Die Geschäftsleiterhaftung des StaRUG

Dr. Ludwig J. Weber, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Das Jahr 2021 hat Neuerungen für die Haftung der Gesellschaftsorgane – insbesondere in der Krise – mit sich gebracht. Neben den Änderungen in der Insolvenzordnung1 ist seit dem 1. Januar 2021 das neue Haftungsregime des StaRUG² zu beachten.

I. Einleitung

Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem StaRUG seine Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1023³ ins nationale Recht  vollzogen. Mit dem StaRUG wurde den betroffenen Unternehmen darüber hinaus auch ein neuer „Werkzeugkasten“ an die Hand gegeben, um auf wirtschaftliche Schwierigkeiten außerhalb eines Insolvenzverfahrens reagieren zu können. Während das Insolvenzrecht bislang vorrangig die Haftungsrealisierung für die Gläubiger im Blick hatte, soll das StaRUG ein modular gestaltetes Hilfsangebot für Schuldner darstellen, indem diese autonom bestimmen können, mit welchen ihrer Gläubiger sie sich – im Wesentlichen nicht öffentlich – restrukturieren möchten. Die weitreichende Gestaltungskompetenz der Schuldner macht es als Gegengewicht erforderlich, diesem Verfahren auch ein eigenes gesetzliches Haftungsregime an die Seite zu stellen. Dieses Haftungsregime differenziert zwischen der reinen Innenhaftung und der Außenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber Dritten.

II. Innenhaftung

§ 43 StaRUG bildet die zentrale Haftungsnorm. Grundvoraussetzung einer Haftung nach dieser Vorschrift ist die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Als Innenhaftung obliegt die Geltendmachung von Haftungsansprüchen allein dem Schuldner. Oftmals wird es in der Praxis so sein, dass erst bei einem Scheitern der Sanierungssache
und einem anschließenden Insolvenzverfahren ein Insolvenzverwalter solche Ansprüche gegen den Geschäftsleiter geltend machen wird.

1. Der gesetzliche Pflichtenrahmen

Das Pflichtenprogramm der Geschäftsleiter und das daran anknüpfende Haftungsregime richtet sich ausschließlich an die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Schuldner. Soweit daneben auch die Haftung von Kontrollgremien, wie z.B. einem Aufsichtsrat, in Betracht kommt, richtet sich diese nach den allgemeinen Vorschriften der § 116 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 2 S. 1, 2 AktG, wenn sie schuldhaft nicht darüber wachen, dass die Geschäftsleiter ihren Pflichten nach § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG nachkommen. Auf eine ausdrückliche Haftungsregelung für Überwachungsorgane hat der Gesetzgeber des StaRUG bewusst verzichtet.

Als Ausfluss des Legalitätsprinzips⁴ verpflichtet § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG die Geschäftsleiter darauf zu achten, dass das betroffene Unternehmen die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Dieser Sorgfaltsmaßstab für Unternehmen und Geschäftsleiter ist nicht neu, sondern entspricht in weiten Teilen den allgemeinen Sorgfaltspflichten von GmbH-Geschäftsführern (§ 43 Abs. 1 GmbHG) und Vorständen (§ 93 Abs. 1 AktG). Aufgrund der weitreichenden Verpflichtung der Schuldner, die Gläubigerinteressen bereits im außergerichtlichen Sanierungsverfahren zu schützen, haben die Geschäftsleiter wie ein für die Gläubiger tätiger, selbstständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens zu handeln.

Die für sie zu beachtenden Maßstäbe ergeben sich insbesondere aus dem Restrukturierungsplan oder dem Konzept nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG sowie den weiteren Darstellungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StaRUG.

Auch wenn das zugrunde zu legende Interesse der Gläubiger regelmäßig der Erhalt eines zur Befriedigung ihrer Forderungen genügenden Vermögens ist⁵, enthält § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG kein striktes Zahlungsverbot.⁶ Hierin liegt gerade der Reiz und die Chance des außergerichtlichen Sanierungsverfahrens. Die Geschäftsleiter haben sich also gerade nicht so zu verhalten, als sei ihr Unternehmen bereits insolvenzantragspflichtig. Nur soweit sich abzeichnet, dass das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet werden könnte, sind ggf. Maßnahmen zur Massesicherung zu ergreifen.

Tritt während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, haben die Geschäftsleiter die Anzeigepflichten des § 42 Abs. 1 StaRUG zu erfüllen, deren Missachtung mit Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert ist. Überdies gilt in diesem Fall auch das Zahlungsverbot des § 15b InsO mit der Folge, dass Geschäftsleiter für verbotene Zahlungen persönlich voll und unbeschränkt haften.

