erfolgreich abgeschlossen hatten, bevor die Corona-Krise kam. Jetzt stehen wir alle hier in Europa – und das ist besonders relevant für die Generali, welche die größte Versicherung in Europa ist – an einem Scheidepunkt. Corona hat in vieler Hinsicht  offenbart, was auf unserem Kontinent gut läuft, aber vor allem, wo wir einen enormen Sprung nach vorne machen müssen. Es ist Zeit für einen fundamentalen Wandel in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, um den Grundstein für langfristigen Erfolg der europäischen Wirtschaft zu legen. Die Globalisierung führt zu massiven Verschiebungen auf den Weltmärkten, und Europa  läuft derzeit Gefahr, gegenüber Schwellenländern ins Hintertreffen zu geraten. Nicht nur in der gesamten Wirtschaft, sondern zunehmend auch in der Versicherungsbranche. Deutschland, ein sehr wichtiger oder sogar der wichtigste Markt in Europa, ist zwar immer noch attraktiv, Märkte wie China oder Indien drohen aber in Sachen Innovation an uns vorbeizuziehen.

Ist die Versicherungsbranche in Deutschland in Gefahr, aufs Abstellgleis zu geraten?
Keineswegs! Immerhin setzen wir hierzulande auf eine Kultur der nachhaltigen Wertschöpfung. So haben wir das Versicherungsgeschäft mit einer enormen Widerstandfähigkeit und Kreativität über Jahrhunderte hinweg immer wieder neu erfunden. Diese Resilienz, aber auch der Digitalisierungsschub, den wir durch Corona erfahren haben, rüstet uns dafür, auch künftigen  Herausforderungen zu begegnen, ganz neue Ökosysteme zu erschließen und so langfristig nachhaltigen Erfolg im Versicherungsmarkt zu schaffen. Dabei kommt es auf eine intelligente Nutzung von Big Data zum Wohle der Menschen an. Und niemand hat mehr Erfahrung im sicheren Umgang mit sensiblen Daten als wir Versicherer. Was wir brauchen, sind tragfähige und zukunftsweisende Rahmenbedingungen. Es gilt, die Forschung an neuen Technologien voranzutreiben, um am Ball zu bleiben. Eine Überregulierung des deutschen Versicherungsmarktes in Sachen Data Analytics birgt die Gefahr, dass andere,weniger  verantwortungsvolle Branchen diese Aufgaben übernehmen, und die dementsprechenden Produkte ungeordnet auf den Markt bringen.

Sie sprechen das Thema Ökosysteme als Katalysatorfür neue Geschäftsfelder an. Können Sie hier etwas konkreter werden?
Die Corona-Pandemie hat die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaft offenbart, und nur langfristig orientierte Systeme werden in Zukunft noch langfristig Bestand haben. Es gilt also, einen Mindset zu schaffen, der den Menschen wieder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellt – in unserem Privatleben, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Das ist es, was ich den neuen Humanismus nenne. Dieser Begriff steht für eine optimistische Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, eine bessere Daseinsform zu finden. Und als Versicherer sind wir in der einzigartigen Position, durch Investitionen, Produkte und Policen die dringend erforderliche  Transformation zu fördern. Ganz konkret geht es hier um einen Paradigmenwechsel, bei dem wir uns zusätzlich zum Schadenregulierer hin zu einem Partner unserer Kunden entwickeln wollen, der sie darin unterstützt, Risiken von vorneherein zu vermeiden. Wir sind Marktpionier einer neuen Generation von innovativen Versicherungslösungen, die auf die Verbesserung der Lebensqualität unserer Kunden aber auch der Gesellschaft ausgerichtet sind, und das sehr erfolgreich. Der Markt für solche Produkte und Services wächst, es ist das  Versicherungsgeschäft der Zukunft. Dieses Geschäft bringt uns in Kontakt mit anderen innovativen Industrien und Kooperationspartnern – das wiederum stärkt auch unsere eigene Innovationsfähigkeit. Entscheidend für den Erfolg ist dabei natürlich ein erstklassiges  Vertriebsnetzwerk, wie wir es seit fast 50 Jahren mit der Deutschen Vermögensberatung sowie dem führenden deutschen Online-Versicherer CosmosDirekt haben.

