Abwehrkosten aus der D&O-Versicherung im Wegeder einstweiligen Verfügung?

Wird ein Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer in die Haftung genommen, kommen auf diesen häufig, wenn es um hohe Forderungen geht, erhebliche Kosten für die Verteidigung und Abwehr zu. Mit dem Deckungsschutz aus einer D&O-Versicherung kann er sich effektiv zur Wehr setzen. Daher bieten alle D&O-Versicherer Deckungskonzepte an, die auch die sog. Abwehrkosten umfassen. Nach den in der Praxis üblichen D&O-Versicherungsbedingungen wird hierbei auch vorläufig Kostendeckung gewährt, wenn dem betreffenden Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer (Geschäftsleiter) eine vorsätzliche Schadensherbeiführung oder eine wissentliche Pflichtverletzung vorgeworfen wird. Der Versicherer geht insoweit in Vorleistung. Wird aber am Ende die versicherte Person wegen einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung oder einer wissentlichen Pflichtverletzung verurteilt, sind die bereits durch den Versicherer geleisteten Beträge meist zurückzuzahlen. Diese vorläufige Gewährung von Abwehrkosten ist jedenfalls in der typischen Konstellation erforderlich, in der dem Organmitglied Vorsatz oder Wissentlichkeit vorgeworfen wird, dieser jedoch diesen Vorwurf bestreitet. Klauseln, die vorläufig Abwehrdeckung gewähren, unterscheiden sich im Detail, eine solche Klausel lässt sich z.B. wie folgt formulieren:

Ist die wissentliche Pflichtverletzung streitig, besteht Versicherungsschutz für die Abwehrkosten, solange die wissentliche Pflichtverletzung nicht rechtskräftig festgestellt ist. Erfolgt eine solche Feststellung, entfällt der Versicherungsschutz rückwirkend und dem Versicherer sind die bis dahin von ihm aufgewandten Kosten zurückzuerstatten.

Etwas differenzierter und strenger, weil der Versicherungsschutz „automatisch“ rückwirkend wegfällt und deutlich wird in welchem Gerichtsprozess die Feststellung zum Vorsatz getroffen werden kann, ist folgende Fassung:

Versicherungsschutz für Abwehrkosten besteht unter der auflösenden Bedingung, dass der Vorsatz der Pflichverletzung nicht durch gerichtliche, behördliche oder schiedsgerichtliche Entscheidung, Vergleich oder Anerkenntnis rechtskräftig festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung entfällt der Versicherungsschutz rückwirkend und die vom Versicherer erbrachten Leistungen sind in voller Höhe zurückzuerstatten. Eine solche Feststellung kann in einem Haftpflicht- oder Deckungsprozess erfolgen.

In dem Verfahren, das den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. Markus Braun der Wirecard AG betraf, hatte das OLG Frankfurt1 folgende Klausel aus dem D&O-Versicherungsvertrag zu beurteilen, bei der auf die Rückforderung von Verteidigungskosten sogar verzichtet wurde und damit der Versicherungsschutz nur für die Zukunft entfiel:

Im Zweifel über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung wird der Versicherer Verteidigungskosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder einer vorsätzlichen Pflichtverletzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen. Der Versicherer verzichtet im Fall der Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung gegenüber den versicherten Personen auf eine Rückforderung bereits geleisteter Verteidigungskosten.

Im Fall Wirecard bestritt der ehemalige Vorstandsvorsitzende von den Scheinumsätzen gewusst zu haben, die zur Insolvenz der AG führten. Der Versicherer war hingegen davon überzeugt, dass Herr Dr. Braun Kenntnis hatte. Der Versicherer ging aber noch einen Schritt weiter: Er erklärte die Anfechtung des D&O-Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung und meinte nun, der Vertrag sei nichtig, weshalb es schon deshalb keine vorläufige Abwehrdeckung gebe. Diese vorläufige Abwehrdeckung versuchte der Ex-Vorstands-Vorsitzende nunmehr per einstweiliger Verfügung durchzusetzen. Hiermit war Herr Dr. Braun vor dem OLG Frankfurt erfolgreich.