Da ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache den Schuldner – und damit die Geschäftsleiter – die gesetzliche Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen trifft, dürfen die Geschäftsleiter weder aus eigenem Antrieb noch auf Weisung der Gesellschafter hin von § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG abweichen.⁷ Auch ein Verweis auf die business
judgement rule ist den Geschäftsleitern grundsätzlich verwehrt, da die Entscheidung für oder gegen die Befolgung der Schuldnerpflichten aus § 32 Abs. 1 S. 1 StaRUG keine unternehmerische Entscheidung ist. Allenfalls ist den Geschäftsleitern bei unklarer Rechtslage oder alternativen Handlungsoptionen im Hinblick auf die Auswahl der gebotenen Handlung ein gewisses Auswahlermessen einzuräumen.⁸ Geschäftsleitern, die vor einer solchen Entscheidung stehen, ist wie für das gesamte außergerichtliche Sanierungsverfahren anzuraten, sowohl ihre Aufklärungsbemühungen, die Einbindung sachverständiger Dritter als auch ihre Entscheidungsfindung zu dokumentieren.

2. Verschuldensmaßstab
Die Geschäftsleiter haften für schuldhaftes Handeln oder Unterlassen und haben damit Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Sind mehrere Geschäftsleiter bestellt, haften diese gesamtschuldnerisch.

Wichtig für die Praxis ist hierbei, dass den Anspruchsteller nur die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass ihm durch das Handeln der Geschäftsleiter in deren Pflichtenkreis ein Schaden entstanden ist.⁹ Demgegenüber enthält § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG die gesetzliche Vermutung des Verschuldens zu Lasten der Geschäftsleiter. Eine Exculpation ist den Geschäftsleitern danach nur möglich, wenn sie darlegen und beweisen können, dass sie pflichtgemäß gehandelt haben oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln entstanden wäre.

3. Schadensumfang und Haftungsfreistellung
Die Schadensersatzpflicht nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG erstreckt sich auf den sogenannten Quotenschaden, also die Minderung des haftenden Schuldnervermögens. Der Schuldner kann sich hinsichtlich des Vorliegens und der Höhe des Schadens sowie für der haftungsausfüllenden Kausalität10 auf die Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 1 ZPO berufen.11

Ebenfalls für die Praxis von Bedeutung dürfte sein, dass Ansprüche nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG nicht zur Disposition des Unternehmens stehen. Ein Verzicht auf den Schadensersatzanspruch durch die Gesellschafterversammlung des betroffenen Unternehmens scheidet danach aus. Entsprechendes gilt auch für einen diesbezüglichen Vergleich, sofern nicht die Ausnahmen in § 43 Abs. 2 S. 2 StaRUG Anwendung finden. Danach soll unter Berücksichtigung der jeweiligen Leistungsfähigkeit der Geschäftsleiter eine praktikable Lösung ermöglicht werden, die für die Gläubiger wirtschaftlich sinnvoll ist und folglich dem Interesse ihrer bestmöglichen Befriedigung dient.

III. Außenhaftung
Eine Außenhaftung der Geschäftsleiter im außergerichtlichen Sanierungsverfahren ist im StaRUG nur in § 57 geregelt. Sofern Gläubiger infolge einer durch schuldhaft falsche Angaben des Geschäftsleiters erwirkten Stabilisierungsanordnungen oder durch die nicht ordnungsgemäße Behandlung von Verwertungserlösen einen Schaden erleiden, sollen die verantwortlichen Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Schuldner hierfür haften. Eine solche Ausnahme vom Prinzip der reinen Innenhaftung ist erforderlich, da insoweit – trotz oder gerade wegen ggf. vorhandener Vorteile für die Gläubigergesamtheit – einzelne Gläubiger individuelle Schäden erleiden können.

IV. Fazit
Die Haftung der Geschäftsleiter nach den Vorschriften des StaRUG ist im Wesentlichen auf die verfahrensbezogene Innenhaftung beschränkt. Die anfänglichen Befürchtungen einer ausufernden Haftung ab drohender Zahlungsunfähigkeit haben sich damit nicht realisiert. Der zu beachtende Pflichtenkanon der Geschäftsleiter dürfte damit den Bemühungen um eine Sanierung betroffener Unternehmen bereits in einem frühen Krisenstadium nicht im Wege stehen.

1 Dabei ist insbesondere die Einführung der neuen Haftungsvorschrift des § 15b InsO, der die ehemaligen rechtsformspezifischen Haftungsnormen des GmbH-, Aktien- und Genossenschaftsrechts in der Insolvenzordnung zusammenfasst und ersetzt, zu nennen. Der Anwendungsbereich der Haftungsvorschriften der Insolvenzordnung beginnt jedoch erst ab Vorliegen eines zwingenden Insolvenzgrundes.
2 Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und ‑restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020 (BGBl. I S. 3256).
3 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Eurpäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, Entschuldung und Tätigkeitsverbote sowie Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierung-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren (Restrukturierungsrichtlinie).
4 BT-DrS. 19/25353, 8.
5 StaRUG-RegE, 105.
6 StaRUG-RegE, 105.
7 Vgl. zum Legalitätsprinzip als Grenze der Geschäftsführungsbefugnis Baumbach/Hueck/Beurskens GmbHG § 37 Rn. 24.
8 Vgl. zu § 93 AktG MüKoAktG/Spindler AktG § 93 Rn. 89.
9 Vgl. zur Rechtslage bei GmbH, Genossenschaft und AG: BGH NJW 2003, 358.
10 Musielak/Voit/Foerste ZPO § 287 Rn. 3.
11 BGH NJW 2003, 358.