64/15 ist alles andere als 08/15. Zwei Jahre danach: Die Geschäftsleiterhaftung im Lichte des neuen § 15 b InsO – erste Erfahrungen

Zum Jahreswechsel 2020/2021 wurden bislang in unterschiedlichen Gesetzen enthaltene Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter – allen voran § 64 GmbHG, aber auch § 92 Abs. 2 AktG oder § 99 GenG – durch den neu eingeführten § 15 b der Insolvenzordnung ersetzt. Darin ist festgelegt, dass ab dem Eintritt der Insolvenzreife, also bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, grundsätzlich ein Zahlungsverbot gilt. Auch nach zwei Praxisjahren zeigt sich jedoch klar, dass es dabei Ausnahmen und Besonderheiten gibt, die für Geschäftsleiter mit dem Blick auf eine mögliche Haftung große Bedeutung haben.

Der neu eingeführte § 15 b der Insolvenzordnung („Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung“) fasst die bisherigen Regelungen aus GmbH-Gesetz, Aktiengesetz, dem Handelsgesetzbuch und Genossenschaftsgesetz zusammen. Das Verständnis dessen, was unter einer Zahlung zu verstehen ist, gilt auch unter § 15 b der Insolvenzordnung (InsO) fort. Zahlungen sind weiterhin alle Leistungen, durch die der (eigentlich insolventen) Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife Vermögen entzogen wird – mit der also die Gläubiger der Gesellschaft geschädigt werden, da durch die Zahlung die Insolvenzmasse geschmälert wird. Es bleiben aber auch die Streitpunkte, etwa, wann ein Zahlungseingang auf dem Konto der Gesellschaft eine Zahlung ist oder wie mit einer Gegenleistung umzugehen ist.

Privilegierungstatbestand statt Kaninchen/Schlange

Gerät ein Unternehmen in eine finanzielle Schieflage, ist ein Geschäftsleiter angesichts der drohenden Haftungsrisiken aus § 15 b InsO indes nicht dazu verdammt, wie das Kaninchen vor der Schlange tatenlos und gelähmt vor Angst zu verharren. Wie schon bisher sind solche Zahlungen weiterhin erlaubt, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Anhaltspunkte dafür, was noch mit dieser Sorgfalt vereinbar ist und was nicht, bieten die Ausführungen in § 15 b II und III InsO. § 15 b stellt klar, dass Zahlungen grundsätzlich zulässig sind, soweit sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen – insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs.

Doch auch diese Privilegierung gilt nicht uneingeschränkt. So kann sich der Geschäftsleiter nach der Einschränkung in § 15b II 3 InsO auf die Haftungserleichterung für den Zeitraum zwischen Insolvenzreife und rechtzeitiger Antragstellung nur berufen, solange er Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung des Insolvenzantrages trifft.

Ist rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt worden, entfällt wiederum nicht nur die Einschränkung nach § 15 b II 3 InsO. Vielmehr gelten dann sogar sämtliche Zahlungen, die mit der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen werden, als sorgfaltsgemäß. Andererseits bestimmt jedoch § 15 b III InsO, dass Geschäftsleiter die „Du kommst aus der Haftung frei“-Karte nur dann ziehen können, wenn sie den Insolvenzantrag innerhalb der gesetzlichen Frist gestellt haben. Zahlungen nach ungenutztem Ablauf der Insolvenzantragsfrist sind in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar und daher verboten.

Wie ein objektiv denkender Gläubiger

Aber natürlich können Geschäftsleiter nun nicht einfach dazu übergehen, in einer Krise alle Zahlungen als „notwendig für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs“ zu deklarieren. Jede Zahlung muss individuell auf ihre Erforderlichkeit geprüft werden – auch Lohnzahlungen, Mietzahlungen oder Warenbestellungen stellen dabei keine Ausnahme dar. Als Maßstab müssen Geschäftsleiter in die Rolle eines objektiv denkenden Gläubigers schlüpfen und sich die Frage stellen: Hätte dieser der Zahlung im Interesse einer vorläufigen, die Werte des Unternehmens erhaltenden Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zugestimmt? Strebt der Geschäftsleiter ernsthaft eine nachhaltige Beseitigung der Insolvenzreife an, so muss er sich diese Frage über einen womöglich langen Zeitraum – im Falle von Überschuldung bis zu sechs Wochen – für eine Vielzahl von Zahlungen stellen.

Das Zahlungsprivileg kann im Einzelfall zum Beispiel Lohnzahlungen umfassen. Ohne Bezahlung arbeiten wichtige Mitarbeiter in der Regel nicht sehr lange, da sie ja auch ihre Rechnungen bezahlen müssen. Eine Kündigungswelle dürfte jedoch oftmals das Ende der Sanierungsperspektive bedeuten. Ebenso dürften oftmals Mietzahlungen privilegiert – also für den Geschäftsleiter ohne Haftungsrisiko möglich – sein. Denn gerät ein Unternehmen bei der Miete für seine Betriebsstätte in Zahlungsverzug, kann ein Vermieter schnell zur Kündigung berechtigt sein – und ohne Betriebsstätte ist eine Sanierung selten möglich. Legt man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde, dürften auch Zahlungen von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung möglich sein. Allerdings ist dies in § 15 b InsO nicht eindeutig geregelt und daher die bisherige Rechtsprechung mit Vorsicht zu genießen.