Der Ex-Vorstandsvorsitzende trug vor, wegen dinglicher Arreste nicht an sein Vermögen zu gelangen, weshalb er insbesondere Anwaltskosten für seine Vertretung nicht aufbringen könne.2 Der Versicherer wendete ein, dass die Finanzberichte der Wirecard AG seit 2015 wegen der Einbeziehung angeblicher Umsatzerlöse aus TPA-Geschäften (Drittpartnergeschäft = Third Party Acquiring, kurz TPA) unzutreffend gewesen seien und die wirtschaftlichen Verhältnisse falsch darstellten. In Asien, wo Wirecard keine eigenen Lizenzen hatte, sollte das Geschäft über Drittpartner abgewickelt werden, die es aber nicht gab, zumindest nicht die Erlöse bzw. Umsätze. Markus Braun bestritt dies bzw. dies gewusst zu haben. Der Versicherer hat den kompletten D&OVersicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und berief sich auf eine Nichtigkeit des Vertrags.3

Es stellte sich die Frage, ob, solange wie die Nichtigkeit des Versicherungsvertrags oder die Auswirkungen dieser Nichtigkeit auf den Versicherungsschutz für das einzelne Organmitglied im Streit sind und solange wie ein Vorsatz oder eine Wissentlichkeit des Geschäftsleiters nicht rechtskräftig festgestellt wurden, einstweilen Abwehrkosten zu gewähren sind. Markus Braun trug vor4, er habe Anfang Juli 2020 einen Vorschuss an seine Anwälte in Höhe von 290.000 Euro gezahlt, der zum Stichtag 14.10.2020 bis auf 45.149,99 Euro aufgebracht worden sei. Aufgrund der anhängigen Zivilverfahren seien bislang vorzuschießende Anwaltsgebühren in Höhe von 388.556,12 Euro angefallen. Eine Klage gegen die Wirecard AG wegen der Kündigung seines Dienstvertrages könne er mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht erheben; ebenso werde er sich nicht gegen sich bereits konkret abzeichnende Organhaftungsansprüche wehren können. Die Klageerwiderung in dem Musterverfahren vor dem Landgericht könne nicht gefertigt werden; ebenso könne er lediglich gegen drei der zahlreichen Arreste und Pfändungen, die allesamt in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Wirecard AG stehen würden, Widerspruch einlegen. Hier wäre im Einzelnen zu prüfen, welche Kosten zu den versicherten Abwehrkosten gehören und in welcher Höhe eine sofortige Leistung zur Abwendung einer existenzgefährdenden Notlage erfolgen muss. Wichtig ist zudem der Verfügungsanspruch, der voraussetzt, dass der Anspruchsteller im Hauptsacheverfahren mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiegen wird.5

Das OLG Frankfurt sah hier keinen ausreichenden Gegenvortrag des Versicherers zur Wissentlichkeit, sodass es die einstweilige Verfügung erließ. Jeder Einzelfall ist gesondert zu beurteilen.

Zu folgen ist der Feststellung des OLG, dass jedenfalls dann, wenn der Sachverhalt, auf den die Anfechtung des Versicherungsvertrags gestützt wird − hier die Einbeziehung von Scheinumsätzen in den Jahresabschlüssen − , auch für die vorsätzliche Schadensherbeiführung bzw. wissentliche Pflichtverletzung angeführt wird, sich der Versicherer nicht auf die Nichtigkeit des Versicherungsvertrags berufen kann. Ist also der Sachverhalt, der für den Wegfall des Versicherungsschutzes wegen vorsätzlicher Schadensherbeiführung bzw. wissentlicher Pflichtverletzung herangezogen, wird, auch Gegenstand der Arglistanfechtung, bleibt die vorläufige Deckung erhalten, jedenfalls solange keine rechtskräftige Verurteilung zu diesem streitbefangenen vorsätzlichen Verhalten vorliegt.6 Die dogmatische Begründung hierfür ist nicht eindeutig. Die in der Praxis vereinbarten Bedingungen ordnen zwar an, dass bei einer Arglistanfechtung des Versicherungsvertrags die Arglist des einen Organs nicht dem anderen zugerechnet wird, über die Rechtsfolgen wird allerdings gestritten.

