Änderungen im Vertriebskartellrecht

Das Kartellrecht wird derzeit in vielen Bereichen geändert. So hat die Kommission gerade den Entwurf der neuen Horizontal- Leitlinien vorgelegt. Darin werden die Grundlagen definiert für Wettbewerber-Kooperationen wie etwa Einkaufsgemeinschaften oder F&E-Vereinbarungen. Auch finden sich dort die Kriterien zur Bewertung eines Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern. Diese neuen Leitlinien werden zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Bereits vorher wird die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Vertikal-GVO) in Kraft treten, nämlich bereits am 1. Juni 2022. Die GVO und die zugehörigen Leitlinien bewerten Beschränkungen im Vertrieb wie etwa Exklusivität, Wettbewerbsverbote, Gebietsbeschränkungen, Plattformverbote oder Einflussnahmen auf den Preis durch Preisbindung oder UVP.

Für die Geschäftsführung eines Unternehmens gehört es zu den unternehmerischen Organisationspflichten, die Compliance-Maßnahmen wie Trainings entsprechend zu aktualisieren. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen zu erwartenden Themen. Die endgültige Fassung der neuen Vertikal-GVO lag aber noch nicht vor.

Beschränkungen in Vertriebsverträgen weiter möglich

Grundsätzlich werden auch nach der neuen Vertikal-GVO viele Beschränkungen in Vertriebsverträgen freigestellt sein, soweit der Marktanteil der beiden Unternehmen 30% nicht überschreitet. Je nach Art der Beschränkung sind zusätzliche Bedingungen an eine Freistellung geknüpft.

Eine Beschränkung wie etwa die Zusage des Lieferanten, nur einen Händler in einem Gebiet zu beliefern, wird weiter ohne zusätzliche Bedingungen zulässig sein. Ein Wettbewerbsverbot, also eine Zusage des Händlers, nur bei einem Lieferanten zu kaufen, ist hingegen auf 5 Jahre zu begrenzen.

Vorgaben zum Vertriebsgebiet des Händlers werden weiter nur in sehr engen Grenzen vereinbart werden und gelten bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben als schwerwiegende Kartellrechtsverstöße. Beschränkungen des Händlers, seine Weiterverkaufspreise frei zu setzen (sog. Preisbindung der zweiten Hand, „Resale Price Maintenance“), gelten weiterhin als schwerwiegende Kartellrechtsverstöße. Ausnahmen sind hier die Angabe von unverbindlichen Preisempfehlungen oder die Festsetzung von Höchstpreisen.

Die wesentlichen Änderungen bzw. Klarstellungen fassen wir nachfolgend zusammen.

Laufzeit von Wettbewerbsverboten

Bisher waren Wettbewerbsverbote, deren Dauer sich über den Zeitraum von fünf Jahren stillschweigend verlängern konnten, nicht freigestellt, auch wenn sie zunächst auf 5 Jahre begrenzt waren. Dieses wird nun geändert. Die stillschweigende Verlängerungsmöglichkeit wird künftig freigestellt, soweit der Abnehmer die Vereinbarung mit angemessener Kündigungsfrist (und bei angemessenen Kosten) wirksam neu aushandeln oder kündigen kann. Die sog. Evergreen-Klausel führt also künftig nicht mehr zur Nichtigkeit der Vereinbarung zur Dauer.

Alleinvertrieb

Beim Alleinvertrieb weist der Anbieter ein Gebiet oder eine Kundengruppe sich selbst oder einem Abnehmer oder einer begrenzten Zahl von Abnehmern exklusiv zu und beschränkt den aktiven Verkauf durch andere Abnehmer. Bisher war nach dem Wortlaut nur der Schutz eines Händlers pro Gebiet möglich. Künftig können mehrere Händler in einem Gebiet bzw. für eine Kundengruppe vor Aktivverkäufen anderer Händler geschützt werden. Die zulässige Höchstzahl der geschützten Händler pro Gebiet oder Kundengruppe wird sich nach dem erforderlichen Schutz ihrer Investitionen bestimmen. Die Freistellung der Zuweisung des Gebietes oder der Kundengruppen an mehrere Abnehmer bedarf einer Einzelfallbeurteilung. Außerdem wird eine „Weiterreichung“ der Verpflichtung der Abnehmer zu Kunden- oder Gebietsbeschränkungen ermöglicht.

Neu ist auch, dass nunmehr die Reservierung von Gebieten und Kundengruppen ohne zeitliche Beschränkung möglich sein soll.

Ein Händler könnte jetzt die Kundengruppen quasi freihalten, ohne die Aufnahme der Bedienung dieser Gruppe zeitlich schon geplant zu haben. Über die Reservierung sollte der Anbieter seine anderen Vertriebshändler informieren.

Selektivvertrieb

Der Selektivvertrieb ist ein Vertriebssystem, bei dem sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden. Die Waren oder Dienstleistungen dürfen nicht an Händler verkauft werden, die innerhalb des Vertriebssystems nicht zum Vertrieb zugelassen sind.

In diesem Bereich besteht nun keine Gleichwertigkeit von Online- und Offline-Handel mehr. Aufgrund der Verschiedenheit der Vertriebsarten kann ein Anbieter seinen Vertragshändlern für den Online-Verkauf Kriterien auferlegen, die nicht identisch sind mit den Kriterien für stationäre Verkäufe, z.B. kann er spezifische Anforderungen für Online-Verkäufe aufstellen, wie die Einrichtung und den Betrieb eines Online-Helpdesks für den Kundendienst, die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die Rücksendung des Produkts durch den Kunden oder die Verwendung sicherer Zahlungssysteme.

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass ein Totalverbot der Nutzung des Online-Handels unzulässig ist. Auch dürfen die Kriterien keinem Totalverbot gleichkommen.

