Wer die Kultur vergisst, baut Transformation auf Sand

Transformation ist kein Projekt, das man abhaken kann – und sie ist auch kein Selbstzweck. Unternehmen können noch so viele Prozesse standardisieren, Systeme integrieren oder Strukturen neu aufsetzen: Wenn die kulturelle Dimension fehlt, bleibt der Wandel oberflächlich.

Kultur ist der härteste Erfolgsfaktor

Wenn ein Unternehmen ein anderes übernimmt, verändert sich intern eine ganze Menge – von Abläufen und Systemen über regulatorische Vorgaben bis hin zu neu zusammengestellten Abteilungen und Teams. Unzer hat in den letzten Jahren nicht nur ein Unternehmen gekauft, sondern gleich zwölf. Und dabei haben wir eines gelernt: Transformation scheitert nicht primär an Prozessen oder IT-Systemen – sie scheitert daran, dass Führungskräfte Kultur als weiches Thema abtun. Ohne einen gelebten Unternehmenswandel bleiben viele Veränderungsprozesse wirkungslos.

Unsere Wurzeln: Vom Einzelunternehmen zum integrierten Ökosystem

Von Anfang an verfolgte Unzer die Vision, ein umfassendes Business-Ökosystem für Geschäftskunden zu schaffen, das sowohl Hard- als auch Softwarelösungen nahtlos integriert. Dazu haben wir innerhalb weniger Jahre mehrere Unternehmen entlang unseres Omnichannel-Angebots gekauft.

Die größte Herausforderung bestand darin, Synergien, die auf dem Papier ersichtlich waren, in greifbare Mehrwerte zu überführen und einen einheitlichen Standard zu etablieren – mit klar definierten Abläufen, strukturierten Datenflüssen und standardisierten Prozessen. Intern sprechen wir von „One Unzer Everywhere“. Doch wenn Teams aus verschiedenen Unternehmen und Ländern plötzlich Teil eines neuen Ganzen werden, bleiben Reibungspunkte nicht aus.

Die Unternehmen, die Teil der Unzer-Gruppe wurden, hatten jeweils zwischen 50 und 120 Mitarbeitende und waren an einem Standort ansässig. In dieser Größe braucht es viele Generalisten, die nicht nur ihren Kernbereich abdecken, sondern auch verwandte Aufgaben übernehmen. Heute sind wir 750 Mitarbeitende, relativ gleichverteilt über acht Standorte. Um echte Synergien zu heben, sind in vielen Bereichen Spezialisten erforderlich. Es freut mich zu sehen, wie viele unserer Mitarbeitenden sich für diesen Wandel begeistern lassen und dadurch oftmals einen bedeutenden Karriereschritt machen.

Ich möchte das an einem greifbaren Beispiel verdeutlichen: Vor drei Jahren gab es unter unseren 750 Mitarbeitenden keine Steuerexpert:innen. Stattdessen konzentrierten sich acht Mitarbeitende auf die Buchhaltung und betreuten nebenbei auch steuerliche Themen. Während es für kleinere Unternehmen oft sinnvoll ist, Steuern extern zu vergeben, lohnt sich für eine Unternehmensgruppe, die in vier Ländern tätig ist, der Aufbau einer eigenen Fachabteilung.

Veränderung braucht ein klares Warum

Bestehende Gewohnheiten und Prozesse mussten überprüft und für eine reibungslose Skalierung optimiert werden. Doch Routinen zu ändern ist schwer – insbesondere, wenn sie sich vermeintlich bewährt haben. Viele der übernommenen Unternehmen waren bereits erfolgreich, hatten etablierte Strukturen und eine starke Marke. Für ihre Mitarbeitenden war daher nicht sofort ersichtlich, warum eine Veränderung notwendig sein sollte.

Deshalb war es entscheidend, den Mehrwert der Transformation klar zu vermitteln und Akzeptanz für den Wandel zu schaffen. Offene und transparente Kommunikation war und ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor.