Eine Klausel in den D&O-Versicherungsbedingungen kann wie folgt formuliert sein:

Tritt der Versicherer wegen der Verletzung von Anzeigepflichten vom Versicherungsvertrag zurück oder erklärt er die Anfechtung seiner auf Vertragsabschluss oder -verlängerung gerichteten Willenserklärung und sind die Umstände, die den Versicherer zum Rücktritt oder zur Anfechtung berechtigen, einer versicherten Person nicht bekannt gewesen, so sind der Rücktritt und die Anfechtung dieser versicherten Person gegenüber unwirksam, wenn die versicherte Person in Anspruch genommen wird.

Hat also etwa einer von drei Vorstandsmitgliedern falsche Angaben getätigt und ficht daraufhin der Versicherer den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an, hat der betreffende Vorstand, der die Angaben fehlerhaft getätigt hat, keinen Versicherungsschutz, wohl aber die beiden anderen Vorstandsmitglieder. Ob dieser Verzicht am Ende standhält, ist nicht abschließend geklärt. So wird erörtert, dass der Versicherer ggf. gar nicht wirksam bei Arglist auf sein Anfechtungsrecht verzichten könne.7 Sollte man diesem Argument folgen, dürfte es indes treuwidrig sein, wenn der Versicherer sich gegenüber dem nicht arglistig handelnden Organmitglied darauf beruft. Die Ansicht, dass ggf. mit der Klausel ein Anspruch des nicht arglistig handelnden Organmitglieds auf Abschluss eines „Schattenvertrags“8 zu demselben Bedingungswerk besteht, ist eine erwägenswerte Lösung. Das OLG Düsseldorf hat indes in der sog. Comroad-Entscheidung die Ansicht vertreten, dass diese Klausel nur die Zurechnung zwischen den versicherten Personen betrifft, aber nicht verhindert, dass die Arglist des Organs der Versicherungsnehmerin zuzurechnen ist. Damit läge eine Arglist der Versicherungsnehmerin selbst vor, die gemäß § 16 ff. VVG den Versicherer zur Anfechtung mit der Folge berechtigte, dass trotz der Klausel auch eine redliche versicherte Person keinen Versicherungsschutz hat.9 Besser vertretbar ist indes eine Auslegung, wonach die Parteien mit einer solchen Vereinbarung auch die mittelbare Zurechnung über die Gesellschaft ausschließen wollten, so dass der redlich Versicherte weiterhin Versicherungsschutz genießt.

1 OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.12.2021, 7 w 29/20, juris, Rn. 70.
2 Siehe OLG Frankfurt Beschl. v. 11.12.2020 – 7 W 29/20, juris.
3 OLG Urt. v. 7.7.2021 -U 19/21, juris.
4 OLG Urt. v. 7.7.2021 -U 19/21, juris.
5 LG Frankfurt Urt. v. 18.1.2021 – 2-08 O 320/20, r+s 2021, 395.
6 OLG Frankfurt Urt. v. 7.7.2021 -U 19/21, juris, Leitsatz: Dem Versicherer ist es versagt, sich auf einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung zu berufen, wenn er vorläufige Abwehrkosten bei wissentlicher oder vorsätzlicher Pflichtverletzung bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zugesagt hat, aus der sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen, und es an einer solchen Entscheidung fehlt.
7 Siehe ausführlich mit allen Facetten des Problems die Ausführungen bei Mitterlechner/Wax/Witsch D&O-Versicherung, § 9 Rn. 160 ff.
8 Siehe dazu Mitterlechner/Wax/Witsch D&O-Versicherung, § 9 Rn. 164 f.
9 OLG Düsseldorf Urt. v. 23.8.2005 -4 U 140/04, VersR 2006, 785.