Eine Kombination des Selektivvertriebs mit dem Alleinvertrieb darf nicht innerhalb desselben Gebietes erfolgen. Der Anbieter kann dem Alleinabnehmer aber den aktiven oder passiven Verkauf an nicht zugelassene Händler in einem Gebiet untersagen, in dem der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt.

Der Anbieter darf dem Abnehmer außerdem untersagen, aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler zu verkaufen, die sich in einem Gebiet befinden, das er für den Betrieb eines solchen selektiven Vertriebssystems reserviert hat.

Online-Vertrieb

Der Vertriebsweg des Online-Handels darf grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Totalverbote sind unzulässig. Im Bereich des Online-Handels kann künftig ein bestimmter Anteil von Offlineverkäufen gefordert werden, solange dies nicht einem Totalverbot gleichkommt. Weitere Themen zum Online-Vertrieb:

  • Preisvergleichsmaschinen: Verbote, generell die Funktionalitäten von Preisvergleichsmaschinen zu nutzen bzw. Informationen an sie weitergeben, sind unzulässig.
  • Drittplattformverbote: Die Nutzung von Drittplattformen, wie z.B. eBay oder Amazon, darf künftig vertraglich verboten werden.
  • Abweichende Qualitätsanforderungen zwischen Online- und Offline Handel: Diese sind möglich, zum Beispiel Mindestgröße des Geschäfts, Einrichtung des Geschäfts, Erscheinungsbild der Website oder Produktpräsentation.

Doppelpreissysteme

Hersteller dürfen künftig unterschiedliche Preise für Online- und Offline-Verkäufe setzen. Hierbei muss eine Verbindung zu den Investitionen des Händlers bestehen. Z.B. stellt die Unterhaltung einer Verkaufsfläche eine Investition dar, da hierbei mehr Kosten entstehen als bei einem Online- Verkauf unmittelbar aus dem Lager. Dies kann rechtfertigen, dass dem Online- Verkäufer ein höherer Preis auferlegt wird als dem Offline-Verkäufer. Dies bedarf einer Begründung, wodurch die Dokumentation der Erwägungen von besonderer Bedeutung ist. Anders wird nicht nachweisbar sein, wie das Doppelpreissystem entstanden und aus welchem Grund dies gerechtfertigt ist.

Paritätsklauseln

Paritätsverpflichtungen, die Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten veranlassen, Waren oder Dienstleistungen Endverbrauchern nicht unter Inanspruchnahme konkurrierender Online-Vermittlungsdienste zu günstigeren Bedingungen weiterzuverkaufen, sollen nicht freigestellt sein. Die Leitlinien enthalten weitere Vorgaben zu Paritätsklauseln.

Hybridplattformen von Vertikal-GVO ausgenommen

Hybridplattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst Eigenhandel über die Plattform betreiben und daher mit den Unternehmen konkurrieren, für das sie gleichzeitig Plattformdienste erbringen. Sie können daher, so die Kommission, in erheblicher Weise horizontale Wettbewerbsprobleme aufwerfen. Eine generelle Freistellung nach der Vertikal-GVO soll daher nicht gelten. Hybride Plattformen müssen im Einzelfall prüfen, ob das Geschäftsmodell horizontale und/oder vertikale Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt oder bewirkt. Insbesondere sind unter Umständen angemessene organisatorische Vorkehrungen, wie z.B. Chinese Walls, zu treffen, damit kein unzulässiger Informationsaustausch zwischen dem Eigenhandel der Plattform und den teilnehmenden Händlern stattfindet.

Mindestwerbepreise

Eine isolierte Mindestpreisvorgabe für die Werbung soll künftig noch keine verbotene Preisbindung darstellen. Der Verkauf unterhalb des UVP oder eines anderen Mindestpreises kann hingegen nicht untersagt werden.

Fulfilment-Verträge

Zudem werden auch Preisstellungen in Fulfilment-Verträgen künftig freigestellt. Fulfilment-Verträge sind Vereinbarungen zwischen dem Hersteller und Händler, denen Verträge mit Endverbrauchern zugrunde liegen, für deren Erfüllung nur noch ein Händler zur Abwicklung benötigt wird. Die Festsetzung des Weiterverkaufspreises wird künftig erlaubt sein, sofern der Endverbraucher auf sein Recht zur Auswahl des Händlers zur Vertragserfüllung verzichtet hat. Hat der Endverbraucher jedoch nicht auf dieses Recht verzichtet, kann der Lieferant nur einen Höchstpreis für den Weiterverkauf festsetzen, um einen Preiswettbewerb bei der Ausführung der Vereinbarung zu ermöglichen.

Dualer Vertrieb

Dualer Vertrieb bedeutet, dass der Anbieter auf dem nachgelagerten Einzelhandelsmarkt in Wettbewerb zu seinen Händlern tritt. Hier sollen künftig strengere Reglungen gelten, insbesondere im Hinblick auf den Informationsaustausch. Hier werden Unternehmen je nach Konstellation Chinese Walls einsetzen.

Handelsvertreter

Es ist kartellrechtlich entscheidend, ob ein Vertriebspartner als Handelsvertreter operiert oder als Händler. Dem eigenen Handelsvertreter darf ein Hersteller beispielsweise die Preise vorschreiben, dem Händler aber nicht. Die Kommission stellt hier beispielsweis klar, dass künftig der zwischenzeitliche Erwerb des Eigentums nicht der Eigenschaft als Handelsvertreter entgegenstehen wird. Außerdem erläutert die Kommission, dass Handelsvertreter mit Doppelprägung zulässig sind (jedenfalls zu unterschiedlichen Produkten). Das bedeutet, der Handelsvertreter wird für einen Hersteller sowohl als Handelsvertreter als auch als Händler tätig.