In den vergangenen Jahren haben wir nicht nur auf den Aufbau von Matrixstrukturen gesetzt, sondern auch gezielt in den persönlichen Austausch investiert, um Teams standortübergreifend enger zusammenzubringen. Regelmäßige persönliche Treffen, direkter Austausch sowie Transparenz bei den jeweiligen Quartals- und Jahreszielen stärken den Zusammenhalt und schaffen ein gemeinsames Verständnis für Unternehmensziele und Werte. Trotz kultureller Unterschiede haben wir eine Kommunikationskultur aufgebaut, die auf Respekt, Offenheit und Zusammenarbeit basiert.

Dialog auf Augenhöhe als Erfolgsfaktor

Ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie ist Transparenz. Seit 2023 nutzen wir ein Tool, das individuelle, teambezogene und unternehmensweite Ziele für alle sichtbar macht. Virtuelle All-Hands-Meetings, interne Kommunikationskanäle und persönliche Veranstaltungen ermöglichen offenen Austausch. Besonders wichtig ist unsere Speak-Up-Kultur: Jede Stimme zählt, und wir ermutigen alle, ihre Meinung frei zu äußern – ohne negative Konsequenzen.

Zweimal im Jahr führen wir eine anonyme Mitarbeiterbefragung durch, deren Ergebnisse direkt in konkrete Maßnahmen einfließen und in den Jahreszielen des Managements fest verankert sind. Unsere Personalabteilung arbeitet eng mit Führungskräften zusammen, um gezielt auf team- und bereichsspezifische Themen einzugehen.

Ein besonderes Highlight ist unsere jährliche CXO-Roadshow, die 2023 ins Leben gerufen wurde. Mindestens drei unserer Geschäftsführer besuchen alle acht Unternehmensstandorte, um den direkten Austausch mit den Teams zu fördern. In offenen Fragerunden und Gesprächsformaten erhalten wir unmittelbares Feedback, das wir in Arbeitsgruppen weiterverarbeiten. Ergänzt wird dieses Format durch offene Sprechstunden der Geschäftsführung und einen virtuellen Ideenbriefkasten.

Transformation ist eine Reise, kein Einmalprojekt

Wir haben bei Unzer gelernt: Veränderung braucht ein klares „Warum“, einen Dialog auf Augenhöhe und Zeit. Echte Veränderung beginnt immer bei den Menschen. Wer das übersieht, baut Transformation auf Sand.

Echter Wandel heißt auch, gewohnte Muster in Frage zu stellen – manchmal sogar zu rebellieren gegen das, was gestern noch galt. Transformation ist dann erfolgreich, wenn sie nicht nur Strukturen verändert, sondern Menschen inspiriert. Denn am Ende entscheidet nicht die schönste Strategie über den Erfolg, sondern ob eine Kultur gelebt wird, auf der die Strategie getragen wird.

Wir sind noch nicht am Ziel, spüren aber bereits viele positiven Effekte des Wandels. Unsere Effizienz ist gestiegen, Kosten wurden gesenkt und die Umsatzrendite deutlich verbessert. Gleichzeitig haben wir unser Produktportfolio erweitert und unsere Marktposition gestärkt. Heute bieten wir alle wichtigen Zahlungs- und Softwarelösungen aus einer Hand an – und ermöglichen unseren Kunden nahtlose, effiziente Handelsprozesse.

Über den Autor:

Jacob von Ingelheim ist Chief Risk and Transformation Officer (CRTO) bei Unzer, einem Fintech für Zahlungs- und Softwarelösungen. Mit seiner umfangreichen Erfahrung gestaltet er maßgeblich die laufenden Integrations- und Transformationsprozesse, nachdem Unzer binnen weniger Jahre mehrere Unternehmen gekauft hat. Zudem verantwortet er das Risikomanagement. Vor Unzer war Jacob in Führungspositionen bei BillPay, Sofort und Klarna tätig, wo er wertvolle Einblicke in die Zahlungsindustrie gewann.