Die Finanzbranche im Umbruch – Künstliche Intelligenz und die Folgen für den Arbeitsmarkt

Nehir Safak-Turhan

Basisinnovationen und Megatrends haben die Eigenschaft, langfristige, grundlegende Veränderungen in allen Lebensbereichen auszulösen. Künstliche Intelligenz (KI) läutet die nächste Ära einer strukturellen Transformation ein. Die Technologie wird unter anderem Folgen für unsere volkswirtschaftliche Leistungserstellung, das allgemeine Beschäftigungs- und Lohnniveau und somit für den gesamten Arbeitsmarkt haben. Nach Angaben des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil wird es bis spätestens 2035 keinen Arbeitsplatz mehr in Deutschland geben, der ohne die Anwendung von KI auskommt.  Das gilt auch für die Bankenbranche.

Die emotionale Komponente – KI verändert den Blick auf die Arbeit

Die Angst vor der Verdrängung menschlicher Arbeit durch moderne Technologien und die damit verbundene Sorge vor massiven Arbeitsplatzverlusten ist normal. Im Extremfall schwingt die Befürchtung mit, dass durch den zunehmenden Einsatz von KI die menschliche Arbeit vollständig ersetzt wird und der Mensch als Humankapital an Wert verliert. Das ist kein neues Phänomen: Seit der industriellen Revolution vor rund 250 Jahren befinden wir uns in einer globalhistorischen Transformation unserer Arbeitswelt. Durch den technologischen Fortschritt im Bereich der KI gewinnen diese Ängste an neuer Bedeutung, da zusätzlich zu den Möglichkeiten der Automatisierung nun auch die kognitiven Arbeitsleistungen betroffen sind, die zu neuen Veränderungen führen. Dem steht die Hoffnung gegenüber, dass – analog zu vorangegangenen Technologietreibern – neue Tätigkeitsfelder und Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, die Wachstumsimpulse für Investitionen und Beschäftigung nach sich ziehen. Dieser Erwartung stehen fundamentale wirtschaftswissenschaftliche Theorien, etwa der „Theorie der langen Wellen“ nach Kondratjew, und zahlreiche Erfahrungen aus der Historie gegenüber. Diese zeigen, dass für langfristige Wachstums- und Konjunkturimpulse und damit auch für die Entstehung neuer Arbeitsplätze Basisinnovationen und technologischer Fortschritt unentbehrlich sind.

Welche langfristigen Effekte der zunehmende Einsatz von KI auf Beschäftigungsniveau, Lohnentwicklung und Substituierbarkeitspotenziale für menschliche Arbeitsleistungen ausüben wird, ist Bestandteil vieler Forschungstätigkeiten, die aufgrund fehlender Daten und empirischer Erfahrungswerte oft noch in der Anfangsphase stecken. Fakt ist jedoch, dass KI die Arbeitswelt bereits heute verändert und in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Das gilt auch für die Finanzindustrie. Ein Blick darauf, was heute bereits mit KI möglich ist, erweitert die Perspektive.

Das wissen wir heute – KI als Treiber des Wandels

Durch den zunehmenden Reifegrad von KI-Technologien beobachten wir bereits heute, wie konkrete Anwendungsfälle in der allgemeinen Leistungserstellung zum Einsatz kommen. Fortschritte im Bereich der generativen KI spielen dabei eine bedeutende Rolle. Sie zeigen sich in intelligenten Systemen, die menschenähnliche Kreativität abbilden und selbstständig neuartige Inhalte sowie Lösungen generieren können. Diese eröffnen der Automatisierung neue Arbeitsfelder. Durch den schnellen Einsatz der Technologie prognostiziert McKinsey in seiner aktuellen Studie „Global Institute: A new future of work: The race to deploy AI and raise skills in Europe and beyond“ für Europa und den Vereinigten Staaten Produktivitätszuwächse von insgesamt bis zu drei Prozent im Jahr. Die Prämisse: in allen Berufsfeldern werden etwa 27 Prozent der einzelnen Tätigkeiten automatisiert. Unter dieser Annahme müssten etwa 12 Millionen berufliche Veränderungen erfolgen, um die Transformation sicherzustellen. Damit wären bis 2030 etwa ein Drittel der geleisteten Arbeitsstunden durch Technologie und generative KI substituierbar. Für Deutschland würden unter diesem Zukunftsbild bis dahin etwa drei Millionen Berufswechsel zu erwarten sein. Das entspricht etwa sieben Prozent der Gesamtbeschäftigung in Deutschland.

