Das analoge Gefechtsfeld ist Geschichte

Der Inspekteur Cyber- und Informationsraum, Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, erklärt, wieso wir auch im Frieden bereits einen Abwehrkampf führen, warum die Bundeswehr digital kriegstüchtig werden muss, um im Gefecht zu bestehen – und was seine Teilstreitkraft dazu beiträgt.

Deutschland steht unter Beschuss. 24 Stunden pro Tag, 7 Tage in der Woche. Nicht von Panzern, nicht von Schiffen oder Flugzeugen, sondern durch Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und Störungen im  elektromagnetischen Umfeld, beispielsweise bei GPS.

Das ist die neue Realität: Auch ohne, dass wir uns im Krieg befinden, versuchen ausländische Mächte, uns  zu schaden. Unseren Zusammenhalt als Gesellschaft zu schwächen. Unser Vertrauen in das Funktionieren  des Staates und seiner Behörden zu untergraben. Unseren Willen zu brechen, zu unseren Werten und zu  unseren Verbündeten zu stehen. Gleichzeitig setzen sie Hacker ein, um geheime Informationen zu  erbeuten, um Zugriff auf unsere kritische Infrastruktur (KRITIS) wie Elektrizitäts- und Wasserwerke zu  erlangen, um die Arbeit unserer Behörden zu behindern.

Deutschland muss sich gegen solche hybriden Angriffe im Cyber- und Informationsraum (CIR) wehren, das ist eine gesamtstaatliche Herausforderung. Die Bundeswehr besitzt nun eine Teilstreitkraft CIR, um auf diesem vergleichsweise jungen militärischen Gefechtsfeld bestehen zu können. Nicht nur in den  Konflikten, die noch kommen werden – sondern vor allem in den Konflikten, die bereits angebrochen  sind.

CIR: Die grenzenlose (militärische) Dimension

Der CIR unterscheidet sich grundlegend von den „traditionellen“ militärischen Dimensionen Land, Luft  und See, denn er kennt keine geographischen Grenzen und Angriffe können binnen Millisekunden auf der anderen Seite des Globus wirken. Herauszufinden, wer hinter einem solchen Angriff steckt, ist schwierig  und langwierig, zumal ein Gegner häufig auf Hacker-Gruppen und Troll-Fabriken zurückgreift, die nicht  notwendigerweise in offizieller Verbindung mit einer Regierung stehen.

Für uns als Verteidiger stellt sich zusätzlich die Herausforderung, dass bei solchen Angriffen eine klare  Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr möglich ist. Deshalb engagieren wir uns  beispielsweise in der Operationszentrale des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)  und im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ) als ressortübergreifendem Projekt.

Denn mit unserem Zentrum für Cyber-Sicherheit (ZCSBw) übernehmen wir zwar sehr erfolgreich  Verantwortung für den Schutz aller IT-Systeme der Streitkräfte, jedoch kann die Verteidigung  Deutschlands im CIR nur als gesamtstaatliche Anstrengung gelingen. Für echte Resilienz muss jeder und  jede Einzelne ebenso wie sämtliche Behörden, Ministerien, Unternehmen und besonders KRITIS-Einrichtungen mitziehen. Als Marineoffizier spreche ich daher gerne von einem „Alle-Mann-Manöver“.

Die Teilstreitkraft CIR kämpft in allen Komponenten ihrer Dimension: im Informationsumfeld, im Cyberraum und im elektromagnetischen Spektrum.

Vizeadmiral Dr. Thomas DaumInspekteur CIR

Der Kampf im CIR

Die Angriffe, die wir täglich im CIR erleben, bewegen sich bislang unterhalb der Schwelle militärischer Gewaltanwendung; falls es jedoch zum offenen Konflikt, zum Krieg mit dem Auslösen der Landes- oder Bündnisverteidigung kommen sollte, sind wir ebenso gewappnet: Das Kommando CIR in Bonn führt dann als Cyber and Information Domain Component Command (CIDCC) den Kampf im CIR mit sogenannten CIR-Operationen. Um beispielsweise gegnerische Desinformation zu kontern, erstellen Kräfte des Zentrums Operative Kommunikation (ZOpKomBw) vor allem digitale Medienprodukte aller Art, die das Verhalten gegnerischer Streitkräfte oder der Bevölkerung im Einsatzland in unserem Sinne beeinflussen  sollen. Expertinnen und Experten vom Zentrum Cyber-Operationen (ZCO) dringen in feindliche IT-Systeme ein, um sie lahmzulegen oder Erkenntnisse über das gegnerische Vorgehen zu sammeln. Soldatinnen und Soldaten der Elektronischen Kampfführung (EloKa) täuschen den Feind durch Falschsignale oder stören seinen Funkverkehr. Die Teilstreitkraft CIR kämpft also in allen Komponenten „ihrer“ Dimension: im Informationsumfeld, im Cyberraum und im elektromagnetischen Spektrum.

Das gläserne Gefechtsfeld

Gerade die EloKa ist heute unverzichtbar, denn im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erkennen  wir, dass das gläserne Gefechtsfeld keine Zukunftsmusik, sondern bereits Alltag ist: Durch Drohnen in  großer Zahl haben beide Seiten ihre Augen sprichwörtlich überall. Dank flächendeckender Anbindung  werden die Drohnenbilder in kürzester Zeit ausgewertet und dann beispielsweise zur Zielzuweisung für  die Artillerie genutzt. Die Konsequenz für die militärische Führung vor Ort ist fatal: Ihr bleibt kaum Zeit,  die Lage zu verstehen, einen Entschluss zu fassen und ihre Truppe entsprechend zu befehligen. Eigene  Kräfte der EloKa verschaffen ihr zwar Zeit, indem sie die von Drohnen genutzten Frequenzen stören und  den Gegner auf diese Weise blind machen – um auf dem gläsernen Gefechtsfeld siegfähig zu sein, reicht  das aber nicht aus.