„Verrotten von Assets“ verhindern

Anders gestaltet sich die Sache allerdings, wenn eine Sanierung nicht mehr ernsthaft verfolgt und stattdessen ein Insolvenzantrag vorbereitet wird. Der hierfür benötigte Zeitraum ist zwar einzelfallabhängig, allerdings dürften jeweils nur wenige Tage gerichtliche Anerkennung finden. In diesem Fall ist eine Bezahlung von Beraterkosten – also etwa für eine insolvenzrechtliche Beratung – möglich. Gleiches gilt für Zahlungen, mit denen das „Verrotten von Assets“ verhindert werden soll.

Eine Besonderheit gilt schließlich, wenn sich das Unternehmen für die Sanierung im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG entschieden hat. Stellt sich in dessen Verlauf die Insolvenzreife ein, hat der Geschäftsleiter dies dem Gericht nach § 32 III StaRUG anzuzeigen. Das Gericht entscheidet dann, ob es die Restrukturierungssache aufhebt, es also zu einem regulären Insolvenzverfahren kommt. Nach § 89 III StaRUG sind bis zur Entscheidung des Gerichts grundsätzlich ebenfalls Zahlungen privilegiert, die im ordentlichen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere dem Restrukturierungsvorhaben dienen. Diese Haftungserleichterung gilt jedoch nicht für Zahlungen, die bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts zurückgehalten werden können, ohne die mögliche Restrukturierung zu gefährden.

Überträgt man diesen Rechtsgedanken auf Zahlungen, die außerhalb eines Sta- RUG-Verfahrens im Zeitraum der Vorbereitung des Insolvenzantrages anfallen, so liegt der Gedanke nahe, diese dann ebenfalls nicht zu privilegieren, wenn sie ohne Gefährdung einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung auch noch nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens erfolgen könnten. Dies könnte die Geschäftsleiter etwa zur Ausnutzung von Zahlungszielen zwingen.

Es ist kompliziert

Die unterschiedlichen Varianten und die damit verbundenen Prüfungsbedürfnisse zeigen, dass es für Geschäftsleiter in einer Krise ihres Unternehmens kompliziert ist, festzustellen, was sie tun können, ohne sich einem (größeren) Haftungsrisiko auszusetzen. Daher sollten Manager sowohl ihre Aufklärungsbemühungen, die Einbindung sachverständiger Dritter als auch ihre Entscheidungsfindung bei Zahlungen vor und während der Insolvenzreife dokumentieren. Eine Dokumentation ihrer Handlungen kann ihnen getreu dem Motto „Wer schreibt, der bleibt!“ helfen – etwa, wenn sie sich mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen und darlegen und beweisen müssen, dass sie pflicht gemäß gehandelt haben oder – falls nicht – der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln entstanden wäre. Denn in § 15 b InsO wird wie auch im StaRUG zunächst davon ausgegangen, dass die Schuld für einen Schaden beim Geschäftsleiter liegt und dem Geschäftsleiter nur die Möglichkeit eines Gegenbeweises verbleibt.

Wichtig ist, dass Schadenersatzansprüche, die im Rahmen von § 15 b entstehen, weitgehend nicht zur Disposition der Gesellschafter stehen. Das bedeutet, dass das insolvente Unternehmen auf den Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsleiter grundsätzlich nicht verzichten oder sich darüber mit ihm vergleichen darf. Ein Vergleich ist regelmäßig nur mit dem Insolvenzverwalter möglich.

Gerät ein Unternehmen in eine Krise, bietet es sich also auch für den Geschäftsleiter an, einen sachkundigen Dritten zu Rate zu ziehen – für sein Unternehmen, aber auch für seinen eigenen Geldbeutel.

Eine neue Dimension der Haftung

Geschäftsleiter sind generell großen finanziellen Haftungsrisiken ausgesetzt, wenn sie trotz Insolvenzreife den Geschäftsbetrieb ihres Unternehmens fortführen und keinen Insolvenzantrag stellen – Stichwort Insolvenzverschleppung. Mit seiner Entscheidung von Ende Juli 2021 (AZ II ZR 164/20) hat der Bundesgerichtshof diesen Risiken eine neue Dimension hinzugefügt: Wenn Geschäftsleiter mit allen Mitteln versuchen, ihr eigentlich insolventes Unternehmen künstlich am Leben zu erhalten, erfüllen sie den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB, wenn sie dabei die Schädigung der Gläubiger oder irgendwelcher anderer Personen für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.

Für Geschäftsleiter bedeutet das, dass sie – wenn sie die Insolvenzreife ihres Unternehmens erkannt haben und keine begründeten Sanierungschancen sehen – unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen müssen. Führen sie den Geschäftsbetrieb dennoch weiter, ist auch nach Ansicht des BGH davon auszugehen, dass sie das unabwendbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger hinauszögern wollen.

Dann können nun auch die Geschäftspartner solcher Unternehmen gegen die Geschäftsleiter vorgehen. Sie können den Schaden, der ihnen im Vertrauen auf den Fortbestand des eigentlich schon insolventen Unternehmens entsteht, gegenüber dem unredlichen Geschäftsleiter geltend machen. Er muss den Schaden dann unter Umständen mit seinem Privatvermögen ersetzen.

Das Besondere: Anders als bislang muss der Geschäftsleiter eines Unternehmens in einem solchen Fall nicht aktiv geworden sein, um seine Haftung auszulösen. Es reicht, dass er seine Geschäftspartner nicht warnt und diese somit weiter auf die vermeintliche wirtschaftliche Lebenskraft des Unternehmens vertrauen. Hinzu kommt, dass Managerhaftpflichtversicherungen einen solchen Verstoß eines Geschäftsleiters möglicherweise nicht abdecken, da es sich um vorsätzliches Unterlassen handelt.