Die größten Veränderungen werden für den deutschen Arbeitsmarkt in der Bewältigung administrativer, wiederkehrender Büro- und Sachbearbeitungsaufgaben (54 Prozent), im Bereich Kundenservice und Vertrieb (17 Prozent) sowie Produktionstätigkeiten (16 Prozent) gesehen. Die tatsächliche Ausschöpfung der Produktivitätspotenziale, sowie der schmerzlose Übergang (Vermeidung strukturelle Arbeitslosigkeit) der Wirtschaft und Gesellschaft in die neue Ära, ist kein Selbstläufer und erfordert einen gesteuerten Übergangsprozess. Sie setzt nicht nur den Einsatz der Technologie und ihre beschleunigte Durchdringung voraus, sondern erfordert auch die Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitskräfte, sowie die Schaffung eines rechtlichen und regulatorischen Rahmenwerks zur Entfaltung des Potenzials.

Der Blick auf den Finanzmarkt

Neue Umfragen und Studienergebnisse der OECD in ihrer Erhebung „Artificial Intelligence in Work, Innovation, Productivity and Skills“ liefern Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen KI auf Organisationen und Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe und der Finanzbranche ausübt. Hierzu wurden über 5.000 Mitarbeitende und mehr als 2.000 Unternehmen in sieben Ländern in einer repräsentativen Umfrage befragt.

Abb. 1: Der häufigste Einsatz von KI in der Finanzindustrie

Etwa 66 Prozent der befragten Unternehmen im Finanzsektor gaben an, dass mit KI Aufgaben automatisiert wurden, die vorher Beschäftigte ausübten. Gleichzeitig berichteten über die Hälfte der Befragten, dass KI neue Aufgaben geschaffen hat, die vorher nicht von Mitarbeitern ausgeführt wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass repetitive und wiederkehrende Arbeiten automatisiert wurden, war doppelt so hoch, als dass sie durch KI neu geschaffen wurden.  Diese Beobachtung wurde von den KI-Nutzern als eine positive Auswirkung von KI auf ihre Leistungen und Arbeitsbedingungen eingestuft, u.a. weil mit dem KI-Einsatz bei 75 Prozent der Beschäftigten das Tempo ihrer Leistungserstellung beschleunigt werden konnte. Etwa 80 Prozent der Nutzer gaben an, dass sich ihre Leistung am Arbeitsplatz durch KI verbessert hat. Lediglich bei 8 Prozent war eine gegenläufige Bewertung zu beobachten.

Auch in Hinblick auf die Arbeitsqualität wurden die Auswirkungen des Einsatzes von KI erfasst. Bei Indikatoren wie Arbeitszufriedenheit, körperliche und psychische Gesundheit sowie faire Behandlung durch Vorgesetzte war der Wert der Verbesserungen der Arbeitsbedingungen bei KI-Nutzern viermal so hoch wie die Zahl, die eine Verschlechterung feststellten. Die Erhebungen belegen damit insgesamt eine höhere Produktivität und eine verbesserte Beschäftigungsqualität der Mitarbeitenden. Gleichzeitig zeigen die Beobachtungen, dass Beschäftigte Bedenken über die Auswirkungen von KI auf ihre Beschäftigungsstabilität und Löhne haben. So blicken etwa 19 Prozent der Mitarbeitenden im Finanzsektor mit großer bzw. sehr großer Sorge darauf, in den nächsten zehn Jahren ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Auch in Bezug auf die Lohnentwicklung wird ein steigender Druck erwartet.

Was bringt die Zukunft?

KI ist kein reines Zukunftsthema, sondern in vielen Unternehmen bereits gelebte Realität. Mit zunehmendem Reifegrad der technologischen Möglichkeiten und industriespezifischen Anwendungsfällen wird sich die Durchdringung in der Wertschöpfung und Leistungserstellung erhöhen. Damit werden unmittelbare Produktivitäts- und Effizienzimpulse mit dem Einsatz von KI möglich. Die Folgen auf Beschäftigung, Substitution menschlicher Arbeitsleistung und dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden zu spürbaren Transformationseffekten führen. Die demographische Entwicklung und der damit einhergehende Fachkräftebedarf in Deutschland werden diesen Wandel beschleunigen. Bereits heute fehlen laut Bundesagentur für Arbeit in rund 200 von 1.200 Berufen Fachkräfte. Bis 2035 werden dem deutschen Arbeitsmarkt durch den demographischen Wandel etwa sieben Millionen Fachkräfte fehlen. Mit Einsatz von KI-Technologien erhofft man sich in Teilen eine Substitutionsmöglichkeit für die Aufrechterhaltung der volkswirtschaftlichen Leistungserstellung. Auch wenn die aktuelle Datenlage noch keine langfristigen Prognosen zulässt, gilt eines als gesichert: KI wird die Zukunft der Arbeit spürbar verändern!