Hand aufs Herz, nutzen Sie selber eigene Produkte zur Verbesserung Ihrer Lebensqualität?
Selbstverständlich. Ich nutze seit Jahren Generali Vitality, ein Programm, das Anreize und Tipps für einen gesünderen Lebensstil gibt. Und ich bin ein großer Fan der VitalSigns&Care-App, mit der wir Nutzern die Möglichkeit geben, einfach mit ihrer Smartphone-Kamera ihre Vitalwerte selbst zu überwachen. Und es gibt viele weitere Services, mit denen wir die Lebensqualität  verbessern, auch wenn ich nicht alle derzeit selbst brauche. So nutzen wir gemeinsam mit dem Technologieunternehmen Movendo einen Roboter, mit dessen Hilfe wir das Risiko von Stürzen für ältere Menschen verringern. Und mit „Gute Nacht“ einem digitalen, auf der kognitiven  Verhaltenstherapie basierenden Training, verhelfen wir Menschen zu einem besseren Schlaf. Wir begleiten also Menschen ihr Leben lang, haben viele Kenntnisse über ihre Gesundheit, ihr Eigentum, ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche, sie vertrauen uns ihre Daten und ihr Geld an. So können wir ihnen Dienstleistungen anbieten, die sicherere, gesündere und nachhaltigere Entscheidungen fördern.

Und das eben als verantwortungsvolles europäisches Unternehmen. Diesen Aspekt müssen wir  unseren Kunden mehr vermitteln, damit sie sich auch in Zukunft für uns entscheiden. Aber auch den politischen Instanzen, die uns den regulatorischen Freiraum geben sollten, damit wir innovative Produkte anbieten und schnell auf Kundenanforderungen reagieren können.

Corona hat in vieler Hinsicht offenbart, was auf unserem Kontinent gut läuft, aber vor allem, wo wir einen enormen Sprung nach vorne machen müssen.

Sie fördern nachhaltiges Verhalten bei Ihren Kunden. Was tut die Generali selbst?
Im Laufe unserer 190-jährigen Geschichte haben wir unsere Verantwortung für die Gesellschaft immer ernst genommen. Durch die Pandemie sind Gemeinschaften und Familien unter Druck geraten und wachsender Ungleichheit ausgesetzt. Hier haben wir unseren Kunden finanzielle Unterstützung gegeben, auch wenn diese nicht im Versicherungsvertrag enthalten war. Und der Klimawandel führt zu bislang ungekannten Krisen von extremen Hitzewellen bis hin zu katastrophalen Überschwemmungen, wie wir sie jüngst auch in Deutschland schmerzlich erlebt haben. Der Bericht des Weltklimarats (IPCC) belegt erneut, dass die Zeit für die Rettung der Umwelt und damit die Rettung unseres Erbes für nachfolgende Generationen abläuft. Deshalb verstärken wir jetzt unsere Anstrengungen und haben uns innerhalb des aktuellen Strategieplans klare und ehrgeizige Ziele gesetzt. So wollen wir beispielsweise unsere grünen und sozialen Produkte deutlich steigern und 4,5 Milliarden Euro in grüne und nachhaltige Anlagen investieren. Zudem ist es uns wichtig, Anreize für unsere Kunden zu nachhaltigem Handeln zu setzen. Deshalb haben wir zum Beispiel gemeinsam mit der Wirtschaftswoche und dem Bundesverband mittelständischer Wirtschaft den Sustainable Impact Award, kurz SIA, ins Leben gerufen, der sich speziell an kleine und mittelständische Unternehmen mit einer nachhaltigeren Orientierung richtet. Denn der Mittelstand hat als Rückgrat der deutschen Wirtschaft eine besondere Bedeutung für die Zukunft der Wirtschaft.

Welche Chancen ergeben sich Ihrer Ansicht nach aus der Post-Corona-Zeit für die Versicherungsbranche, um langfristigen Erfolg zu sichern?
Die aktuelle Situation bietet eine einmalige Gelegenheit, unsere Prioritäten neu zu bewerten und die Erde und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Politik und Wirtschaft können jetzt einen Aufschwung gestalten, der innovativ und nachhaltig ist. Mit dem Wissen, das wir haben, und den Themen, die wir besetzen, sind wir als Versicherer prädestiniert, um als Partner der Politik eine wichtige Rolle bei der aktiven Gestaltung dieses Wandels zu spielen. Wir stehen vor epochalen Herausforderungen, deren erfolgreiche Bewältigung Mut, Disziplin und den unbedingten Willen erfordert, dieses Ziel zu erreichen. Niemand kann das alleine schaffen, aber es ist möglich, wenn es uns gelingt, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft an einem Strang ziehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Liverani.

Das aktuelle Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Versicherung“ erschienen.

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