Die Beschleunigung der Kill Chain

Wir stehen mit dem Gegner in einem Wettlauf entlang der Kette vom Sensor, der einen Feind entdeckt,  über den Entscheider, der den Einsatz führt, bis zum Effektor, der das Ziel schließlich bekämpft. Wenn wir  gewinnen wollen, müssen wir diese Kette, die sogenannte Kill Chain, beschleunigen. Das Ziel: schneller  Bescheid wissen, bessere Entscheidungen treffen, den Gegner schlagen. Oder militärischer:  Informationsüberlegenheit muss zu Führungsüberlegenheit und letztlich zu Wirkungsüberlegenheit führen. Es galt schon immer: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf.

Der Weg zu diesem Ziel heißt Multi Domain Operations (MDO): Mit einer durchgehenden digitalen  Anbindung werden alle Sensoren von der Drohne in der Luft bis zum Soldaten auf dem Gefechtsfeld  vernetzt und tragen zu einem gemeinsamen Echtzeit-Lagebild bei. Auf dieser Grundlage kann die  Führung dann das geeignetste militärische Mittel für den gewünschten Effekt auswählen und  beauftragen.

Die Voraussetzungen liefert die Teilstreitkraft CIR: Soldatinnen und Soldaten des Militärischen  Nachrichtenwesens (MilNW) sammeln beispielsweise mit Satellitenaufklärung oder dem Abhören von  Funkverkehr Informationen über den Gegner und fassen sie im Joint Intelligence Center (JIC) mit den  Erkenntnissen der Sensoren von Heer, Luftwaffe und Marine zu einem aktuellen, streitkräftegemeinsamen  Lagebild zusammen. Denn nur wer Position, Stärke und Absicht des Feindes kennt, kann ihm einen Schritt  voraus sein.

Für das Übermitteln dieser Informationen sorgen unsere IT-Kräfte. Beispielsweise mit  Satellitenkommunikation und Bündelfunk gewährleisten sie, dass die Bundeswehr im Einsatz abhörsicher  kommuniziert. Dabei sind sowohl für die Aufklärung als auch für die Kommunikation Satelliten  entscheidend. Mit ihnen leisten wir im CIR die Einsatzunterstützung aus dem Weltraum (EinsUstgWR) für  die Bundeswehr.

Informationsüberlegenheit muss zu Führungsüberlegenheit und letztlich zu Wirkungsüberlegenheit führen.

Vizeadmiral Dr. Thomas DaumInspekteur CIR

Die Treiber der Digitalisierung

Für die Vernetzung aller Sensoren und Effektoren im Gefecht ist noch mehr nötig: So wird eine  Bundeswehr-Cloud den Datenaustausch der Streitkräfte optimieren. Und weil Daten nicht in den Wolken,  sondern ganz irdisch auf Servern liegen, wird diese Cloud durch einen Rechenzentrumsverbund (RzV)  realisiert.

Um miteinander zu reden, bedarf es neben eines Kanals einer gemeinsamen Sprache. Das gilt auch für  Waffensysteme, das Konzept von Software Defined Defence (SDD) stellt daher in den Vordergrund, in  einheitlichen Datei-Formaten über standardisierte Schnittstellen zu kommunizieren und so ein  übergreifendes System zu bilden. Doch erst die Integration von Artificial Intelligence (AI) wird schließlich  zum wahren Beschleuniger, denn beispielsweise bei der Auswertung umfangreicher Sensordaten erreicht  sie ein Vielfaches der menschlichen Leistungsfähigkeit.

Dank weiterer Vorhaben von der nächsten Stufe unserer Satellitenkommunikation (SatComBw) über das  Tactial Wide Area Network (TaWAN) und den Kurzwellen-Kommunikationsverbund (KwKomVb) bis hin zum Projekt Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) erreichen wir in den kommenden Jahren  einen durchgängigen Informations- und Kommunikationsverbund vom Rechenzentrum in Deutschland  bis zum Gefechtsfahrzeug im Einsatz, eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verbindung (E2E).

Vorangetrieben wird dies im Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr und Fähigkeitsentwicklung CIR (ZDigBw). Hier sitzen die Architektinnen und Architekten der digitalen Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr  und erschließen ingenieurmäßig neue Technologien, die helfen werden, den Wettlauf auf dem gläsernen  Gefechtsfeld zu gewinnen.

Fazit und Ausblick

Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf. Das stimmte vor 100 Jahren und das  stimmt auch heute. Doch heute braucht es dazu vor allem Vernetzung, denn schneller schießt nur  derjenige, der die Kette vom Sensor über den Entscheider bis zum Effektor schneller durchläuft.

Die Teilstreitkraft CIR ist daher nicht nur bereit, das Gefecht in ihrer Dimension zu führen und so  Deutschland im CIR zu verteidigen. Wir arbeiten zugleich daran, die Bundeswehr gemeinsam mit den  anderen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen digital kriegstüchtig zu machen, damit wir auch in  Zukunft technisch siegfähig bleiben. Denn nur dann bieten wir eine glaubhafte Abschreckung, die unsere  Gegner davor zurückschrecken lässt, uns überhaupt erst herauszufordern.

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Sicherheit und Verteidigung vom 04.02.2025

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