Warum jetzt die Stunde der Manager geschlagen hat

Für die Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung braucht es ein neues Mindset

Die digitale Erneuerung in der Verwaltung ist alternativlos geworden. Das sehen allerdings noch nicht alle Beteiligten so. Der diesjährige Gov- Tech-Gipfel des Handelsblatts in Kooperation mit PUBLIC trägt das Motto „Jetzt geht es um die Umsetzung“. Wir wollen diskutieren, wie das gelingt. Im folgenden Beitrag möchte ich einige Gedanken teilen, was es für einen „Neustart Verwaltungsdigitalisierung“ braucht.

Nils Hoffmann, Geschäftsführer, PUBLIC Deutschland

Die gute Nachricht: Wir wissen, wo es hingehen soll

In den vergangenen Jahren wurden diverse Strategien geschrieben, um die Digitalisierung endlich in Gang zu bringen. Das ist per se erst einmal gut. Um einen Vergleich heranzuziehen: Bevor ich in den Urlaub fahre, muss ich mich auch für eine „Strategie” der Erholung entscheiden: Wanderurlaub oder Entspannen am Pool? Familienurlaub im Ferienhaus oder All-Inclusive mit Kids Club im Ferienresort?

Das Gleiche gilt für die Digitalisierung der deutschen Verwaltung: Es braucht eine Strategie als Leitstern. Von anderen Staaten lässt sich hierbei lernen, dass unterschiedliche Vorgehensweisen funktionieren können: Von Singapur, das einen klaren Fokus auf die Inhouse- Entwicklung digitaler Services durch die Verwaltung selbst legt, über Großbritannien, dessen Digitalisierungsstrategie stark auf Einkauf und Kollaboration mit externen Unternehmen setzt – viele (digitale) Wege führen nach Rom.

Mit der Digitalstrategie hat die Bundesregierung letztes Jahr genau das gemacht. Mit dem Multicloud-Ansatz, der eID oder dem Once-only-Prinzip wurden klare Ziele definiert. Um beim Vergleich zu bleiben: Das Reiseziel ist gesetzt. Wo aber liegt dann das Problem?

Von der Strategie zur Umsetzung ist es ein langer Weg – auf dem man sich mitunter leicht verlaufen kann. Denn die Herausforderung besteht darin, die Strategie zu operationalisieren. Um bei der Urlaubsmetapher zu bleiben: Wer bucht nun die Unterkunft? Wer verfügt über das Budget und macht die Finanzplanung? Wer plant die Wanderroute? Es geht also um das Aufsplitten komplexer Ziele in umsetzbare Einzelschritte, um Zuständigkeiten, Kommunikation und Projektmanagement.

Es bedarf einer stärkeren Fokussierung der Diskussion auf Ergebnisse und Leistungen für Bürger:innen und Unternehmen.

Wie kann uns dies im Kontext Verwaltungsdigitalisierung besser gelingen? Meine These: Um in die Umsetzung zu kommen, braucht es gerade jetzt verstärkt eine Taktik. Denn die Taktik ist das Bindeglied zwischen Strategie und Umsetzung.

Jetzt geht es um die Taktik als Bindeglied zwischen Strategie und Umsetzung

Drei Kernargumente sprechen für die Notwendigkeit eines stärker taktischen Vorgehens:

Erstens: Nach wie vor driften wir beim Thema Verwaltungsdigitalisierung zu häufig in theoretische Debatten ab. Unterdessen bewerten Bürgerinnen und Bürger die Digitalisierung der Verwaltung zunehmend schlechter und fordern konkrete Verbesserungen in ihrem Alltag. Ein Blick ins Ausland zeigt ihnen, dass vieles, was hierzulande immer noch Zukunftsmusik ist, woanders längst Standard ist: Eine Wohnung ohne Gang zum Amt anmelden, den Personalausweis online bestellen, das Kindergeld automatisiert nach der Geburt des Kindes auf das Konto überwiesen bekommen.

Das zeigt: Es bedarf einer stärkeren Fokussierung der Diskussion auf Ergebnisse und Leistungen für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Die Debatten rund um digitale Souveränität, Ethik der KI und Datenschutz dürfen nicht allein auf Metaebene geführt werden, sondern müssen im Kontext der konkreten Umsetzungsprojekte diskutiert werden. Und zwar lösungsorientiert. Die Stadt Wiesbaden zeigt, wie es geht: Dort kann man den neuen Personalausweis direkt per Code und Fingerabdruck aus einem Schließfach abholen, rund um die Uhr. Das spart Ressourcen bei der Verwaltung und erhöht den Service für die Bürgerinnen und Bürger. Man staunt, was möglich ist – auch innerhalb der engen behördlichen Vorgaben.

Zweitens: Die Ressourcen für die Umsetzung von Digitalisierung in der Verwaltung sind knapp und werden es auch bleiben. Verwaltungen müssen kreative Wege finden, mehr Leistung mit weniger Mitteln an Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zu bringen. Um Skaleneffekte zu realisieren, braucht es neue Herangehensweisen. Ein wenig beachtetes, gutes Beispiel ist EpayBL. Hinter dem kryptischen Kürzel verbirgt sich eine Entwicklergemeinschaft aus Bund und Ländern, die Behörden digitale Bezahlverfahren für Verwaltungsleistungen bereitstellt. Dabei arbeitet man mit Dienstleistern aus der Finanzbranche zusammen, um einen Service auf der Höhe der Zeit zu bieten. Mit professionellem „Checkout” und Möglichkeit zur Kreditkartenzahlung.

Drittens: Die qualitative Lücke zwischen dem Privatsektor und dem öffentlichen Sektor in punkto Digitalkompetenz und digitaler User Experience wird Monat für Monat, Jahr für Jahr immer größer. Die Privatwirtschaft ist dem Staat teils um 20 Jahre und mehr voraus, was die eingesetzten Technologien, gemachte Erfahrungen und Konzepte betrifft. Das führt dazu, dass Behörden riesige Summen an Opportunitätskosten aufhäufen. Ein Aufholen wird zunehmend kostspieliger.

Dies wird vom Staat viel zu wenig beachtet. Wollen wir noch mitspielen, braucht es ein Denken in radikalen Schritten, um Opportunitätskosten zu reduzieren und Investitionen bestmöglich einzusetzen. Ein Beispiel: Anstatt den Sprung von 0 auf 100 zu versuchen, kann die bewusste und taktische Nutzung vorhandener Public Cloud-Angebote, SaaS-Software oder anderer Anwendungen aus der Privatwirtschaft eine Brückenlösung sein. So ließen sich in dafür geeigneten Bereichen zeitgemäße Technologien testen und nach und nach in das „Big Picture” der Verwaltungsstrategie einbetten.

Taktik braucht Managementkompetenz

Der wichtige Schritt ist nun, sich wirklich um das „Wie” der Verwaltungsdigitalisierung zu kümmern. Herausfordernd – keine Frage. Dies ist die Stunde der professionellen Managementkompetenz in der Verwaltung: Führungspersonen müssen clevere Wege und Mittel finden, um die strategischen Ziele in konkrete Handlungen zu gießen. Maßnahmen implementieren, digitale Infrastrukturen festlegen, Milliarden an Investitionen tätigen und tausende Talente einstellen – am besten schon vorgestern. Hinzu kommt die richtige Auswahl an Dienstleistern: Egal ob Cloud-Architekten, Change-Experten oder technische Dienstleister. Ohne neue Talente von außen wird es nicht gehen.

Wollen wir noch mitspielen, braucht es  ein Denken in radikalen Schritten.

Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Government Technology“ erschienen.

Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Zum Journal